Ada steht voll auf freie Software

«Ada & Zangemann» von Matthias Kirschner und Sandra Brandstätter ist ein Kinderbuch, das sich für freie Software und für einen selbstbestimmten Umgang mit vernetzten Geräten einsetzt.

Matthias Kirschner ist Präsident der FSFE, der Free Software Foundation Europe. Das ist die Schwester der FSF, einer US-amerikanischen Organisation, die sich der Förderung der freien Software verschrieben hat. Gegründet wurde sie 1985 von Richard Stallman, der wohl schillerndsten Figur aus dieser Szene. Mit Matthias Kirschner habe ich 2015, anlässlich des 30. Geburtstags der Bewegung, ein Interview mit ihm geführt.

Neuerdings ist Matthias Kirschner auch Autor eines Kinderbuchs. Es heisst Ada & Zangemann, wurde von Sandra Brandstätter illustriert und ist bei O’Reilly erschienen und für 16,90 Euro auch bei Amazon erhältlich.

Die Geschichte dreht sich um ein Mädchen mit dem schönen Namen Ada, der natürlich eine Verbeugung vor Ada Lovelace, die als erste Programmierin der Welt gelten darf und die auch in einem anderen empfehlenswerten Kinderbuch vorkommt: nämlich in Goodnight Stories for Rebel Girls. Ihr Gegenspieler ist ein berühmter Erfinder namens Zangemann, der mit seinem Rollkragenpullover etwas wie Steve Jobs aussieht, in seiner Kontrollsucht aber jeden CEO erinnert, der mittels Marktmacht und proprietärer Software versucht, seine Kunden zu gängeln.

Mit dem goldenen Computer die Kundschaft gängeln

Auch bei ihm ist der Name Programm: Er nimmt seine Kundschaft in die Zange, indem er über einen goldenen Computer deren computerisierte Alltagsgegenstände nach seinem Gusto programmiert: Wenn er auf einem Trottoir von einem Jungen, der eines seiner smarten Skateboards benutzt, fast umgefahren wird, wird die Rollbrett-Firmware so umprogrammiert, dass die nur noch abseits der Gehwege Schub gibt. Die vernetzten Lautsprecher erhalten eine Lautstärkenbegrenzung – ausser bei der Marschmusik, die dem Herrn Zangemann gefällt.

Der goldene Computer, von dem aus Zangemann die vernetzten Geräte regiert.

Das ist charmant erzählt und mit tollen Bildern von Sandra Brandstätter illustriert. Aber es ist offensichtlich nicht nur ein modernes Märchen, sondern auch eine doppelte Kampfschrift: erstens für freie Software, zweitens fürs Programmieren und für die digitale Selbstbestimmung, die man nur dann erlangt, wenn man fähig ist, selbst Herrin seiner vernetzten Geräte zu werden.

Dass ich hinter beiden Ideen stehe, dürfte den meisten Lesern dieses Blogs hier klar sein. Unabhängig davon steht eine Frage im Raum, der ich hier einen kleinen Exkurs widmen möchte – warum ich das tue, erkläre ich dann auch noch.

Wie viel Botschaft gehört in ein Kinderbuch?

Die Frage lautet, ob die Methode legitim ist, den Kinder eine in eine hübsche Geschichte verpackte Botschaft zu vermitteln – oder ob das nicht vielmehr eine Art trojanisches Pferd ist, um ihnen Werte einzuimpfen, über die sie selbst entscheiden sollten.

Ich finde das eine spannende und gleichzeitig eine schwierige Frage. Einerseits ist es offensichtlich, dass wir Eltern unseren Kindern Werte vermitteln wollen und sollen – das liesse sich auch gar nicht vermeiden, selbst wenn wir noch so sehr versuchen würden, uns immer neutral und agnostisch zu verhalten.

Andererseits habe ich den Impuls, meine und fremde Kinder auf gar keinen Fall mittels Büchern zu bekehren und zu belehren. Ich erinnere mich, dass es mir schon als Kind schräg reingekommen ist, dass mir meine Kindergärtnerin eine Bibel geschenkt hat, weil ich keine hatte und damit ich nicht als Heide aufwachsen müsse (was nicht geklappt hat). Und auch wenn religiöse Gesinnung und der Kampf für freie Software beileibe zwei komplett unterschiedliche Paar Stiefel sind, so geht es um eine grundsätzliche Abneigung, wenn es um die Vermittlung eines bestimmten Weltbilds geht und zu diesem Zweck schöne Bilder oder spannende Geschichten eingesetzt werden.

