Wie man seine digitale Haut zum Markt trägt

«Bits about me» will uns ermöglichen, persönliche Daten zu Geld zu machen. Theo­retisch ist das ein logischer Ansatz. In der Praxis bleiben Zweifel, ob sich dieser «Fair­trade für Daten» für die Nutzer lohnt.

Beitragsbild: Bzw. wie man digital die Hosen herunterlässt (Pixabay, Pexels-Lizenz).

Als die Krankenkassen damit angefangen haben, uns im Gegenzug für den Zugang zum Schrittzähler im Handy mit Gutscheinen zu entschädigen, habe ich dafür plädiert, dass das erst der Anfang eines neuen Umgangs mit persönlichen Daten sein sollte: Wir müssen zu klugen Daten-Investoren werden, lautete die Forderung.

Bisher ist es so, dass wir unsere Daten weitergeben, ohne über deren Wert zu verhandeln. Wir bekommen dafür im Gegenzug Dienstleistungen z.B. von Google und Facebook. Bei diesem Modell bleibt im Dunkeln, ob diese Entschädigung angemessen ist. Vermutlich ist sie es nicht; zumindest, wenn wir uns Hannes Grasseggers Buch Das Kapital bin ich vergegenwärtigen, das ich hier besprochen habe.

Eine App, die diese den Verkauf persönlicher Daten institutionalisieren will, heisst Bits about me. «Fairtrade für Daten» ist das Schlagwort auf bitsabout.me: «Hol mehr raus aus deinen Daten: Mach deine Kassenzettel zu Geld, gleiche dein CO₂ aus und optimiere deine Nachhaltigkeit, Gesundheit, Finanzen und mehr».

Das Berner Startup BitsaboutMe

Hinter der App, die es fürs iPhone und iPad und für Android gibt, steckt ein 2017 gegründetes Berner Startup BitsaboutMe AG. Die beiden Chefs Christian Kunz und Christophe Legendre haben gemäss Eigendeklaration vorher vertiefte Einblicke in die digitalen Geschäftsmodelle gewinnen können: Sie lernten sich als CEO und CTO bei ricardo.ch kennen. Davor hatten sie Führungspositionen bei Ebay, Leboncoin, Liberty Surf und McKinsey inne.

Ich schicke vorweg, dass ich dieses Konzept intellektuell wichtig und richtig finde und überzeugt bin, dass man es ausloten muss. Aus dem Bauch heraus lehne ich es instinktiv ab. Es hat für mich den Ruch von Prostitution und es ist ein Kapitalismus-Auswuchs, seine Daten zum Markt zu tragen. In einer idealen Welt würden wir für die digitalen Dienstleistungen mit dem Geld bezahlen, das wir durch ehrliche Arbeit verdienen, und wir hätten es mit Unternehmen zu tun, die die Privatsphäre als heilig betrachten.

Nun, offensichtlich leben wir nicht in einer idealen Welt. Darum ist eine App wie Bits about me notgedrungen sinnvoll.

Also, in der App kann man drei grundsätzliche Dinge tun: Man berechnet seinen CO₂-Fussabdruck, scannt Einkaufszettel für Cashback-Aktionen ein und verbindet seine Bankkonten.

Das Bankkonto verbinden

Die App drängt darauf, dass man sein Bankkonto verbindet.

Bleiben wir gleich mal bei letzterem: Die App will den Nutzerinnen und Nutzern unter Finanzen den Zugriff aufs Bankkonto schmackhaft machen, indem sie verspricht, die Berechnung des CO₂-Fussabdrucks werde dadurch präziser.

Das leuchtet sofort ein, weil die Analyse der Daten genaue Rückschlüsse auf die Lebens- und Konsumgewohnheiten zulässt. Allerdings ist das eine bescheidene Gegenleistung für eine weitreichende Offenlegung. Ich bin normalerweise für datenanalytischen Schabernack zu haben, aber selbst einem Berner Start-up gewähre ich diese Informationen nicht aus Jux und Dollerei.

Jedenfalls ist die präzisere Berechnung des CO₂-Fussabdrucks nicht der einzige Grund, weswegen man an dieser Stelle finanziell gesehen die Hosen herunterlassen soll. Die App verspricht auch, man würde als Nutzerin oder Nutzer «für Quittungen, die mit Bankzahlungen verifiziert würden, mehr Cashback erhalten». Konkret bekommt man Prozent der Einkäufe zurück, wie man über die Rubrik Cashback erfährt.

