Was sind typischen Podcast-Themen? Natürlich die Technologie, insbesondere Apple. Dann aber auch wahre Verbrechen (True Crime), Sex, Lebenshilfe, sowie Gott und die Welt. Die letzte Kategorie umfasst den typischen Laberpodcast, der weder ein bestimmtes Gebiet beackert noch ein ausgeprägtes Konzept hat, sondern einfach die Dinge aufgreift, die den Protagonisten während der Aufnahme gerade durch den Kopf gehen.
Ich habe noch ein anderes Themengebiet ausgemacht: Das lässt sich mit «Es ist alles ganz anders als du denkst» umschreiben. Bei Podcasts mit diesem Konzept werden kulturell, historisch oder sonst wie bedeutsame Ereignisse aufgerollt und unter der Prämisse betrachtet, dass unsere bisherige Wahrnehmung nicht akkurat oder sogar komplett falsch ist.
Klar, dass das eine attraktive Ausgangslage ist: Erstens können die Macherinnen eines solchen Podcast an unsere kollektive Erinnerung andocken und Geschehnisse ansprechen, die allein deswegen Relevanz haben, weil wir uns früher schon einmal mit ihnen beschäftigt haben. Und auch wenn das eher bei einem älteren Publikum zieht, so ist es doch ein guter Ansatz, wenn man sich nicht mit der Aktualität beschäftigen möchte.
Gepackt bei der Neugierde und beim Ehrgeiz
Zweitens ist es eine hervorragende Methode, uns bei unserer Neugierde zu packen – und vielleicht auch bei unserem Ehrgeiz: Wir wollen wissen, wo und wie wir uns geirrt haben. Und wir sind gespannt, ob es den Podcastmachern auch tatsächlich gelingt, uns zu überzeugen, dass wir all die Jahre mit unserer wahrscheinlich gut abgehangenen Meinung zu einem Thema falsch gelegen sind.
Drittens eröffnet sich auch die Möglichkeit der Medienkritik: Denn wenn wir uns tatsächlich geirrt haben, sind in aller Regel die Medien schuld. Sie haben uns falsch, einseitig, oberflächlich oder voreingenommen informiert und ihren Job – mal wieder – schlecht gemacht.
Diese Schelte von Zeitungen, Radion und Fernsehen ist eine Art Volkssport – auch wenn ich zugeben muss, dass sie oft gerechtfertigt ist. Der Hang, Thesen zuzuspitzen, Angst zu schüren, zu übertreiben und das Publikum nicht mit Differenzierung verwirren zu wollen, um Auflage, Einschaltquote oder Klicks zu bolzen, läuft dem Informationsauftrag oft zuwider.
Wer wäre nicht gern Aufklärer?
Viertens können sich die Podcastmacher als Aufklärer inszenieren. Sie sind es, die uns endlich reinen Wein einschenken. Das ist eine attraktive Rolle, was natürlich auch ein Grund ist, dass solche Podcasts entstehen.
Einer, der das schon vor fünf Jahren erkannt hat, ist Malcolm Gladwell. Er rückt mit seinem Podcast «Revisionist History» Missverständnisse gerade. Er tut das mit den durch «Serial» etablierten Erzählmitteln, was oft für spannende neue Einsichten sorgt, auch wenn die ersten Staffeln besser waren als die neueren.
Ein zweiter Podcast ist You’re Wrong About (RSS, Apple, Spotify). Der ist nun nicht brandneu, sondern seit 2018 zu hören – und so erfolgreich mit seiner Aufklärungsarbeit, dass er nicht nur eine Wikipedia-Seite bekommen hat, sondern vom «Time Magazine» zu einem der besten Podcasts von 2019 gekürt worden ist.
Mit folgender Begründung:
Man könnte meinen, man wisse alles über Tonya Harding oder O.J. Simpson, aber die Journalisten Michael Hobbes und Sarah Marshall untersuchen diese und andere Geschichten aus überraschenden neuen Blickwinkeln – wie die Perspektive von Paula Barbieri, Simpsons Freundin zur Zeit seines Prozesses – und beweisen, dass selbst die bekanntesten Figuren unergründliche Tiefen haben. Während sie niemals die Genauigkeit zugunsten des Spasses opfern, hält ihr luftiger Ton selbst die schwersten Themen fesselnd.
Das trifft es ganz gut. Die beiden Hosts beweisen auf geradezu beschämende Art, wie fulminant sie Faktentiefe und Detailtreue mit nonchalanter, manchmal bissig-ironischer Präsentation in Verbindung bringen können. In diesem Podcast werfen sich Michael Hobbes und Sarah Marshall die Bälle in einem Tempo zu, dass er sich nur schlecht fürs Nebenbei-Hören eignet – zumindest, wenn man es darauf anlegt, alle Anspielungen, Referenzen und Querverweise zu verstehen.
Die ganze Wahrheit über die politische Korrektheit
Ich bin mit einer der neuesten Folgen eingestiegen: Bei der geht es um unsere Irrtümer in Sachen Political Correctness. Was mich angeht, wurde ich durch den Podcast nicht über einen Grundlagenirrtum aufgeklärt. Mir war schon vor dem Anhören der Episode bewusst, dass es sich bei der PC um einen Kampfbegriff der Rechten handelt, um vornehmlich Linke (in den USA Liberals genannt) davon abzuhalten auf die Einhaltung fundamentaler Standards zu pochen.
Trotzdem ist es eindrücklich zu hören, wie über ein paar Auftragsbücher diese Sichtweise popularisiert und zu einem Medienphänomen geworden ist, das auf ein paar wenigen anekdotisch überlieferten und medial immer weitergetragenen Ereignissen beruhte, von denen bei näherer Betrachtung kaum mehr etwas übrig blieb. Während diese vermeintliche Einschränkung der Redefreiheit angeprangert wurden, haben rechte und vor allem evangelikale Kreise die Gespräche über diverse Themen tatsächlich abgewürgt und an den Unis den Lehrplan beeinflusst haben.
Dazu auch einige interessante Links in den Shownotes, zum Beispiel zum Beitrag How the right invented a phantom enemy.
Fazit: Eine spannende, rasante, analytische Diskussion, die man unbedingt für den deutschsprachigen Raum adaptieren müsste. Macht jemand mit?
Beitragsbild: In der falschen Richtung unterwegs (Neonbrand, Unsplash-Lizenz).