#FaceTheDepression: Es braucht mehr Leute mit so viel Mut

Es gibt viele Gründe, an den sozialen Medien zu verzweifeln. Doch die eindrücklichen Tweets, mit denen Betroffene erzählen, wie es ist mit Depression zu leben, bringen den Glauben zurück.

Diverse Medien haben heute über #FaceTheDepression geschrieben. Das ist einerseits ein Twitter-Hashtag, der gerade «trendet», wie man neudeutsch sagt. Andererseits ist es auch ein eindrückliches sozialmediales Ereignis, über das zu bloggen ich mir schon anfangs Woche vorgenommen hatte. Also, eine gute Gelegenheit, das genau jetzt zu tun, wo das Interesse der notorisch aufmerksamsdefizitären Medien und Öffentlichkeit geweckt ist.

Die Tweets haben zum Ziel, der Depression ein Gesicht zu geben. Und es geht um die Krankheit im psychiatrischen Sinn und nicht um das, was die Nichtbetroffenen darunter verstehen, wenn sie sich depressiv nennen. Diesen Zustand sollte man als depressive Verstimmung oder Niedergeschlagenheit bezeichnen.

Diese Unterscheidung ist wichtig; und die Tweets helfen dabei, sie zu treffen. Sie führt vor Augen, dass man keine Ahnung hat, was wirklich Betroffene durchmachen, wenn man selbst in einer «Ihr könnt mich alle mal»-Stimmung steckt. In so einem Fall hilft es in den meisten Fällen tatsächlich, sich «zusammenzunehmen» und «anzustrengen» oder sich meinetwegen auch «etwas Gutes zu gönnen». Bei der Krankheit hilft es nicht. Und es nützt den Betroffenen nicht, wenn man ihnen den Vorschlag macht.

Eine irrelevante Frage

Und diskutieren die Medien auch gleich die Frage, ob man so etwas auf Twitter diskutieren «darf» oder «soll». Watson hat einen Psychologen gefunden, der die entstigmatisierende Wirkung solcher Tweets lobt. Und ja, natürlich, es fällt leichter, Mitgefühl zu entwickeln, wenn das nicht im leeren Raum hängen bleibt, sondern sich auf echte Menschen richtet – vielleicht sogar solche, die man kennt und die einen mit dem Bekenntnis überraschen.

Darum braucht die Frage nicht gestellt werden, ob «Twitter der richtige Ort für derlei Posts ist. Wenn die Urheber der Tweets sie für richtig halten, dann sind sie richtig. Es lohnt sich auf der anderen Seite darüber nachzudenken, wie man selbst auf diese Tweets und die Bilder reagiert: Nimmt man sie zum Anlass nachzudenken oder möchte man sie lieber nicht zur Kenntnis nehmen?

Mich beeindrucken die Tweets. Für mich zeigen sie, dass die sozialen Medien ihre positive Kraft nicht gänzlich verloren haben, auch wenn man das ob all dem Hass, der Fakenews, der Konfrontationen und der Shitstorms leicht vergessen könnte.

Das tut Twitter gut

Für mich zeigt #FaceTheDepression auf, dass wir bei unserem Umgang mit den sozialen Medien noch zulegen können. Es gibt auf Twitter und Facebook etwas zu viel Belehrungen und Leute, die ihre Ansichten verbreiten und Konfrontationen vom Zaun brechen.

Und ja, natürlich gehört das zu den sozialen Medien und ist nicht grundsätzlich verkehrt. Aber es sollte nicht die dominierende Umgangsform sein – genauso wenig, wie ich nur lustige Memes, Katzenbilder oder sarkastische Kommentare über den Sinn und Unsinn des menschlichen Daseins lesen will.

Mit anderen Worten: Es hilft, wenn etwas mehr Leute ein bisschen mehr von sich erzählen. Vor allem, wenn sie es mit einer ehrlichen Absicht tun und nicht bloss das eigene Image aufpolieren wollen.

Danke für den Mut!

Danke allen, die den Mut gefunden haben, zum Hashtag #FaceTheDepression ihre Geschichten zu erzählen und ihr Gesicht zu zeigen: Es braucht mehr von eurem Schlag in den sozialen Medien – und dafür vielleicht in paar Schreihälse weniger.

Beitragsbild: Den Menschen, denen man auf der Strasse begegnet, sieht man ihren seelischen Zustand nicht an – darum gut, dass es soziale Medien gibt (Mike Chai, Pexels-Lizenz).

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