Jetzt mal im Ernst: Heute bloggen nur noch die Ewiggestrigen – oder?

Noch ist nicht der letzte Blogger gestorben, doch dass die Blogosphäre implodiert ist, lässt sich nicht übersehen – und schuld sind nicht allein die sozialen Medien. Trotzdem: Eine Durchhalteparole.

Wenn man Wikipedia glauben darf, dann ist das Blogging ungefähr vor sechs Jahren gestorben. Im Beitrag zur Geschichte dieser publizistischen Disziplin heisst es im Abschnitt «2014 und danach»:

Die Entwicklung der sozialen Medien und die Geschwindigkeit, mit der auf gepostete Inhalte reagiert wird, führten zu zunehmenden Todesbescheinigungen, auch wenn anerkannt wurde, dass das, was danach kam, viel von der DNS der Idee aufgenommen hat.

Die Aussage wird noch weiter relativiert, indem der Wikipedia-Eintrag darauf hinweist, dass es noch immer beeindruckend viele Blogs gibt: Vor zwei Jahren seien ungefähr 500 Millionen gezählt worden. Man könnte nun endlos darüber streiten, wie akkurat eine solche Zahl und wie gross ihre Aussagekraft ist, wenn beispielsweise viele Blogs vernachlässigt vor sich hindümpeln und der Elan ihres Bloggers vielleicht noch zweimal im Jahr aufflammt.

Tot nicht – aber nicht mehr relevant

Meines Erachtens zeigt das vor allem, dass die Frage, ob Blogs nun tot sind oder nicht, nicht zu beantworten ist. Sie lässt auch eine wichtige medienwissenschaftliche Erkenntnis ausser Acht, nämlich das Rieplsche GesetzEs besagt, dass ein bestehendes Medium von einem neuen zwar zurückgedrängt, aber nie komplett ersetzt wird. Die historischen Beispiele sollten hinlänglich bekannt sein: Das Radio hat die Zeitung nicht beseitigt, das Fernsehen nicht das Radio, das Internet nicht das Fernsehen – und so weiter.

Es gibt aus diesem Grund keinen Todeszeitpunkt, den man feststellen und verkünden könnte. Aber existiert sicherlich ein Kipppunkt, an dem ein Medium nicht mehr sonderlich relevant ist. Und den kann man beim Bloggen in der Tat wohl ungefähr 2014 verorten. Vielleicht sogar früher.

Es stellen sich zwei Fragen: Die erste lautet, ob Wikipedia recht hat und es die sozialen Medien sind, die dem Blogging zugesetzt haben. Das haben sie sicherlich – denn wie man sieht, entwickeln selbst kontroverse Blogposts, wie sie der passionierte Provokateur Réda El Arbi unter fadegrad.co gerne  verfasst, ihre virale Sprengkraft erst auf Facebook und Twitter. Die Diskussion verlagert sich kaum zurück ins Blog. Das ist ein Phänomen, das ich im Beitrag Facebook ist ein schwarzes Loch ausführlich beklagt habe.

Soziale Medien, die Parasiten des Internets

Man könnte Social Media auch als schmarotzende Medienform bezeichnen. Aber es gibt noch andere Gründe. Auch das Podcasting konkurrenziert das klassische Blog. Ein exemplarischer Beleg dafür ist Tech-Enthusiast Jean-Claude Frick: Sein Blog ifrick.ch hat zum letzten Mal 2018 ein Update erfahren.

Stattdessen investiert JC seine Energie nun in den Apfelfunk-Podcast. Wie sehr man das begrüsst oder nicht, ist eine individuelle Sache: Die einen würden ohne Zweifel bekräftigen, dass JC in den Podcasts authentischer wirkt als in Blogform. Andere dürften darauf hinweisen, dass man in die Rezeption eines Blogposts viel weniger Zeitaufwand investieren muss als in eine Podcast-Episode, die anderthalb oder zwei Stunden dauert.

Die Blogosphäre ist implodiert

Einige interessante Überlegungen habe ich auch im Beitrag Is Blogging Dead? Is it Worth Starting a Blog in 2020? von Lily gefunden. Sie weist darauf hin, dass eben nicht die Stimmen der Blogger leiser geworden sind, sondern auch die soziale Bewegung, die Blogosphäre ihren Schwung verloren hat:

Wir kommentierten die Beiträge der anderen regelmässig, und es war üblich, dass wir zwanzig oder sogar fünfzig Kommentare auf einen Beitrag erhielten. Nicht alle dieser Kommentare stammten von treuen Lesern – viele davon kamen von anderen Blogger, die nach Kommentaren für ihre eigenen Blogs fischten.

Lily hat noch eine zweite Feststellung:

Beim Bloggen geht es heute vornehmlich darum, hilfreiche Ressourcen bereitzustellen und gleichzeitig den Google-Algorithmus durch SEO (Suchmaschinenoptimierung) zu nutzen. So wie ich es sehe, geht es beim Bloggen jetzt weniger darum, sich selbst auszudrücken, sondern mehr darum, den Lesern Informationen zu bieten.

Das kann ich nur unterschreiben. Ich habe in der Anfangszeit hier im Blog oft persönliche Beobachtungen breitgetreten, die aus heutiger Sicht bedeutungslos wirken.

Und zu Recht: Solche  belanglosen Alltagsbegebenheiten sind auf Facebook in der Tat besser aufgehoben. Man darf auch in Betracht ziehen, sie sich ganz zu verkneifen. Der Reiz, persönliche Befindlichkeiten im Internet vor der ganzen Welt darzulegen, hat in den letzten zehn Jahren stark nachgelassen. Zumindest für mich – andere scheinen gewillt, damit nicht aufzuhören.