Der gute Zweck heiligt die Mittel nicht

Mir ist aber bewusst, dass es bei mir extrem wenig braucht, um diesen Impuls auszulösen. Teufel, er ging sogar los, als ich das extrem sympathische Buch von der Käptin Rakete (Amazon) verschenkt habe, in dem es um Seenotrettung geht und in dem die Hooligans gegen den Satzbau den Hut vor Carola Rackete ziehen.

Natürlich ist mir auch klar, dass es keine «neutralen» Kinderbücher gibt. Die Moral gehört zu den Märchen wie der Wolf zum Rotkäppchen. Pippi Langstrumpf propagiert unorthodoxes Verhalten, Mut und Lebensfreude. In Disney-Filmen wird oft ein reaktionäres Frauenbild propagiert, und auch sonst gibt es oft eine ziemlich schräge Botschaft, wie Malcolm Gladwell in seinem Podcast-Dreiteiler zu «The Little Mermaid» darlegt.

Und, und, und – es wird immer ein Weltbild gezeichnet, in dem einige Dinge als positiv, andere als negativ erscheinen. Wenn man Kindern Bücher und Geschichten nicht komplett vorenthalten will – und das will man natürlich nicht –, dann muss man sich damit abfinden.

Wie konkret dürfen die Botschaften sein?

Worüber man an dieser Stelle noch diskutieren sollte, ist, wie explizit solche Botschaften sein sollen: Ich meine, die Botschaft «sei mutig, frech und aufrecht» ist weniger zielgerichtet als «brauche freie Software und wische dem bösen Tech-Monopolisten eins aus». Auch wenn es mutmasslich aufs Gleiche hinausläuft.

Wie auch immer; ich habe einen einfachen und, wie ich glaube, genialen Umgang mit diesem Dilemma gefunden. Ich erzähle meine Tochter einfach alle Geschichten – und zwar auch solche, die in der Kritik stehen, wie zum Beispiel neulich TKKG, wo es um Geschlechterklischees, die man in den Geschichten entdeckt hat. Das heisst, ich würde ihr diese Geschichten erzählen, wenn sie sich schon dafür interessieren würde – und dann auch darüber diskutieren. (Bei TKKG zum Beispiel, dass ich meines Erachtens nicht die Geschlechterklischees das Problem sind – die rühren daher, dass ein Junge der Held ist –, sondern vielmehr die undifferenzierte Darstellung der Nebenfiguren, die auch bei Tims beiden männlichen Freunden stereotyp geraten ist.)

Alles erzählen, über alles diskutieren

Das ist die geniale Lösung: Alles erzählen und über alles diskutieren – gerade darüber, welche Dinge als positiv geschildert werden und welche als negativ. Auf diese Weise kommt man erst gar nicht in die Cancel-Culture-Bredouille, der man sich aussetzt, wenn man sich bemüssigt fühlt, Kinderbücher vorab inhaltlich zu bewerten und zu entscheiden, was zulässig ist und was nicht. (Abgesehen davon, dass das ein rechter Kampfbegriff ist.)

Auf diese Weise lernt das Kind, hinter die Geschichten zu blicken und sich auf die Metaebenen zu begeben. Und das hilft wesentlich beim Entwickeln von Medienkompetenz.

Nach diesem längeren Exkurs bin ich wieder bei Ada und bei Zangemann: Ich erkläre meiner Tochter gerne, dass ich die Werte in diesem Buch voll und ganz teile: Ich halte offene Software für wichtig und die Kompetenz, selbst an Software schräubeln zu können, für genauso wichtig wie damals, als ich Basic gelernt habe. Und wenn sie daraufhin programmieren lernen will, dann werde ich sie gerne unterstützen – und ihr dennoch nicht vorenthalten, dass es auch tolle proprietäre Software gibt.

Ach ja, und um noch das zu schreiben, worauf ihr schon die ganze Zeit gewartet habt: Meiner Tochter hat das Buch bestens gefallen. Sie will jetzt einen Glacéautomaten in unserer Stadt und ein motorisiertes Skateboard…

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