Wie zur Freude von uns Nerds gemordet wird

Wer Krimis und Thriller nicht ver­schmäht, sollte darauf achten, dass die Mörder, die Plots und die Detek­tive den Buch­preis auch wert sind. Zwei Tipps, bei denen das der Fall ist: «Todes­frist» und «Todes­urteil» von Andreas Gruber.

Krimis, Thriller und anverwandte Genres werden nicht nur von Nerds, sondern quer durch die Bevölkerung gelesen.

Um hier trotzdem eine Rechtfertigung zu haben, in meiner Nerdliteratur-Rubrik zwei Bücher aus diesem Bereich ins Spiel zu bringen, stelle ich die (gewagte?) These auf, dass Nerds dem Nervenkitzen nicht abgeneigt sind, aber hohe Ansprüche an ihn stellen. Ein unausgegorener Plot, eine nicht stringente Erzählung und Nerds sind raus. Narrative Taschenspielertricks lassen wir bei den Fantasy-Storys gelten, aber nicht bei Werken, die von sich behaupten, in unserer Welt angesiedelt zu sein. Wenn ein Autor uns weismachen will, dass sich seine Geschichte so zugetragen haben könnte, wie er sie uns zum Besten gibt, dann muss sie realitätsnah erzählt und glaubwürdig konstruiert sein.

Das macht dieses Genre viel anspruchsvoller, als man auf den ersten Blick glauben könnte: Wenn es mehr um die Figuren und deren Innenleben geht, ist der Autor nicht verpflichtet, irgendwelche losen Enden am Ende zusammenzufügen. Beim Krimi und Thrillern ist das Pflicht: Eine bedeutungsschwangere Szene, die alles offen lässt, gibt Ein-Sterne-Bwertungen bei Amazon und Leser, die den Autor künftig meiden werden wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser. Wer einen Krimi liest, will am Ende einen grossen Aha-Moment erleben. Die Aufklärung des Falls ist wie das Dessert bei einem üppigen Dinner: Wenn das weg- oder abfällt, dann sind auch die vier vorherigen Gänge ruiniert.

Ohne den perfekten Nachtisch ist das ganze Menü Mist

Dieses Dessert soll überraschen. Es ist auch okay, wenn die Person der Gerechtigkeit zugeführt wird, die man schon von Anfang an in Verdacht hatte – dann ist zwar die Überraschung nicht so gross, dafür darf man sich als Leserin als Star-Ermittlerin fühlen. Und eben: Gute Enden zu erzählen, ist eine Kunst für sich. Das verhauen selbst manche der ganz Grossen: Stephen King zum Beispiel hat schon viele gute Bücher geschrieben, die im Finale schwer enttäuschen.

Also, ein guter Krimiautor muss einen spannenden, wasserdichten Plot parat haben. Er braucht interessante Figuren, die zwar im Dienst der Geschichte stehen, die – im Fall des Täters – aber ein gutes Motiv für ihr Treiben benötigen und – im Fall der Ermittler – ihre Aufgabe souverän erledigen, zwischendurch aber dennoch an ihr verzweifeln sollten. Denn ein Erfolg, der einem in den Schoss fällt, ist nur halb so süss wie einer, der mit Blut, Schweiss und Tränen erkämpft worden ist. Und wir Leserinnen mögen es, wenn der Held zwischendurch heftig eins auf den Deckel kriegt. Dann fühlen wir uns darin bestätigt, dass es allen so geht, auch den Guten.

Und als ob das nicht schon schwierig genug wäre, braucht es interessante Schauplätze, packende und anschauliche Beschreibungen und ein Stil, der unterhaltsam ist, einen Wiedererkennungswert hat, aber nicht so exzentrisch ist, dass er von der Geschichte ablenken würde.

Der Literaturnobelpreis ist einfacher

Ich wage die, vielleicht etwas leichtsinnige, Behauptung, dass man als Autor eines gesellschaftskritischen Romans die Chance auf einen Literaturnobelpreis hat, wenn man in zwei dieser Bereiche gut ist – sagen wir beim Stil und bei der psychologischen Charakterisierung der Figuren –, man aber als überzeugender Thriller-Autor sich nirgends eine Blösse geben darf. Zumindest keine grobe. Am verzeihlichsten sind stilistische Ausrutscher. Denn wenn die Geschichte spannend ist, dann liest man als Leserin über stereotype und abgedroschene Formulierungen hinweg – weil man unbedingt wissen muss, wie es weitergeht.