Natürlich muss man den Leserinnen etwas bieten!

Es ist folgerichtig, dass man den Leserinnen mehr bieten muss als nur seine eigene Nabelschau, wenn man erwartet, dass sie sich auf die eigene Website vorwagen und ihre Zeit und Aufmerksamkeit in einen Beitrag investieren. Und das ist auch gut so: Denn handfeste Informationen zu liefern, macht mir auch heute noch Spass, während wie gesagt, das Abfeiern von Belanglosigkeiten nicht mehr so aufregend ist.

Wenn Lily von Suchmaschinenoptimierung (SEO) spricht, meint sie den Umstand, dass heute tatsächlich kaum mehr Besucher von sich aus aufs Blog kommen.

Ich habe zwar keine Statistik dazu gefunden, aber meine Vermutung ist, dass der Bewegungsradius von vielen Surfern in den letzten Jahren kleiner geworden ist: Sie bewegen sich auf Facebook und in ihren Smartphone-Apps, besuchen grosse Newssites, Youtube und die wichtigen Plattformen. Aber sie pflegen keine Lesezeichen-Sammlung mit interessanten Sites mehr, die sie regelmässig absurfen. Und die Internet-Haudegen, die noch einen RSS-Reader haben und ihre Feeds durchsehen, gehören wohl auch zu einer aussterbenden Gattung.

Wenn es harsch ausdrücken will, dann würde man sagen, dass die sozialen Medien zu einer Verluderung der Sitten beigetragen haben: Die Leute erwarten heute, dass ihnen interessante Inhalte auf Facebook und Twitter, meinetwegen auch auf Reddit auf dem Silbertablett serviert werden. Die wenigsten machen sich noch die Mühe, aktiv selbst danach zu suchen.

Immerhin können die Leute noch googeln

Aber was sie noch tun, ist zu googeln. Der grösste Teil des Publikums, den man als Blogger heutzutage bedient, sind arbiträre Besucher, die irgendetwas per Suchmaschine recherchiert und dann auf einem Beitrag gelandet sind, der zufällig die richtigen Stichworte enthält.

Wenn man das Bloggen mit Ambitionen betreibt, dann sollte man sich überlegen, wie das eigene Produkt auf Google-Nutzer besonders attraktiv wirkt. Das kann man, wie Lily, SEO nennen. Ich würde davon sprechen, dass man sich seine Nische suchen und die besonders gut ausfüllen muss.

Damit kommen wir zur zweiten Frage: Wieso sollte man unter diesen Umständen noch bloggen? Wäre man nicht besser damit bedient zu podcasten, wie der ehemalige iFrick und heutige Apfelfunker? Sollte man sich den sozialen Medien an den Hals oder den Bettel hinwerfen? Oder meinetwegen zum Youtuber und Influencer mutieren?

Eine Lanze fürs unabhängige Web

Um die Frage hier für mich selbst zu beantworten: Ich blogge nach wie vor gerne, und darum tue ich es auch weiterhin. Ausserdem geht es mir auch darum, das unabhängige Web hochzuhalten. Mir graut vor einem Internet, in dem alles, was irgendwie nach Graswurzelbewegung riecht, hinweggesiecht ist und es nur noch die grossen Plattformen gibt.

Und ich fühle mich jedes Mal in dieser Meinung bestätigt, wenn wieder einer auf Facebook rumheult, weil sein Kommentar gelöscht oder sein Post «zensuriert» worden ist. Das hat man davon, wenn man sich einer solchen Plattform an den Hals wirft: Man unterwirft sich den Regeln der Plattform, selbst dann, wenn diese unfair sein sollten. Das passiert mir in meinem Blog nicht – selbst wenn ich immer so differenziert und charmant schreibe, dass selbst der übelste Facebook-Community-Wächter nichts finden wird, was ihm missfallen könnte…

Beitragsbild: Voilà, ein Ewiggestriger (Canva Studio, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «Jetzt mal im Ernst: Heute bloggen nur noch die Ewiggestrigen – oder?»

  1. Danke für den Artikel. Danke, dass du trotzdem immer noch deinen Blog beinahe täglich fütterst. Ich denke das Format Blog ist noch lange nicht gestorben. Bin zwar auch so ein ewiggestriger, aber ich beziehe eigentlich einen grossen Teil meines Informationsbedarfs aus Blogs oder blogähnlichen Plattformen. Ja genau, Podcasts und Youtube zähle ich da auch dazu. Lassen sich dort die neuen Inhalte auch abonnieren.

    Was in der heutigen Zeit halt fehlt ist das direkte Feedback als Kommentar. Der ganze Dialog hat sich praktisch voll und ganz auf die sozialen Medien verlagert. Auch dies wäre nicht das Problem. Aber so fragmentiert der Dialog auf alle möglichen Plattformen und entwickelt so keine Power mehr. (YouTube mal ausgeschlossen).

    Wenn man nun seine Bloggertätigkeit auch noch auf Twitter, Linkedin und Facebook fragmentiert, mag man zwar ein breiteres Publikum erreichen, aber man wird nie mehr die soziale Qualität aus den goldenen Bloggerjahren, ich nenn es einfach mal so, erreichen.

    So, dann bin ich mal gespannt, ob es hier noch ein paar Kommentare und Ergänzungen gibt. Ist ja bezeichnend, dass ein ewiggestriger den ersten Kommentar schreibt. 😁

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