Zwei missratene Podcasts von der BBC

«Pieces of Britney» und «Who Killed Emma?» sind zwei Beispiele dafür, wie schwierig es ist, trotz hohem Engagement für eine Sache die journalistische Distanz zu wahren.

So viele tolle Podcasts es gibt, immer mal wieder begegne ich auch Produktionen, die mir zuwiderlaufen. «Other People’s Problems» etwa, bei dem man Ohrenzeuge bei richtigen Psychotherapiesitzungen wird, was sogar für einen Podcast zu weit geht.

Heute prangere ich zwei Grenzüberschreitungen an, die beide von der BBC stammen.

Pieces of Britney

Erstens Pieces of Britney von BBC4 und der Podcasterin Pandora Sykes. Die Idee hinter dieser achtteiligen Reihe ist völlig in Ordnung:

Ein paar überflüssige Teilchen sind auch mit dabei.

Sykes versucht, die Ereignisse um Britney Spears aufzuarbeiten. Selbst wer nicht ständig Boulevardmedien konsumiert, hat davon sicherlich zumindest ansatzweise gehört: Spears wehrt sich gegen eine inzwischen dreizehn Jahre andauernde Vormundschaft.

Ronan Farrow und Jia Tolentino haben für den «New Yorker» eine eindrückliche Recherche zu den Ereignissen verfasst, Britney Spears’s Conservatorship Nightmare. Und es gibt mit Framing Britney Spears einen offenbar eindrücklichen Dokumentarfilm von der «New York Times», den man bei «Amazon Prime» sehen könnte, wenn man ein Abo hätte.

Es liegt auf der Hand, Spears’ bewegte Karriere und den Konflikt mit ihrer Familie und die Free-Britney-Bewegung in einem Podcast zu thematisieren, und die BBC hätte sicherlich auch die Ressourcen und den journalistischen Sachverstand, ein solches Projekt angemessen umzusetzen. Also ohne Voyeurismus, Skandalisierung, boulevardeskem Schwarzweissdenken und Vorverurteilungen von irgendjemandem.

Was Spears vielleicht gesagt hat. Oder auch nicht.

Und so weit ich nach einer Folge sagen kann, geht Pandora Sykes auch mit einer seriösen Recherche  an die Sache heran. Was mich auf die Palme getrieben haben, sind die Dramatisierungen: Es gibt im Podcast Szenen, die von der Theaterautorin Katie Hims verfasst sind und in denen man in der ersten Folge Spears mit ihren Eltern hört – Britney, beispielsweise, wie sie weinerlich findet, sie müsse spätabends einen Lippenstift kaufen gehen und ihr Vater, der findet, mit paar Shots könnten alle ein wenig besser entspannen.

Diese Szenen sind grauenvoll, spekulativ und übergriffig. Sie wären selbst dann nicht vertretbar, wenn sich die Geschehnisse zufällig genauso zugetragen hätten. Denn der Punkt ist: Wir wissen nicht, ob es so war – oder ganz anders. Pandora Sykes sagt es selbst zu Beginn: Vieles von dem, was berichtet wird, beruht auf Hörensagen. Natürlich ergibt sich daraus ein gewisses Bild, aber die seriöse journalistische Berichterstattung sollte sich an die Fakten halten. Solche Dramatisierungen erwecken den Eindruck von Allwissenheit seitens der Produzenten, und das ist eine unverzeihliche Selbstüberhöhung. Als seriöser Reporter berichtet man, was man weiss. Und man steht zu dem, was man nicht weiss.

Ich will nun nicht so weit gehen, um Dramatisierungen generell abzulehnen. Sie haben ihre Berechtigung, und auch der literarische Journalismus, der sich gewisse Freiheiten nimmt, kann uns spannende Einsichten liefern. Aber Dokudramen wie dieses können weg.

Who Killed Emma?

Die Podcast-Autorin glaubt die Antwort zu wissen.

Auch ein zweiter Podcast der BBC hält die journalistischen Regeln, so wie ich sie verstehe und vertrete, nicht ein. Das ist Who Killed Emma? von Samantha Poling und BBC Scotland.

Es handelt sich um eine True-Crime-Produktion um eine Mordserie im schottischen Glasgow, bei der eines der Opfer, Emma Caldwell, im Zentrum steht. Mehr als zwei Dutzend Prostituierte sind umgebracht worden, doch wie «The Independet» 2011 geschrieben hat, könnten es noch mehr sein. Die Polizei konnte den Fall trotz enormem Ermittlungsaufwand nicht aufklären.