Damit sind wir beim Autor, um den es heute gehen soll: bei Andreas Gruber. Er schreibt publikumswirksame Geschichten, die auch die Anforderungen von uns Nerds erfüllen – zumindest, soweit ich das anhand der beiden bis dato gelesenen Bücher beurteilen kann. Er trägt zwar sowohl bei den Plots als auch bei den Figuren reichlich dick auf.

Aber auch wenn ich es für ausserordentlich unwahrscheinlich halte, dass seine Geschichten sich in unserer Welt tatsächlich abspielen könnten, so lässt es sich nicht wegdiskutieren, dass sie möglich wären. Also, Plots und Figuren gefallen mir, insbesondere auch, dass es bei Gruber viele interessante Frauenfiguren gibt. Die Versatzstücke, die sich am Schluss zu einem Ganze fügen, sind schön in der Erzählung arrangiert. Und wenn man denkt, irgendwo ein Loch in der Story entdeckt zu haben, dann ist der Plot noch nicht zu Ende – und entlang dieser Frage löst sich ein Nachbeben.

«Die Dialoge!» – «Die Dialoge?» fragte er

Wie angedeutet überzeugt er mich etwas weniger als Stilist und bei den Beschreibungen. Auch die Dialoge erfüllen ihren Zweck, sind aber längst nicht so gut, wie Dialoge sein könnten. Was, nebenbei bemerkt, ein Problem europäischer Autoren zu sein scheint. Oder kennt jemand von euch ein Autorin, der Dialoge schreibt, die man sogleich rezitieren möchte? Falls ja, empfehlt sie mir bitte über einen Kommentar!

Also, nun wollt ihr natürlich wissen, welche beiden Bücher ich gelesen habe. Das sind die ersten beiden Geschichten aus der Sabine-Nemez-und-Maarten-S.-Sneijder-Reihe: Todesfrist und Todesurteil von 2013 und 2015. Beide sind spannende Unterhaltung; das zweite raffinierter gestrickt als das erste, das erste dafür mit einem originelleren Plot.

Beide empfehle ich gern als Ferien- oder Zerstreuungslektüre, aber, ohne dass man sich besondere Erkenntnis zur menschlichen Natur oder zur aktuellen Weltlage erhoffen sollte. Mir gefallen die Plots und die stringente Erzählweise; Andreas Gruber schreibt Page Turner, die dieses Prädikat ohne Vorbehalt verdienen. Auch wenn mehrere Erzählstränge ineinander verwoben sind und es Rückblenden gibt, behalte auch ich (als nicht immer hoch konzentrierter) Leser die Übersicht.

Grösster Kritikpunkt: die Brutalität. Die Geschichten sind oft blutiger und sadistischer als es IMHO sein müsste. In diesem Punkt erinnert er mich an Stieg Larsson – und wenn wir bei den Parallelen sind, dann gibt es auch bei dessen Millenniums-Trilogie ein Ermittlerpärchen. Allerdings sind die Rollen vertauscht; bei Stieg Larsson ist die Frau, Lisbeth Salander, der verschrobene, exzentrische Charakter, bei Andreas Gruber der Mann, Maarten S. Sneijder.

Der grösste Unterschied der beiden Autoren scheint mir bei der politischen Dimension zu sein: Stieg Larssons Bücher hatten einen aktuellen Bezug zu den Geschehnissen in Schweden, denn der Autor war ein Experte für Faschisten und Rechtsextreme in seinem Land. Diese Dimension fehlt bei Gruber, weswegen ich ihn nicht den «österreichischen Larsson» nennen würde. Trotzdem lasse ich mich nicht zu weit auf die Äste hinaus, wenn ich sage, dass Leserinnen und Leser, die die Millennium-Trilogie mochten, auch mit dieser Reihe gut bedient sind.

Wegen des Covers hätte ich dieses Buch nicht gekauft.

Also, ab hier gibt es Spoiler: Am Anfang von «Todesfrist» wird die Münchner Kommissarin Sabine Nemez mit einer ermordeten Frau konfrontiert, die sich als ihre Mutter herausstellt, die in Tinte ertränkt worden ist

Sie ist nur eine in einer Reihe von Morden, die so seltsam und bizarr sind, dass das Ermittlungsgenie Maarten S. Sneijder vom BKA hinzugezogen wird – ein Mann, der genauso scharfsinnig wie exzentrisch ist (wenn das mal kein Krimi-Klischee ist!). Er ist Niederländer, raucht Gras, wo er geht und steht, klaut Bücher, legt gesteigerten Wert auf das S. in seinem Namen und ist der sprichwörtliche Kotzbrocken, der irgendwo doch einen weichen Kern hat.

