Wenn der Sprecher ein tolles Hörbuch verhunzt

Ist Audible zu schlampig bei der Aus­wahl der Sprecher? Ein exem­pla­risches Beispiel, bei dem diese Vermu­tung im Raum steht. Plus eine weitere mög­liche Er­klä­rung – und eine Job­chance für alle, die gerne Ge­schich­ten erzäh­len und die pas­sen­de Stimme dazu haben.

Neulich habe ich die tolle Buchserie von Tom Hillenbrand besprochen, in der der detektivisch veranlagte Luxemburger Koch Xavier Kieffer kulinarisch angehauchte Kriminalfälle löst. Da ich sie als Hörbuch gehört habe, ergab sich die Gelegenheit, die besondere Leistung des Sprechers hervorzuheben: Gregor Weber macht das hervorragend, und er ist eine Idealbesetzung für das Buch.

Nun bin ich bei der siebten Folge der Reihe angelangt, die Goldenes Gift heisst und sich mit gefälschtem Honig und dem schwierigen Verhältnis von Menschheit und Bienentum beschäftigt. Ich lasse mich sicherlich nicht zu weit auf die Äste hinaus, wenn ich davon ausgehe, dass Tom Hillenbrand den Film More than Honey von Markus Imhoof auch gesehen hat.

Diese Folge wird nicht mehr von Gregor Weber gelesen, sondern von Stefan Lehnen, der viele Hörbücher gesprochen hat und den man fernsehmässig offenbar aus der Serie «Strum der Liebe» kennt.

Stefan Lehnen tritt ein schweres Erbe an, dem er nicht gerecht wird: Er ist bei den Stimmen für die einzelnen Figuren nicht so vielseitig wie Gregor Weber, was sich exemplarisch bei Kieffers Freund Pekka Vatanen zeigt. Weber spricht ihn mit einem komödiantisch angehauchten finnischen Akzent, Lehnen mit einer akzentfreien Raspelstimme.

Wenn aus der französischen Kirche eine spanische wird

In Tom Hillenbrands «Goldenes Gift» hat mit Remi Schuessler ein Nachnamensvetter von mir einen Auftritt.

Noch auffälliger ist der Unterschied bei den französischen und luxemburgischen Begriffen, die es im Buch zuhauf gibt. Weber, der aus dem Saarland stammt, beherrscht die perfekt. Bei Lehnen hingegen ist nicht zu überhören, dass er nicht oder nicht gut Französisch spricht: Gleich mehrfach wird aus der Kirche in Kieffers Restaurant «Deux Églises» eine leicht spanisch klingende «Igles».

Das ist bedauerlich, eröffnet jedoch auch die Möglichkeit, dem Einfluss des Sprechers auf den Grund zu gehen. Es ist offensichtlich, dass ein überzeugender Sprecher (oder «Performer», wie es bei den englischen Hörbüchern oft heisst), eine Symbiose mit der Geschichte und ihren Figuren eingeht. Daran lassen die Kommentare bei Audible keinen Zweifel: Die fallen teils verheerend aus: «Sprecherwechsel in die Belanglosigkeit», «Stefan Lehnen als neuer Xavier ein No-go», «Neuer Sprecher vermiest das Hörbuch» – und so weiter.

Mitgegangen, mitgehangen…

Erstaunlich finde ich, dass die enttäuschten Hörerinnen und Hörer oft nicht nur dem Sprecher eine schlechte Note verteilen. Bei Audible gibt es nebst einer Gesamtnote separate Zensuren für Geschichte und Sprecher. Im Fall von «Goldenes Gift» geben viele der Weber-Fans dreimal nur einen Stern, manche auch zwemal maximal schlecht (für Sprecher und Gesamteindruck). Das halte ich ungerecht dem Autor gegenüber, der auch bei diesem Buch einen hervorragenden Job macht. Aber ein Hörbuch ist eine Teamleistung, bei der das Versagen des einen auf die anderen abfärbt. Wie beim Film, wo ein tolles Drehbuch nichts nützt, wenn die Schauspieler es vermasseln.

Ich habe mich gefragt, ob Audible diesem Umstand ausreichend Rechnung trägt. Im Fall von Xavier Kieffer ist das meines Erachtens nicht der Fall. Warum der siebte Teil nicht Gregor Weber gelesen wird, weiss ich nicht. Meine Vermutung ist, dass die Sprechrollen für Hörbücher bei den Schauspielern in der Priorität eher hinten rangieren und für ein Engagement bei einer Film- oder Fernsehproduktion ausgeschlagen werden. Da neue Hörbücher oft zeitnah eingelesen werden sollen, kann die Versuchung für ein Studio gross sein, den Sprecher zu nehmen, der verfügbar ist – und nicht derjenige, er am besten geeignet wäre.

Ob das bei «Goldenes Gift» der Fall war, kann ich nicht sagen. Ich wollte eine Anfrage an Gregor Weber, habe bislang aber keine Kontaktadresse gefunden. Falls jemand den Kontakt herstellen kann, wäre das aufschlussreich. Bei Wikipedia heisst es jedenfalls, Weber sei seit 2016 «nicht mehr als Schauspieler in Erscheinung getreten». Er hat offenbar sein Tätigkeitsfeld verlagert, wenngleich sämtliche Kieffer-Hörbücher nach 2017 erschienen sind.

Nicht jeder kann Isländisch. Aber!

Wie auch immer: Ich verstehe, dass es wenige Sprecher gibt, die ausreichend Isländisch beherrschen, um eine Geschichte von Arnaldur Indriðason authentisch rüberzubringen. Aber einer, der Französisch kann und stimmlich näher an Gregor Weber hätte sich doch finden lassen müssen. Oder?

Meine Vermutung ist, dass der Pool von Sprechern im deutschsprachigen Raum relativ klein, bzw. zu klein für das wachsende Angebot ist. (Dass es wächst, habe ich hier analysiert.) Bei den englischsprachigen Büchern passen Sprecher und Bücher oft hervorragend zusammen: Es gibt sie viel öfters, die idealen Paarungen, wie Stephen Fry und J.K. Rowling, Luke Daniels und Scott Meyer, Ray Porter und Andy Weir oder Grover Gardner und Stephen King – und das sind nur die, die mir spontan eingefallen sind.

Mit anderen Worten: Da liegt ein Feld brach. Ich glaube, wer schauspielerisches Talent hat, aber sich nicht gedrängt fühlt, unbedingt vor die Kamera zu treten, der hat im Moment eine vielversprechende Chance, als Erzähltalent einen Fuss in die Studiotür von Audible zu bekommen. Vor allem hierzulande, wo die meisten Leute auch einigermassen Französisch können…

Beitrag: Bei den Frauenstimmen scheint mir der Fachkräftemangel noch ausgeprägter zu sein (Karolina Grabowska, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «Wenn der Sprecher ein tolles Hörbuch verhunzt»

  1. Der neue Sprecher hatte mich nach einer Hörprobe vom Erwerb des Hörbuches Abstand nehmen lassen.
    Soeben festgestellt: Inzwischen gibt es eine Neuaufnahme mit Gregor Weber.

    Audible sagt dazu: „Liebe Hörerinnen und Hörer, aufgrund von Kundenrückmeldungen haben wir uns entschieden diesen Titel nochmal neu mit Gregor Weber als Sprecher aufzunehmen.“

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