Die Gewissensentscheidung bleibt mir erst einmal erspart

Ist es das wert? Was meine Meinung dazu ist, bespreche ich abschliessend im Fazit. An dieser Stelle erst einmal der Hinweis, dass ich mein Bankkonto allein aus technischen Gründen nicht verbunden habe. In der Schweiz sind derzeit nur Postfinance, die UBS, Raiffeisen und die St. Galler Kantonalbank angebunden. In Deutschland kommen Kunden der Sparkasse, Volks- & Raiffeisenbanken, Commerzbank, Deutsche Bank und Ing-Diba zum Zug. Mein Geld liegt bei der nicht unterstützten Zürcher Kantonalbank, sodass mir die Gewissensentscheidung erst einmal erspart bleibt.

Dieser CO₂-Fussabdruck wurde anhand eines Fragebogens erstellt.

Zweiter Punkt: Nachhaltigkeit. Nach einigen Fragen zu meinen Essens- und Lebensgewohnheiten berechnet die App (ohne Bankdaten) einen CO₂-Fussabdruck von sechs Tonnen pro Jahr. Das ist erstaunlich nah an dem Resultat dran, dass ich für meine Besprechung der Klima-App (Die Welt zu retten, ist erstaunlich günstig) über den CO₂-Rechner des WWF ermittelt habe. Die Vermutung liegt nahe, dass ein ähnliches oder das gleiche Modell zugrunde liegt.

Bemerkenswert hier ist, dass der grösste Teil auf Kosten der Mobilität geht, obwohl ich angegeben habe, den öV moderat zu nutzen und nur wenig zu fliegen. Trotzdem liefert die App eine interessante Erkenntnis. Wenn ich mir die wenigen Flugreisen verkneifen könnte oder sie zumindest kompensiere, ist das schon einmal ein Anfang.

Rückerstattungen für eingescannte Belege

Drittens die Rubrik Cashback: Hier nimmt die App die Quittungen entgegen. Die kann man entweder elektronisch über die Bonus-Systeme der Grossverteiler (Migros Cumulus bzw. Coop Supercard) einspeisen, oder aber, indem man die Quittungen fotografiert. Diese Daten seien dazu da, die «Essgewohnheiten besser zu verstehen» und den Nährwert von den Dingen zu berechnen, die man sich so zuführt, erklärt man mir in der Rubrik Gesundheit.

Der geldwerte Effekt ist, wie oben angedeutet, eine Vergütung des Kaufpreises, die in meinem Fall aber nicht erfolgt, weil ich kein Bankkonto verbinden konnte und auch keine Apps von Migros und Coop nutze und entsprechend keine E-Quittungen zum Vorzeigen habe. Einige fotografierte Belege haben sich nicht auf mein Guthaben ausgewirkt.

Also, an dieser Stelle ein vorläufiges Fazit – für vertiefte Erkenntnisse werde ich die App vorerst im Auge behalten.

Idee gut – Umsetzung schlecht

Wie angedeutet, finde ich die Idee einleuchtend. Doch die Umsetzung von Bits about me erscheint mir missraten.

Finanzen, Nachhaltigkeit, Gesundheit und Cashback.

Erstens ist es für einen neuen Nutzer schwer zu verstehen, worum es überhaupt geht. Die Rubriken Finanzen, Nachhaltigkeit, Gesundheit und Cashback sind nicht trennscharf, weil es überall immer wieder darauf hinausläuft, dass man seinen Bankkonten verbinden und seine Quittungen einlesen soll.

Eine viel einleuchtendere Aufteilung wäre:

  1. Deine Daten …
  2. … und was du dafür bekommst.

Und in beiden Fällen müsste die App viel klarer und transparenter kommunizieren.

Was der Sinn und Zweck sein soll, dass man seine Bankkonten verbindet, musste ich mir zusammenreimen, indem ich mich erst einmal durch die Rubriken Finanzen, Nachhaltigkeit und Cashback geklickt hatte.

Was passiert mit all den Daten?

Die BitsAboutMe-App hat ein vielseitiges Interesse an persönlichen Daten.