An den Händen beiden // liess er sich nicht schneiden

Obwohl Sabine Nemez ein Greenhorn ist, entdeckt sie das verbindende Element bei den Morden. Sie orientieren sich an den Episoden aus Struwwelpeter, jenem Kinderbuch, das es früher trotz seines verstörenden Inhalts in jedem Haushalt gab, weil es dem Nachwuchs auf drastische Weise simple Lebensweisheiten zu verstehen gab wie: Du sollst keine Tiere quälen, nicht mit Feuer spielen, keine Leute verspotten und nicht an den Fingern lutschen.

Diese Geschichte als Ausgangslage für einen Thriller zu nehmen, ist so naheliegend, dass ich mich wundere, dass das nicht früher passiert ist (falls es nicht schon früher passiert ist). Es liegt nahe, dass der Täter die Seele eines gequälten Kindes hat, der es seinen Peinigern mit den erzieherischen Mitteln des Struwwelpeter-Autors Heinrich Hoffmann heimzahlt.

… und dieses auch nicht.

Bei «Todesurteil» hat Sabine Nemez ihren Traum erreicht: Sie tritt ihre Ausbildung an der BKA-Akademie für herausragende Kriminalisten an, weil Maarten S. Sneijder ein paar Strippen für sie gezogen hat. Sie erfährt an der Akademie von einigen ungelösten Fällen, in die auch ihr Ex-Freund verwickelt ist.

Der liegt allerdings mit einem Kopfschuss im Krankenhaus und kann nicht mehr aussagen. Sie sieht bei diesen Fällen eine Verbindung, zum Beispiel, dass sie sich alle im Abstand eines Jahres ereignet haben.

Der Marionettenspieler

Doch alle Ermittlungsprofis sagen ihr, sie sehe Gespenster: Der Modus Operandi sei bei jeder sei so anders, dass es sich nicht um den gleichen Täter handeln könne, weil niemand sich sosehr verstellen könne. Doch natürlich lässt sich Sabine Nemez davon nicht abhalten und entdeckt, wie das Unmögliche erklärbar ist: Ein Täter zieht im Hintergrund seine Strippen und bringt Leute dazu, wie Marionetten an seiner Stelle die abstrusesten Morde zu begehen.

Mit diesem Wissen kommen sie auch dem Fall der zehnjährigen Clara auf die Spur, die entführt und nach einem Jahr wieder auftaucht – mit einer den ganzen Rücken bedeckenden Tätowierung, das Motive aus Dantes «Inferno» zeigt.

Beitragsbild: Alles klar, Frau Kommissar? (Shvets Production, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «Wie zur Freude von uns Nerds gemordet wird»

  1. Mein Fazit nach den ersten fünf Bänden (günstig als Hörbuch gekauft, teilweise gekürzt) ist leider etwas weniger positiv. Die Charaktere sind wirklich interessant und die Handlung spannend erzählt. Aber wenn man auch nur kurz über das Geschehen nachdenkt, fällt alles in sich zusammen: 1) Die Fähigkeiten der Bösewichte sind auf plumpe Weise überhöht und zur Not haben sie einfach Glück. 2) Die Ermittler, eigentlich die Besten der Besten, lassen sich regelmässig auf simpelste Art übertölpeln, können in entscheidenden Situationen kein Smartphone bedienen und haben auch nach fünf Bänden noch keinen Leatherman dabei, obwohl der so manche Probleme gelöst hätte. 3) Es häufen sich die Seifenopern-Wendungen, d.h. ungeahnte Verwandtschaften und jeder hat Dreck am Stecken.

    Was mich immer wieder ratlos zurückgelassen und letztlich von der Reihe weggebracht hat, ist das selbstverständliche Ignorieren von Rechtsstaatlichkeit durch die Hauptcharaktere. Die Romanreihe driftet so leider weg vom Krimi-Genre, hin zum 0815-Brutalo-Action-Gedöns.

    1. Danke für den Kommentar mit der Perspektive über die ganze Serie. Ich bin gespannt, zu welchem Fazit ich kommen werde, wenn ich durch bin – und ob ich so lange durchhalte. Die Kritik kann ich nachvollziehen. Dafür, dass die Ermittler so genial sind, sind die Storys offensichtlich darauf angelegt, dass die BKA-Leute von A–Z immer einen Schritt hintendrein hecheln. Und ja, das Prinzip «Der Zweck heiligt die Mittel» wurde bei amerikanischen, die Selbstjustiz verherrlichenden Serien schon vor vierzig Jahren überstrapaziert. Ich glaube nicht, dass das hierzulande noch taugt.

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