Sieben Stunden Günther Jauch – am Stück

Im Podcast «Alles gesagt?» kann der Gast so lange sprechen, bis ihm nichts mehr einfällt oder vor Müdig­keit die Augen zuklappen. Ist das ein geniales Format – oder eines, das belegt, dass man nur wenigen Leuten bis zum Ende zuhören will?

Macht kürzere Podcasts, habe ich vor zehn Jahren gefordert. Damals waren die Laber-Formate en vogue, die auch vier oder fünf Stunden dauern konnten. Die Prämisse war, alles bis zum bitteren Ende auszudiskutieren – oder bis zu dem Punkt, wo das Bier oder die Konzentration endgültig alle war.

Nun bin ich es mir gewohnt, dass man nicht auf mich hört. Auch «Die Zeit» hat weder meine Expertise eingeholt noch (was noch einfacher gewesen wäre), meinen Blogpost gelesen. «Die Zeit» hat nämlich ein Format im Angebot, bei dem das, was ich als Not sehe, zur formgebenden Tugend erklärt wird. Will sagen: In diesem Podcast dauert ein Gespräch so lange, bis der Gast es für beendet erklärt. Dafür wird am Anfang eine Art Safeword vereinbart. Sobald das geäussert wird, kommt ohne eine weitere Floskel oder eine Verabschiedung der Abspann, und die Sache ist zu Ende.

Bevor ich mir die allererste Folge angehört habe, war ich hin- und hergerissen: Ist das genial, weil es die Idee des Laberpodcasts konsequent zu Ende denkt? Ist es eine Zwängerei, weil dieses Format es darauf anlegt, eine Grenzerfahrung zu sein? Ist es emanzipatorisch, weil es dem Gast die Macht gibt, über das Ende zu bestimmen? Diese Rolle kommt in allen anderen Formaten bekanntlich dem Gastgeber zu. (Es sei denn, der der Gast haut mitten in der Sendung ab, wie das seinerzeit Chris von Rohr bei Ueli Schmezer getan hat.)

Ein Trick, die Leute dazu zu bringen, sich um Kopf und Kragen zu reden?

Oder ist es vielmehr eine Falle, die auch erfahrene Medienprofis dazu bringen soll, sich um Kopf und Kragen zu reden? Denn liegt nahe anzunehmen, dass nach zwei, drei Stunden, wenn die Müdigkeit einsetzt, auch die inneren Kontrollmechanismen nicht mehr so gut funktionieren und Dinge gesagt werden, die bei voller geistiger Kraft der Schere im Kopf zum Opfer gefallen wären?

Da steh ich hier, ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor.

Der Podcast heisst Alles gesagt? (RSS, iTunes, Spotify) und wirft den Ball inhaltlich dem Gast zu. Die beiden Gastgeber haben zwar Fragen vorbereitet, aber natürlich lässt sich ein Gespräch von unbekannter Länge auch nicht strukturieren: Man kann zwar dafür sorgen, dass man einigermassen zügig warmläuft – aber dann bleibt es thematisch ein Blindflug, bei dem es nicht wie bei einem normalen Interview einen (mehr oder weniger) geplanten Ablauf gibt, der auf ein «rundes» Ende zuläuft. Es ist unvermeidlich, dass es vermeintlich abgehakte Themen wieder aufgenommen werden.

Und natürlich eignet sich eine Situation, die einer Carte blanche für den Gast gleichkommt, nicht für ein hartes Interview. Es gibt zwar die Möglichkeit, ab und zu auch eine kritische Frage einzustreuen, aber man kann seinen Gast nicht stundenlang verhören – sonst liefert er womöglich tatsächlich ein Geständnis ab, auf das weder der Interviewer noch das Publikum vorbereitet ist. Das einzige, was man als Interviewer als Vorbereitung für so eine Marathonübung tun kann, ist viele allgemeine Fragen und einiges an Detailwissen über den Gast parat zu haben. Man kann zur Auflockerung auch einmal Frage-Antwort-Spiel oder etwas in der Art einbauen – aber es bleibt dabei, dass die Journalisten primär dafür sorgen müssen, dass der Gast nicht einschläft.