Trotzdem herrscht bei mir weitgehende Unklarheit darüber, welche Daten aus einem verbundenen Bankkonto zu Bits about me abfliessen: Sind es die Zahlungen, die mit den eingescannten Quittungen korrespondieren? Sind es jene Transaktionen, die in die Berechnung des CO₂-Fussabdrucks und zur Beurteilung der Ernährungsgewohnheiten einfliessen? Oder sind es alle? Falls ja: nur die aktuellen? Oder würde ich meine komplette finanzielle Historie bis zu den Anfängen des elektronischen Bankings aus der Hand geben?

Das ist viel zu unklar, als dass ich jemandem guten Gewissens dazu raten könnte, hier mitzumachen. Unter Profil bei Meine Daten kann man auch seine Fitnessdaten abliefern, aber der App auch Zugang zu Paypal, Instagram, Spotify, Twitter, Amazon, Zalando, Netflix, Google, Linkedin, der Swisscom und HBL verschaffen. Das ist ein Komplett-Rundumschlag, wobei auch hier rätselhaft bleibt, was mit all diesen Informationen passiert.

Lohnt es sich denn überhaupt?

Im Dunkeln bleibt für mich nicht nur das Warum, sondern auch das Wofür. Sprich: Die Vergütung, die man seinen Willen zur Transparenz erhält.

Überlegen wir uns das nochmals anhand des Zugangs zum Bankkonto, der für Bits about me zentral ist: Mehr Präzision beim CO₂-Fussabdruck scheint mir kein auch nur ansatzweise adäquater Gegenwert. Und was mir das Cashback allenfalls einbringen würde, ist im Voraus nicht abschätzbar.

Mit anderen Worten: Ich stehe nicht besser da als bei einem Internetkonzern wie Google, bei dem ich wenigstens weiss, dass ich bei meinem Gmail-Konto 15 GB kostenlosen Speicher bekomme. Es versteht sich von selbst, dass der Zugriff aufs Bankkonto ein extremer Vertrauensvorschuss ist. Eine App, die sich «Fairtrade für Daten» auf die Fahnen schreibt, müsste dafür eine klare, konkrete und sofort erfolgende Entschädigung liefern. Aus dem Bauch heraus würde ich sagen, dass 500 Franken herausschauen müssten: So viel ist diese sehr persönliche Information aus meiner Sicht mindestens wert.

Ich bin an dieser Stelle unschlüssig, ob die App ihr Potenzial bisher nicht richtig ausschöpft oder ob es sich um einen grundsätzlich falschen Ansatz handelt, Gesundheit, Nachhaltigkeit, CO₂-Kompensation und Cashback in einen Topf zu werfen.

Das will nicht recht zusammenpassen

Für mich prallen zwei Dinge aufeinander, die nicht gut unter einen Hut passen:

  • einerseits der kühl-kapitalistische Ansatz, auf Einkäufe Rabatte herauszuschinden,
  • andererseits der Welt- und Selbstverbesserungsansatz mit den Anreizen zur Verbesserung der Bilanz beim Kohlendioxid und Sensibilisierung in Bezug auf die Ernährung.

Es bleibt für mich die Erkenntnis, dass die Monetarisierung persönlicher Daten eine extrem heikle Sache ist und bleibt – und dass das Ei des Kolumbus bislang nicht gefunden wurde. Das klassische Geschäftsmodell von Google, Facebook und Co. bleibt daher vorerst unangetastet.


Nachtrag vom 31.5.2024

Bitsaboutme macht dicht. In einem Mail heisst es:

Leider müssen wir euch mitteilen, dass wir unseren Dienst einstellen werden. Aufgrund des Verlusts unserer wichtigsten Datenpartnerschaft haben wir nicht mehr die notwendigen Einnahmen, um den Betrieb fortzuführen.

Heute haben wir Insolvenz angemeldet, und unser Dienst wird in den kommenden Tagen eingestellt, sobald unser IT-Anbieter die Server abschaltet.

Wir wissen, dass dies Unannehmlichkeiten verursacht, und entschuldigen uns zutiefst, insbesondere für nicht erfüllte Cashback-Beträge. Leider lässt uns unsere finanzielle Situation keine andere Wahl.

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