Die Vergangenheit war hässlich – mit ein paar Ausnahmen

Wie grauenvoll war das denn? Auf Versionmuseum.com bekommt man die Design-Sünden von Apple und Co. zu Gesicht.

Nicht nur wir werden älter. Es gibt auch Softwareprogramme, die langsam in die Jahre kommen. Excel ist so ein Fall: Neulich ist mir bei meinen Recherchen zu den modernen Tabellenkalkulations-Alternativen Airtable und Spreadsheet.com aufgefallen, dass Microsofts Office-Oldie auch schon gute 35 Jahre auf dem Buckel hat. Nach menschlichen Begriffen ist Excel im besten Alter. Aber da man meiner Meinung nach Softwarejahre ähnlich wie Hundejahre zählen müsste, ist das Ding mindestens 250 Jahre alt.

Und ja, man kommt schnell zur Erkenntnis, dass dieser Vergleich hinkt, und zwar auf allen vier Pfoten. Softwareprogramme werden mitunter zwar dick, genauso wie das bei Menschen und Tiere mit den Jahren unter Umständen der Fall ist. Trotzdem sieht man ihnen die Jahre meist nicht an. Sie werden in Versionen quasi wiedergeboren. Darum bekommen sie kein graues Fell und werden auch nicht tatterig. Sie leiden nicht unter Zahnausfall, müssen nicht zum Tierarzt und brauchen keine Operation am Hüftgelenk.

Und sie dürfen nicht mit ganz so viel Zuneigung ihrer Besitzer rechnen wie unsere vierbeinigen Freunde: Die werden in den allermeisten Fällen als Familienmitglied bis zu ihrem letzten Atemzug begleitet, während die meisten Softwarebesitzer keine Skrupel haben, eine in die Jahre geratene Installation zu löschen und zu ersetzen – Hauptsache jünger, frischer und schneller und anders.

Mit Apps zusammen alt werden

Jedenfalls gibt es nur wenige Softwareprogramme, die mit ihren Besitzern alt werden. Die wichtigsten habe ich seinerzeit im Beitrag Die Oldtimer im Softwarebereich zusammengetragen. (Und dabei, nebenbei bemerkt, einen Metaphern-Wirrwarr angerichtet. Damals alte Autos, heute alte Hunde – da sieht man, dass es diesem Blog an einem Masterplan fehlt.)

Wo doch in diesem Blogpost so viel von Hundesenioren die Rede ist (Labsafeharbor, Pixabay-Lizenz)

Und eben, Excel gehört mit Office – und natürlich den Betriebssystemen – in diese Kategorie. Ich habe mich gefragt, wie sich die Software denn optisch seit Version 1.0 verändert hat und bin dabei auf die tolle Website versionmuseum.com gestossen. Die hat es sich zum Ziel gemacht, die optischen Veränderungen zu dokumentieren, und zwar nicht nur von Anwendungen, sondern auch von Betriebssystemen, Spielen und last but not least Websites.

Das ist ein löbliches Unterfangen. Denn während die Unterschiede zwischen einzelnen Versionen meist nicht riesig sind, so summieren sie sich über die Zeit.

Darüber hinaus gibt es auch Brüche in der Entwicklung, eigentliche Paradigmenwechsel. Diese werden manchmal von den Screendesignern vorangetrieben. Das exemplarische Beispiel ist das flache Design, das mit Windows Phone 7, Windows 8 und mit iOS 7 Verbreitung fand und das inzwischen relativiert wird (Microsoft dreht das Rad zurück).

Der Ribbon killt Menüs und Menüleisten

Es sind aber auch Weiterentwicklungen bei der Interaktion mit den Nutzern, die ihre Spuren auf der Oberfläche hinterlassen. Dazu fällt einem sofort der Ribbon ein, das Menüband, das mit Office 2007 seine Premiere erlebte. Es hat die klassischen Menüs abgelöst, die heute nicht mehr zeitgemäss sind – allein deswegen, weil sie sich nicht für die Touch-Bedienung eignen.

Auch die technische Entwicklung lässt sich an den Screenshots ablesen: Da sind die Bildschirme, die über die Jahre besser wurden und vor allem schärfer wurden. Es ist auffallend, wie dicht an dicht sich früher sowohl bei den Websites wie auch bei den Programmen die einzelnen Elemente aneinander gedrängt haben. Da ein grösserer Bildschirm mehr Fläche bietet, ist heute mehr Luft dazwischen – selbst wenn die Startseite einer Newssite (wie hier von der «New York Times») den Nutzer noch immer mit einer riesigen Menge an Informationen konfrontiert.

