Facebook bleibt uns vorerst erhalten

Die Drohung von Meta, sich aus Europa zurückzuziehen, ent­puppte sich als Wort­hülse. Aber ist wenigs­tens etwas an der Behaup­tung dran, wir hätten uns wegen mangeln­der Eigen­ver­ant­wor­tung beim Schutz unserer Daten selbst in diese miss­liche Lage ge­bracht?

Dann geh doch, Mark Zuckerberg, war meine Spontan-Reaktion, nachdem ich gelesen habe, wie wenig Lust Meta hat, sich den europäischen Datenschutzwerten zu beugen. Bekanntlich ist das Safe-Harbor-Abkommen vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärt worden, weil es den hiesigen Datenschutzvorstellungen zu wenig Rechnung trägt und es ermöglicht, Daten zwischen Gebieten auszutauschen, konkret zwischen den USA und europäischen Ländern.

Wenn es nicht bald zu einer neuen Regelung komme, sei Meta «wahrscheinlich nicht mehr in der Lage, eine Reihe unserer wichtigsten Produkte und Dienstleistungen,
einschliesslich Facebook und Instagram, in Europa anzubieten».

Diese Aussage war als Drohgebärde gedacht, hat sich aber als Rohrkrepierer erwiesen: Von den 120 Kommentaren unter dem Artikel haben sich nur ein paar wenige verständnisvoll geäussert; den meisten anderen ging es so wie mir: Sie sehen es als Chance für die Konkurrenz, wenn Facebook seinen Platz räumen würde.

«Wir selbst haben nicht ausreichend aufgepasst»

Auch «Heise» fragt: «Warum nicht?» In seinem Beitrag ergänzt Andreas Wilkens, wir alle seien auch selbst schuld:

Meta konnte bisher schalten und walten, wie es ihm beliebt. Im Grunde aber heisst es auch, wir selbst haben nicht ausreichend auf unsere Daten aufgepasst. So können davon Meta, Google, Amazon, Microsoft, Apple und wie sie alle heissen, bisher leben wie Krösus. Facebook und Twitter und andere soziale Netzwerke, allesamt Privatunternehmen, wurden gar zu Gatekeepern dessen, was Milliarden Menschen sagen dürfen und was nicht.

Das klingt einleuchtend, aber ich bin nicht einverstanden: Was hier anklingt, ist die Forderung nach der Eigenverantwortung. Und genauso wenig, wie man eigenverantwortlich eine Pandemie stoppen kann, reicht sie aus, um milliardenschwere Konzerne in die Schranken zu weisen.

Natürlich, wenn von vornherein klar gewesen wäre, wie problematisch das Geschäftsmodell «Leistung gegen persönliche Daten» ist, wären wir alle vorsichtiger gewesen. Aber während sich das langsam etabliert hat, war uns Nutzern genauso wenig wie den Konzernen klar, wohin es führen würde – sonst wären wir vorsichtiger gewesen und die Konzerne vielleicht ein bisschen weniger dreist.

So einfach ist das nicht

Aber den meisten Leuten ist das Ausmass der Bredouille erst aufgegangen, nachdem sie Meta, Google, Amazon, Microsoft, Apple und wie sie alle heissen schon fest in ihren digitalen Alltag eingebaut haben. Jetzt eine Kehrtwende zu vollziehen, ist zwar nicht unmöglich, aber mit harten Einschnitten verbunden – genauso, wie wenn man die Pandemie oder den Klima mittels Eigenverantwortung würde beseitigen wollen.

Abgesehen davon muss man sich Eigenverantwortung erst einmal leisten können. Das gilt für die Pandemie, in der es Leute gibt, die ihren Lebensunterhalt in Jobs verdienen, die es nicht zulassen, dass man sich eben mal schnell aus der Gefahrenzone bringt. Es gilt auch für die digitale Welt, in der die aus Sicht des Datenschutzes besseren Alternativen in aller Regel teurer sind – oft aber auch weniger benutzerfreundlich, nicht so weit verbreitet und schwieriger durchzusetzen.

Es gab auf meinen Artikel, Mark Zuckerberg möge sich doch von hinnen schleichen, wenn ihm die strengeren Regeln in Europa nicht gefallen, noch eine weitere Reaktion. Sie erreichte mich in Form eines Leserbriefs:

Selten so gelacht!
Seit wann kann der Zuckerberger (sic) «denken»?
Bei der «Programmierung»?
Cambridge-Vorfall schon vergessen?

Plus noch einige weitere Beleidigungen in Richtung des Facebook-Chefs.

«Mark, hier ein Löffel deiner eigenen Medizin»

Normalerweise ist es nicht meine Art, auf Anwürfe zu reagieren, die sich hauptsächlich auf der persönlichen Ebene abspielen. In dem Fall fand ich es ironisch, dass der Mann genau den Tonfall angeschlagen hat, den ich vorwiegend von Facebook her kenne: Pampig hingeworfene Verbalinjurien, die im Idealfall mit einem vagen Hinweis auf ein sachliches Argument garniert sind – in dem Fall hier der Hinweis auf Cambridge Analytica.

Abgesehen davon bin ich überzeugt, dass dieser Leser falschliegt: Mark Zuckerberg kann selbstverständlich denken. Ich halte es für ausgeschlossen, dass er diesen Konzern hätte aus dem Boden stampfen können, wenn er bloss seiner «Programmierung» gefolgt wäre – was man im menschlichen Kontext vielleicht mit «Instinkt» übersetzen könnte.

«Wir sind gesetzlich verpflichtet, jawoll!»

Zuckerberg kann nicht nur denken, sondern auch hervorragend abwägen, wie weit er gehen kann. Er hat auch jetzt schnell gemerkt, dass er den Bogen überspannt hat. In der Pressemeldung vom Dienstag, Meta Is Absolutely Not Threatening to Leave Europe, heisst es:

In der Presse war zu lesen, dass wir «drohen», Europa zu verlassen, weil die Mechanismen für die Datenübermittlung zwischen der EU und den USA unsicher sind. Das ist nicht wahr. Wie alle börsennotierten Unternehmen sind wir gesetzlich verpflichtet, unsere Anleger über wesentliche Risiken zu informieren. In der vergangenen Woche haben wir, wie schon in den letzten vier Geschäftsquartalen, offengelegt, dass die anhaltende Ungewissheit über die Mechanismen des Datentransfers zwischen der EU und den USA eine Bedrohung für unsere Fähigkeit darstellt, europäische Verbraucher zu bedienen und unser Geschäft in Europa zu betreiben.

Schade, werden manche finden.

Beitragsbild: Hier geht es raus, falls es sich Meta doch noch anders überlegt (Possessed Photography, Unsplash-Lizenz).

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