Das Regiment dürfte noch etwas strenger sein

Die beiden Interviewer in «Alles gesagt?» sind Christoph Amend, der Editorial Director (Chefredaktor?) des «Zeit-Magazins» und Jochen Wegner, der Chefredakteur von «Zeit Online». Sie lassen dem Gast viel Raum und erlauben es ihm zu monologisieren, wenn ihm danach ist. Man könnte meinen Einwänden zum Trotz ein etwas strengeres Regiment führen, aber ich habe den Eindruck, dass es tatsächlich darum geht zu sehen, wie lange der Gast durchhält – ohne dass man ihm durch Aufdringlichkeit oder hartnäckiges Nachfragen die Lust vergällt.

Und interessant ist in der Tat, wer wie lange durchhält. Der Generalsekretär der deutsche SPD, Kevin Kühnert, hat fast acht Stunden durchgehalten (7:55). KI-Forscher Richard Socher schaffte 8:17 und Rezo sogar 8:40. Das verdient meinen unbedingten Respekt – und legt nahe, dass man, wenn man in den Podcast eingeladen wird und etwas auf sich hält, unbedingt die zehn Stunden anpeilen müsste. Früh schlapp gemacht haben Sven Regener (2:20) und Annalena Baerbock (2:56). Uli Wickert, Ex-Tagesthemen-Moderator, war zweimal: Einmal hat er zwölf Minuten und 17 Sekunden ausgehalten, bevor ihm das Safeword rausgerutscht ist.

Beim zweiten Mal kam er auf 4:47. Das habe wiederum ich nicht durchgehalten, weil mir die Eloge am Anfang über Frankreich zu ausufernd wurde. Ansonsten ist Nina Hoss die Frau mit dem kürzesten Geduldsfaden, sie hat in der zweiten Folge nach 1:36 das Handtuch geworfen.

Ein Profi bleibt auch nach sieben Stunden Herr der Botschaft

Ich habe eingangs angedeutet, dass ich mir unschlüssig bin, ob das «Alles gesagt»-Format genial oder missraten ist. Nachdem ich die Folge mit Günther Jauch zur Gänze angehört habe (6:27), bin ich mir noch immer nicht sicher. Erstens habe ich mehr erfahren, als ich über Günther Jauch je wissen wollte.

Zweitens blieb trotz allem viel im Dunkeln: Ich glaube, irgendwelche insiderhaften Schwänke aus dem Alltag eines Privatfernsehstars hätte mich mir noch viel länger anhören können – aber Jauch ist Medienprofi genug, um auch nach sechs Stunden und zwanzig Minuten noch Herr seiner Botschaft zu sein.

Am spannendsten fand ich übrigens, wie Jauch erzählt hat, wie penibel er sein Bild in der Öffentlichkeit kontrolliert: Jeder Ausschnitt, der aus einer seiner Sendungen irgendwo wiederholt wird, muss von ihm persönlich genehmigt werden. Ausserdem verlangt er routinemässig Gegendarstellungen zu falschen Aussagen, die über ihn in der Boulevardpresse erscheinen. Dafür hat eine Anwaltskanzlei ein Dauermandat und es gehört zu Jauchs täglicher Routine einzuschreiten, sobald eine Frauenzeitschrift insinuiert, er hätte ein gemeinsames Kind mit Steffi Graf oder sonst ein düsteres Geheimnis.

Fazit: Wenn eine Person, an der man einen Narren gefressen hat, zufällig in «Alles gesagt?» auftreten sollte, dann ist das ein Glück: Man erfährt so viel über sie, wie es sonst nur der Fall wäre, wenn sie eine selbst eingesprochene Autobiografie als Hörbuch veröffentlichen würde.

Es kann passieren, dass nach vielen Stunden nur wenig Erkenntnisgewinn bleibt

Zumindest im Idealfall. Genauso ist denkbar, dass in endlosen Monologen banale Lebensweisheiten breitgetreten werden. Ich denke, dass dieses Format im Sinn eines Experiments seine Berechtigung hat, auch wenn es dem Zuhörer einiges an Geduld abverlangt: nur wenige Leute sind nach fünf Stunden noch genauso spritzig wie gleich zu Beginn eines Gesprächs. Zu meinen Lieblings-Podcasts wird «Alles gesagt?» nicht avancieren – dafür ist es zu sperrig und das Verhältnis von Aufwand und Ertrag nicht immer im Einklang.

Beitragsbild: Ein Podcast für Leute mit viel Durchhaltewillen (Pietro Rampazzo, Unsplash-Lizenz).

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