Eine eindrückliche Recherche

Diese Ermittlungen rollt Samantha Poling mit einer eindrücklichen Recherche auf. Sie nähert sich Emma auf einfühlsame und warmherzige Art an und bringt ehemalige Kolleginnen im Gewerbe der Sexarbeit dazu, sich ihr zu öffnen. Das ist eindrücklich und zeugt von hohem Engagement. Polings sorgfältige Arbeit zeigt auch auf, wie vier türkische Gastarbeiter teils wegen seltsamer Verhaltensweisen der Verdächtigen, teils wegen Sprachbarrieren ins Visier der Ermittlungen geraten sind, wie diese Ermittlungen trotz aufwändiger Überwachungen ins Leere gelaufen sind. Daran ist nichts auszusetzen.

Die zwei letzten Folgen haben mich so irritiert, dass ich den Podcast im April, als ich ihn mir angehört habe, auf keinen Fall besprechen wollte.

In der zweitletzten Folge, die passenderweise «I Accuse» heisst, hält Samantha Poling eine bizarre Verhandlung ab, in der sie vor den Kameras des schottischen Fernsehens die Rolle der Anklägerin übernimmt, während sie als Podcasterin noch einen Millimeter davon entfernt ist, die Richterin zu geben. Sie glaubt nämlich, den wahren Täter gefunden zu haben – und in der Tat sprechen viele der Fakten, die sie in ihrer Recherche gesammelt hat, dafür, dass sie recht hat.

Wenn Medien anstelle der Medien Gericht halten

Doch es ist nicht entscheidend, wie stichhaltig diese Argumente sind. Es ist nicht die Rolle der Medien, Gericht anstelle der Gerichte zu halten – auch dann nicht, wenn die Gerichte nicht getan haben, was sie hätten tun sollen. Die Gewaltentrennung gilt auch für die Medien und die Unschuldsvermutung sollte nicht bloss eine Floskel sein.

Natürlich dürfen Reporter versuchen, einen Fall zu klären, wenn die Ermittlungsbehörden versagt haben. Und das haben sie im Fall von Emma; denn der Mann, den Poling ins Zentrum ihrer Anklage rückt, wurde bloss ein einziges Mal von der Polizei vernommen, obwohl er eine zweijährige Gefängnisstrafe abgesessen hat, weil er seine Partnerin stranguliert hat, so, wie auch viele der Opfer in der Mordserie stranguliert worden sind.

Ja, es ist nachgerade die Pflicht einer engagierten Reporterin, die schottische Polizei vor sich herzutreiben, bis die ernsthaften Ermittlungen gegen «ihren» Verdächtigen abgeschlossen sind – mit welchem Resultat auch immer. Es ist auch ihre ureigenste Pflicht, die Versäumnisse der Justiz öffentlich zu machen und den Finger in die Wunde zu legen.

Aber eine Reporterin muss auch damit leben können, wenn ein Fall – aus guten oder schlechten Gründen – offen bleibt. Samantha Poling ist nicht gewillt, das zu tun, wie sie hier in «The Scottish Sun» unmissverständlich zum Ausdruck bringt:

Sam [Samantha Poling] will nur ein Ergebnis des Podcasts akzeptieren: Gerechtigkeit für alle Frauen, die sich mutig zu Wort gemeldet haben, und für Emmas Mutter Margaret. Sie sagt: «Ich werde erst zufrieden sein, wenn Margaret Caldwell weiss, was mit ihrer Tochter passiert ist und wer ihr das Leben genommen hat. Vier Millionen Pfund wurden von der Polizei ausgegeben, um einen Fall vorwärtszutreiben, der dann kollabierte. Inzwischen sind wir hier, 16 Jahre später, und der wahre Mörder, wer auch immer das ist, läuft weiterhin frei herum.»

Es hätte nur wenig gebraucht, um diese beiden Produktionen zu retten: bei «Pieces of Britney» die Dramatisierungen streichen. Bei «Who Killed Emma?» wäre der Weg gewesen, den verdächtigen Mann zu anonymisieren, das Interview mit ihm unkommentiert stehen zu lassen und immer mal wieder nachzufragen, was die schottische Polizei zu tun gedenkt – und ich hätte an dieser Stelle ein Loblied gesungen…

Beitragsbild: Hier in einer der oberen Etagen hätte einer Stopp sagen sollen (Marshall W, Unsplash-Lizenz).

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