Bitte seht es mir nach, wenn ich nicht schon wieder über Facebook schreiben mag – nachdem ich nicht umhingekommen bin, die Entscheidung, die Gesichtserkennung zu kippen, mit einem Kommentar zu würdigen (Warum Facebook so dumm war, in diese Falle zu tappen, Abo).
Stattdessen würde ich lieber auf eine Frage eingehen, die mich neulich beschäftigt hat. Sie dreht sich ums Fernsehen und darum, welche Auswirkungen die Streamingdienste auch auf die Inhalte haben.
Mein Eindruck ist – und korrigiert mich bitte, wenn ich falsch liegen sollte –, dass die klassische Sitcom tot ist. Ein letztes Aufbäumen haben wir mit Modern Family und The Big Bang Theory erlebt, wobei erstere gar keine Sitcom im eigentlichen Sinn war: Es gab kein Lachen ab Band und die Schauplätze waren viel abwechslungsreicher als bei einer klassischen Fernseh-Seifenoper, die sich an wenigen, immergleichen Sets abspielt. Das hat den einleuchtenden Grund, dass viele Sitcoms vor Publikum aufgezeichnet wurden, sodass bei denen das Gelächter wenigstens nicht vom Tonmeister kam, sondern echt war.
Im April 2020 ist das Genre endgültig gestorben
Nachdem die letzte Folge von «The Big Bang Theory» im Mai 2019 und von «Modern Family» im April 2020 ausgestrahlt wurde, scheint es keine Produktion mehr zu geben, die das Genre beleben würde. Natürlich kann ich mich irren, und es taucht eine Produktion auf, die eine ähnlich grosse Breitenwirkung erzielen wird wie die erwähnten Serien – oder meinetwegen wie Friends, How I Met Your Mother, Seinfeld, Malcolm in the Middle oder Married… with Children. Aber wetten darauf würde ich nicht.
Das ist auch Netflix’ Schuld, und die der anderen Streamingdienste. Der Aufbau einer Sitcom rührt daher, dass in einem kurzen Format ausreichend Werbung platziert werden kann. Die schnelle Taktung, die abgedroschenen Inhalte und die stereotypen Figuren sind ebenfalls der Werbeindustrie anzulasten: Sie sollten ein möglichst fruchtbares Umfeld für die bezahlten Botschaften schaffen.
Da diese Anforderungen beim werbefreien Streaming wegfallen, gibt es keinen Grund mehr, sich derart einzuschränken. Die Produzenten, Drehbuchautoren und Regisseure haben denn auch offensichtlich die Ambition, diese seichten Gefilde zu verlassen und komplexere Geschichten zu erzählen, weniger auf die flachen Witze zu setzen und nicht die Figuren vielseitiger und widersprüchlicher zu zeichnen.
Was absolut einleuchtend ist – aber trotzdem die Frage aufwirft, ob nicht etwas verloren geht. Auch die holzschnittartigen Geschichten, die plumpen Gags und die ewiggleichen Szenen und Kulissen haben ihre Berechtigung, finde ich. Erstens natürlich, weil das Publikum über Jahre und Jahrzehnte daran gewöhnt wurde. Aber auch, weil man nicht immer in Stimmung für anspruchsvolle, komplexe und tiefgründige Unterhaltung ist. Manchmal vergnüge ich mich sehr gern unter meinem Niveau – und lasse mich berieseln und amüsieren, selbst wenn mich das geistig nicht allzu sehr fordert.
Ein Nährboden für kreative Erzähler
Oder gerade deswegen. Abgesehen davon sind Beschränkungen und ein enges formales Konzept auch immer ein hervorragender Nährboden für kreative Erzähler, die irgendwie doch subversiver, doppelbödiger und frecher schildern, als es das Format eigentlich zulassen würde. Gerade «Modern Family» hat davon gelebt, echte Konflikte auf amüsante, leichte Weise zu behandeln.
Was mich angeht, würde ich es bedauern, wenn diese Kunstform verschwinden würde. «The Guardian» hat in The last laugh: is the television sitcom really dead? vor allem die Situation in Grossbritannien angeschaut:
Im Vereinigten Königreich fallen die wenigen etablierten Sitcoms, die es bei uns gab, wie Dominosteine: «Friday Night Dinner», «This Country» und «People Just Do Nothing» sind alle in den letzten Jahren eingestellt worden. Britische Sitcoms werden zwar immer noch produziert, aber sie sind entweder ein Flop oder fliegen unter dem Radar. Die meisten sind Nischenproduktionen; keine von ihnen (ausser vielleicht «Motherland») ist zu einem nationalen Gesprächsthema geworden.
Nach dieser Analyse ist das weniger Netflix’ Fehler als vielmehr die Schuld der Macher selbst, die nicht mehr relevant fürs Publikum sind. Doch wie die Autorin Rachel Aroesti festhält:
Es gibt keinen Grund, warum sich die Sitcom nicht weiterentwickeln kann. Und natürlich eine weitere Generation ihren Untergang beklagen kann.
Die schlimmste TV-Erfindung ist tot
«Mashable» hat heute nicht den Tod der Sitcom, aber immerhin das Ende der eingespielten Lacher verkündet – die schlimmste aller Erfindungen in der Geschichte des Fernsehens sei gestorben:
Historiker werden sich über den genauen Zeitpunkt des Todes streiten. War es, als «The Big Bang Theory», die letzte grosse, künstlich mit Lachern versetzte Sitcom, 2019 abgesetzt wurde? War es zu Beginn der COVID-Pandemie, als selbst das ungefilterte Studiopublikum seltsam und möglicherweise ungesetztlich zu klingen? Wurde es erst Ende 2021 als hirntot erklärt, als während der wichtigen Herbstsaison keine TV-Sitcoms mit Kunstlachen auf US-Sendern ausgestrahlt wurden?
Schuld an dieser Entwicklung ist das Internet:
Es hat das Publikum aufgeklärt und in Skeptiker verwandelt. Viele sahen virale YouTube-Videos, in denen die Lachspur aus erstklassigen Sitcoms entfernt wurde, wodurch Sendungen wie «Friends» zu traurigen Geschichten von Automaten wurden, die sich während gruseliger Pausen gegenseitig anstarrten. Sogar einer der besten Momente von «Seinfeld» wurde ohne die Lachspur als zutiefst unlustig entlarvt.
Doch zumindest diese Entwicklung brauchen wir nicht zu beweinen: Denn ohne die eingespielten Lacher können es sich die Drehbuchautoren nicht leisten, uns halbgare Witze vorzusetzen.
Beitragsbild: Presseportal Sky Deutschland