Warum lassen wir Nerds das mit uns machen?

Die EU will Whatsap, iMessage und Facebook Mes­senger zur Öffnung zwingen. Man würde meinen, die meisten Nutzer fänden das gut. Ein Irrtum: Viele sind über­zeugt, die Tech-Kon­zerne sollten weiter­wurs­teln wie bisher.

Auf Twitter hatte ich das Vergnügen, an einer Debatte über das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act; DMA) zu führen. Das wurde diese Woche verabschiedet. Es handelt sich um einen regulatorischen Rundumschlag, der die dominanten Tech-Unternehmen zurückbinden und für mehr Fairness sorgen soll.

Bei den Browsern würde es Apple dazu zwingen, das iPhone und iPad für Engines von Drittherstellern zu öffnen. Das könnte die Überlebenschancen von Firefox erhöhen, auch wenn ich befürchte, dass der Zug schon abgefahren ist.

Ein weiteres Feld sind die Messenger-Dienste. Die grossen Apps – namentlich Whatsapp, iMessage und Facebook Messenger – müssten sich der Konkurrenz öffnen und es ermöglichen, die Nutzer unterschiedlicher Apps miteinander kommunizieren können.

Aus Nutzersicht ist die Sache völlig klar: Das ist eine gute Idee. Ich will mich nicht darum kümmern müssen, welchen Messenger dieser oder jener Freund verwendet. Ich möchte ihn mit meinen bevorzugten Kommunikationsmitteln erreichen können. Genauso, wie ich mir nicht erst ein Samsung-Telefon kaufen will, wenn ich jemanden anrufen muss, der zufällig ein Gerät dieser Marke besitzt.

«Aber denkt auch jemand an die armen Tech-Konzerne!»

Nun ist mir aufgefallen, dass selbst in aufgeklärten Nerd-Kreisen diesem Gesetz eine Menge Skepsis entgegenschlägt. Die Herren des sehr geschätzten «Bits und so»-Podcasts haben eine Dreiviertelstunde lang erklärt, warum diese Interoperabilität unmöglich herzustellen ist und warum man eine solche Anforderung den armen Tech-Konzernen auf keinen Fall zumuten darf: Es wäre schwierig umzusetzen, könnte Probleme verursachen und dazu führen, dass die Spezialfunktionen von Messenger A bei Messenger B nicht funktionieren.

Eine solche Zusammenarbeit ist knifflig, das ist eine Binsenweisheit. Das liegt daran, dass ein Produkt wie Whatsapp während zwölf Jahren alles daran gesetzt hat, nicht interoperabel zu sein. Jetzt eine Kehrtwende zu verordnen, ist radikal und wird nicht ohne Pleiten und Pannen abgehen. Abgesehen davon, dass ich dem Whatsapp-Mutterkonzern Meta unterstellen würde, dass er alles tut, um eine solche Interoperabilität zu sabotieren.

Aber «es ist schwierig» ist kein Argument. Den Ukrainekrieg zu beenden, ist auch schwierig. Aber trotzdem sollten wir es versuchen. Dito Klimakrise – auch wenn ich nicht behaupten will, dass die Messenger-Interoperabilität für mich die gleiche Dringlichkeit geniessen würde.

In dieser Twitter-Debatte, angestossen durch folgenden Tweet, bin ich auf ungeteilten Widerstand gestossen:

«Ach, ist doch egal, wenn ich 15 Messenger nutzen muss»

Nebst «es ist schwierig» haben die Leute ihre Opposition mit «es ist nicht wichtig» begründet: Was würde es denn ausmachen, wenn man 15 separate Messenger benutzen müsse? Das sei kein grosses Ding, hat man mir gesagt.

Aus praktischer Sicht mag das sogar stimmen – auch wenn es sicherlich nicht nur mir so geht, dass manche Nachrichten unbeantwortet bleiben, weil man sich nicht mehr erinnert, wo in welchem Messenger noch eine Pendenz vorhanden ist.

Mir geht es allerdings ums Grundsätzliche: E-Mail ist ein offenes System. Jeder kann sein Programm selbst wählen und bestimmen, ob er ein lokales Programm oder Webmail benutzt. Wir dürfen uns nach Gutdünken für einen oder mehrere Dienstleister entscheiden und unsere Mails selbst hosten, wenn uns danach ist. Wir können sie lokal archivieren und damit tun und lassen, was wir wollen.

Das alles funktioniert mit Messengern nicht. Wer via Whatsapp kommunizieren will, muss die Whatsapp-App und die Whatsapp-Server benutzen. Ohne Gerät mit einer Telefonnummer läuft gar nichts. Es gibt – immerhin – eine Archivierungsfunktion, aber schon der Wechsel von einem Android-Telefon auf ein iPhone ist eine so knifflige Sache, dass die Leute Apple dafür feiern, wenn ein Tool dafür bereitgestellt wird.

Die Leute lassen sich anscheinend gerne gängeln

Da muss ich mich sehr wundern. Ja, vielleicht bin ich ein alter Sack, dass ich mich noch daran erinnere, wie schön das Leben in einem freie Netz gewesen ist.

