In meiner kleinen Sommerserie denke ich daran zurück, wie es war, als wir das Internet kennengelernt haben (und das Internet uns) – und wie wir nur langsam erahnt haben, dass es in sämtliche Lebensbereiche vordringen und viele Gewissheiten umstossen würde.
Apropos Kennenlernen: Auch das hat sich mit dem Internet verändert. Früher hat man sich bei der Arbeit oder im Restaurant getroffen. Oder man wurde von Bekannten oder Verwandten verkuppelt. Heute selektiert man die passenden Kandidaten mittels Tinder oder man vertraut sich den Algorithmen einer Dating-Plattform an.
Denn bekanntlich basiert deren Geschäftsmodell auf einer fragwürdigen Versprechung: Der Verheissung, dass man anhand von berechenbaren Übereinstimmungen herausfinden könne, wer gefühlsmässig harmoniert. Das ist eine Behauptung, die ich infrage stellen muss – denn ich kann mir keinen Algorithmus vorstellen, der z.B. meine Frau und mich «gematcht» hätte.
Das Internet, aber ohne Tinder und Parship
Wie auch immer: In den Anfängen des Internets gab es keine Verkuppelungs-Apps und keine Dating-Plattformen. Aber man konnte sich beim Chatten kennenlernen und näherkommen. Aus heutiger Sicht ist diese Übergangsphase von der klassischen zur digitalen Anbandelung spannend. Zum Beweis führe ich einen Text an, den ich am 17. Juni 2002 geschrieben habe.
Der Text zeigt einige interessante Dinge auf: nämlich die These, das Internet sei bei der Beziehungssuche bloss so eine Art Notnagel für «Verklemmte und reizlose Menschen»…
… eine Formulierung, bei der ich nicht weiss, ob ich mich für sie schämen oder auf sie stolz sein soll. Klar ist indes, dass ich einen Satz wie «Drum seis gesagt, liebe Tussis: Vergesst den tiefen Ausschnitt, niemand kriegt ihn zu Gesicht» heute nicht mehr in die Welt setzen würde. Immerhin, kein Sexismus dieses Mal – die Männer bekommen gleich als Nächstes ihr Fett weg, sodass die Geschlechterklischees beidseitig bedient worden sind.
Wie auch immer: Das Internet stand auch nie bloss für Porno, wie eine weitere Unterstellung lautete – natürlich in die Welt gesetzt von Leuten, die das Internet entweder nicht verstanden oder nicht mochten.
Kein Video, keine Selfies, keine Messenger-Apps
Der eigentliche Punkt damals war, dass das Internet weitgehend ein Textmedium war. Man hätte ahnen können, dass das nicht so bleibt. Aber vor zwanzig Jahren musste der online flirtende Mensch zu den Worten Zuflucht suchen und konnte sich nicht mit einem sexy Selfie aus der Affäre ziehen. Es gab noch nicht einmal die Emojis (🙀), sodass wir tatsächlich gezwungen waren, uns zu verbalen Höchstleistungen aufzuschwingen, um das Gegenüber zu beeindrucken.
Mir als Wortmensch hat das ungemein gefallen. Und es hat mir auch gewisse Startchancen beschert. Bemerkenswert war auch, dass das Internet für eine kurze Renaissance des Liebesbriefs geführt hat. Klar, die Briefe waren elektronischer Natur, aber gleichwohl ausschweifend, detailliert und fantasievoll. Und weil sie nicht zwei Tage per Post unterwegs waren, sondern die Adressatin oder den Adressaten sofort erreicht haben, konnte man sich in einen wahren Rausch hineinschreiben. Und ja, ich spreche aus Erfahrung.
Es war damals romantischer als heute
Dieser Text hat mich melancholisch gestimmt. So toll es auch ist, dass wir heute Videochats führen und uns Instant-Messages zuschicken können, so ist es traurig, dass diese Erfindungen das Liebes-E-Mail überflüssig gemacht haben. Die Tonalität ist bei diesen Medien eine ganz andere – und auch wenn ich Errungenschaften wie dem Sexting einen gewissen Reiz nicht absprechen mag, so kommt es doch nicht ans Kopfkino heran.
Beitragsbild: You’ve got (romantic) e-mail (Josep Monter Martinez, Pixabay-Lizenz).