Wahre Weisskragen-Verbrechen

Die «Süddeutsche Zeitung» hat den Wirecard-Skandal als Podcast aufgearbeitet. Die zentrale Frage in «1,9 Milliarden Lügen» lautet: Haben wir es mit einem Wirtschaftskrimi oder mit einem Spionagethriller zu tun?

Wirecard: 1,9 Milliarden Lügen heisst die Podcastreihe der «Süddeutschen Zeitung» mit acht Folgen, die von Mitte April bis in den Juni veröffentlicht wurden und die die als «grösster deutscher Bilanzskandal» titulierte Affäre aufarbeitet. Als «Spotify Original» ist diese Produktion leider nur beim Streaminganbieter zu hören. Aber spannend ist es allemal.

Je nach Wechselkurs können es noch ein paar Tausend mehr oder weniger sein.

Gastgeberin der Reihe ist die Audio- und Video-Redaktorin Laura Terberl, die im Vergleich zu der überdrehten Art des «Cui Bono»-Podcasts (Hat Ken Jebsen diesen Podcast verdient?) etwas spröde wirkt, der man nach kurzer Eingewöhnungszeit gerne zuhört – und deren nüchterner Präsentationsstil ohne Zweifel besser zu der seriösen «Süddeutschen Zeitung» passt als der Habitus eines medialen Newcomers, der es der ganzen Welt zeigen will, wie das der Antrieb des Podcast-Startups war, das hinter der besagten Produktion über Ken Jebsen steht.

Doch natürlich schlagen einen auch langsamer getaktete Erzählungen in den Bann, wenn sie eine schillernde Hauptfigur wie Jan Marsalek haben, der in der Folge zwei dem etwas trockenen Vorstandsvorsitzendern Markus Braun gegenübergestellt wird, der offenbar einige Wissenslücken zu den Vorgängen in seinem Unternehmen aufwies.

Die Podcast-Reihe ist, so könnte man sagen, didaktisch aufgebaut: In der ersten Folge Der Crash werden Aufstieg und Fall rekapituliert, in Das Duo wie erwähnt die beiden Hauptfiguren vorgestellt, und interessant wird es in der dritten Folge Die Geheimdienste.

Ist der Skandal noch grösser als bis anhin vermutet?

In dieser Episode erzählt Investigativ-Reporter Jörg Schmitt, wie er den Hinweisen nachgeht, wonach hinter der Affäre noch mehr steckt, als die Öffentlichkeit bislang erfahren hat. Nach diesen Vermutungen sind die Geheimdienste verwickelt. Die Vermutung ist plausibel, denn als Finanzdienstleister wäre Wirecard eine überaus wertvolle Informationsquelle, die es den Aufklärern erlauben würde, insbesondere den Financiers des internationalen Terrors auf die Schlichte zu kommen.

Schmitt macht keinen Hehl daraus, dass er diese These bislang nicht festklopfen konnte. Das verwundert nicht, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass Nachrichtendienste nur sehr ungern Spuren in den Medien hinterlassen und geübt darin sind, ihre Aktivitäten im Dunkeln zu betreiben.

Dementsprechend hat Schmitt nur Indizien zur Verfügung: Die Aussage Marsaleks, er brauche kurz mal den gesamten Datenbestand einiger Jahrgänge für die CIA, und die schmallippige, etwas unglaubwürdig wirkende Behauptung des BND, nichts mit Wirecard zu tun zu haben. Es kann aber auch sein, dass die Villa in der Münchner Prinzregentenstrasse, in der auch ein ausrangierter österreichischer Geheimdienstler einquartiert war, ein Ort für Ex-Agenten war, um sich mit illusteren Partys die Zeit um die Ohren zu schlagen. Aber investigative Reporter haben für gewöhnlich einen langen Atem, und darum ist gut möglich, dass in dieser Sache irgendwann etwas Handfestes ans Licht kommt.

«Ganz leicht zu entdecken»

Die vierte Folge lässt Fahmi Quadir zu Wort kommen, die Frau, die den Braten schon früher als andere gerochen haben und die «mehr Gespür als die Finanzaufsicht Bafin bewiesen und vor dem Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags ausgeführt hat, warum der Betrug «leicht zu entdecken gewesen wäre wäre». Folge fünf beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen, Folge sechs mit den Wirtschaftsprüferinnen von EY, Folge sieben mit dem Einfluss der Politik und Folge acht mit dem Prozess gegen Markus Braun – aber so weit bin ich beim Anhören noch nicht.

Fazit: True Crime ist und bleibt eine Paradedisziplin des Podcasts – sogar, wenn es sich um White-collar true crime handelt, um wahre Wirtschaftsverbrechen.

Beitragsbild: Verbrechen, bei denen Hemd, Kravatte und Blazer sauber bleiben (Nimble Made, Unsplash-Lizenz).

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