Und ja, manchmal werden wir sentimental und wünschen uns die guten alten Internetzeiten zurück, in der das Web seine Unschuld noch nicht verloren hatte. Mir ging es so, als ich Edward Snowdens Autobiografie «Permanent Record» gelesen habe (Wie der Zauberwürfelmann zum Whistleblower wurde). Snowden beschreibt jene Zeit als Erweckungserlebnis, was ich ihm gut nachfühlen kann. Mir ging es damals ähnlich, auch wenn ich lange Zeit keinen eigenen Internetzugang hatte und darum nicht ganz so tief in diesem neuen Medium versinken konnte.

Hässlich! Grauenvoll! Unbegreiflich!

Was die Möglichkeiten des Webdesigns angeht, wünsche ich mir diese Zeit auf gar keinen Fall nicht zurück. Die Websites waren schlicht und ergreifend hässlich.

Die Apple Website von 1996: Ich hoffe, da schämt sich heute noch jemand in Grund und Boden dafür!

Ein gutes Beispiel dafür ist apple.com: Auch da wurden all die Webdesign-Sünden der Anfang­szeit zelebriert: Überall Schlag­schatten, quietsch­bunte Flächen und komische 3-D-Effekte. Und dieser de­platzier­te Skeuo­morph­ismus! Popelige Menüs und Navigations­bereiche kamen als Interfaces von futuris­tischen Maschinen daher und der Designer, der die be­scheidenen gestal­terischen Möglich­keiten derartig über­stra­paziert hat, war sich nicht zu schade, sein dys­topisches Horror-Terminal mit Kühl­schlitzen aus­zu­statten.

Und ja, das war natürlich der Euphorie geschuldet, die das Web damals in uns geweckt hat. Jeder, der mit einer eigenen Homepage an den Start gegangen ist, wollte zeigen, dass er der weltbeste Webdesigner ist. Im Vergleich dazu sind die Websites heute vielleicht etwas gar uniform und wegen der paar wenigen Content-Management-Systemen im Hintergrund sich auch funktionell zum Verwechseln ähnlich.

Ein paar Ausnahmen gibt es, die den Test der Zeit bestanden haben. Zum Beispiel Microsofts Website. Die war nun zwar nicht wirklich schön, aber sie hat auch nicht ganz so viele Design-Sünden zu bieten wie Apple, was in der Rückschau doch erstaunlich ist.

Ausnahmen, die die Regel bestätigen

Google 1997: Das Logo ist unterirdisch – aber wenigstens macht das Webdesign keinen Augenkrebs.
Youtube 2005: Schlichter als heute – was manche sogar als Vorteil bezeichnen würden.

Weitere Beispiele aus dieser Reihe sind Wikipedia, Yahoo und mit gewissen Abstrichen auch die Google Websuche und Youtube: Das Google-Logo war an­fänglich zwar wirk­lich häss­lich, doch die Schlicht­heit der Such­seite hat sich seit jeher be­währt. Für Youtube galt das anfäng­lich auch, doch über die Jahre wurde die Website immer über­ladener, was sich erst in letzter Zeit wieder etwas gebessert hat.

Die ganz grosse Au­snahme ist natürlich Mac OS: Das klassische Mac-Betriebs­system war in der ersten Version ein Vorbild an schlichter Schön­heit.

Die ist seitdem unerreicht – natürlich auch deswegen, weil der immer grössere Funktionsumfang immer wieder Kompromisse nötig macht. Aber auch, weil die optische Erscheinung durch die Weiterentwicklung an Prägnanz verliert. Und das ist, um zum Anfang zurückzukehren, vermutlich der grösste Unterschied zu lebenden Organismen: Wir Menschen werden, genau wie die Hunde, aufs Alter nicht unbedingt schöner, aber wir legen meisten Fällen an Prägnanz und Charakter zu.

Was nun Excel angeht: Seht selbst!

Beitragsbild: Symbolfoto zum Stichwort der hässlichen Vergangenheit (Benjamin Brandt, Pixabay-Lizenz).

One thought on “Die Vergangenheit war hässlich – mit ein paar Ausnahmen

  1. Netter Beitrag. Ich persönlich finde die aktuelle Entwicklung schrecklich: Wenig Information auf viel Raum. Riesen Schriften und unendliches Scrollen. Ich nutze meinen Browser mit -80% Zoom um meinen Zeigefinder etwas zu schonen und nicht 2 Meter vom Monitor weck zu sitzen.
    Die damaligen Seiten sahen zwar optisch nicht so gut aus aber sie boten viel Information auf wenig Raum. Heute wäre so etwas sicherlich auch optisch ansehnlicher hin zu bekommen. Seiten wie Wikipedia sind für mich die perfekte Balance zwischen Platz und Information. Man stelle sich mal vor die gedruckten Tageszeitungen würden ihre Schriftgröße verdoppeln.
    Es sollte immer noch zwischen Desktop und Mobil/Touch unterschieden werden. Leider wird mit aller Macht versucht diese beiden inkompatiblen Welten zu vereinen.

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