Genauso gut kann es sein, dass diese Whatsapp-Apologeten nicht merken, wie sehr sie von den Konzernen gegängelt werden. Sosehr ich die Smartphone-Revolution auch toll finde, ist es ist nicht zu übersehen, wie viel Freiheit sie uns Nutzer kostet. Auf einem Smartphone kann man (technisch überaus versierte Nutzer ausgenommen) kein eigenes Betriebssystem installieren. Auf iOS gibt es kein Vorbeikommen am App-Store. Die Idee der freien Software gerät in der Ära von iPhone und Android gewaltig in die Defensive. Und so weiter.

Das reale Problem liegt woanders

Darum begrüsse ich den Digital Markets Act, selbst wenn ich vieles wahrscheinlich anders geregelt hätte und auf die durch die Umsetzung verursachten Kollateralschäden gern verzichten könnte. Das grösste Problem sehe ich übrigens bei der Sicherheit und Verschlüsselung. Das sieht auch die Electronic Frontier Foundation so, die sich für digitale Bürgerrechte einsetzt. Lesenswert dazu ist ihre Stellungnahme The EU Digital Markets Act’s Interoperability Rule Addresses An Important Need, But Raises Difficult Security Problems for Encrypted Messaging.

Aber die Bereitschaft, die Situation als gegeben hinzunehmen, finde ich bedenklich. Mit dieser fatalistischen Haltung überlassen wir jedem Unternehmen das Feld, wenn es nur schnell genug Tatsachen schafft – weil es hinterher unmöglich sei, noch etwas zu verbessern.

Klar: Die Politik hinkt der rasanten technischen Entwicklung immer hinterher. Aber soll man sich deswegen entscheiden, nichts zu tun? Oder wäre es nicht womöglich klüger zu überlegen, wie man den politischen Prozess beschleunigen könnte?

Eines ist jedenfalls klar: Für Meta und Whatsapp ist das Ende der Fahnenstange nicht erreicht. Das Metaversum à la Mark Zuckerberg wird garantiert nicht interoperabel sein. Nein; da werden wir alles, was wir dort von früh bis spät treiben, nach dem Gusto und den Regeln des Hausherrn tun. Es wird ein so geschlossenes System sein, wie es technisch nur möglich ist, damit dort so viele Geldkreisläufe darin gefangen sind, damit Meta monetär maximal absahnen kann.

Dann ist es vielleicht tatsächlich etwas spät, nach mehr Offenheit zu schreien. Darum tun wir gut daran, das genau jetzt zu tun.

👉 Auch interessant: Unsere differenzierte Diskussion im Nerdfunk zum Thema: Wie sehr soll die EU Whatsapp plagen?

Beitragsbild: Eine Handschelle namens Whatsapp (Pixabay, Pexels-Lizenz).

5 Kommentare zu «Warum lassen wir Nerds das mit uns machen?»

  1. Ich bin grundsätzlich einverstanden, aber finde es schade, dass wir nach der Politik rufen müssen für etwas, das wir alle verbockt haben.

    Wir waren zu bequem und haben nicht nachgedacht. Schleichend haben wir uns mit dem Aufkommen von Smartphones davon verabschiedet, Herr über unsere Geräte zu sein. Am Anfang gab es noch Android-Geräte, die sich auf Knopfdruck rooten liessen. Die haben sich aber nicht besonders gut verkauft.

    Hätten wir Apple ausgelacht, als sie uns den App-Store-Zwang als Sicherheitsfeature verkaufen wollten, anstatt vor den Stores anzustehen bei jedem neuen Modell, könnte man jetzt alle Software auf iOS installieren.

    Hätten wir alle zu Affinity, PDF XChange & Co. gewechselt, als Adobe aufs Abomodell umgestellt hat, gäbe es Photoshop und Acrobat jetzt noch als Kaufversion.

    Lustigerweise sind die Windows-User die standhaftesten. Windows S mit Store-Zwang kam gar nicht gut an (was aber auch am schlechten Angebot im Store liegen kann und nicht an der Überlegenheit der Benutzer).

    1. Wer ist denn das „wir“, das schon vorher hätte handeln sollen? Das sind unzählige Nutzerinnen und Nutzer mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Fähigkeiten. Es gibt da niemanden, der die Handlungen all dieser Menschen koordiniert. Darum können die Techkonzerne tun und lassen, was sie wollen. Die Klammer, die das „wir“ zusammenfasst und den Konzernen mit genügend Macht entgegentreten kann, ist die Politik (vorausgesetzt sie ist demokratisch). Deshalb: Nein, es ist nicht schade, dass die Politik auf den Plan tritt. Es gibt keinen anderen Weg. In der Schweiz muss man übrigens nicht nach der Politik rufen, sondern kann selber Politik machen.

  2. Ich glaube schon, dass es bei den Interessen der Nutzer einen gemeinsamen Nenner gibt: Monopole oder Oligopole gehören nicht dazu, intransparente Nutzungsbedingungen auch nicht und Vermarktung persönlicher Daten schon gar nicht. Vielleicht könnte man statt direkter Einflussnahme der Politik den Konsumentenschutz stärken, die als Vertreter der Nutzerschaft gegen unfaire Bestimmungen klagen.

    1. Da bin ich voll einverstanden. Ich finde es nur schade, wenn man die Politik als etwas betrachtet, das ausserhalb von uns ist und mit dem man lieber nichts zu tun hat. Ich möchte dafür plädieren, selber in die Politik einzugreifen. Um den Komsumentenschutz zu stärken und Klagemöglichkeiten gegen unfaire Bestimmungen zu ermöglichen, braucht es entsprechende Gesetzte, die eben in der Politik ausgehandelt und erlassen werden.

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