Still leidet die Privatsphäre während der Pandemie

Rückblick der Woche 15: Google baut ein Portal für Stellensuchende – Lässt sich Clearview mithilfe des Urheberrechts stoppen? – Sind Jogger ein Gesundheitsrisiko? – Und: Eine Website, die die Geräuschkulisse eines Grossraumbüros simuliert

Google baut ein Portal für Stellensuchende

Der US-Bundesstaat New York hat sich mit Google zusammengetan, um ein Portal zu bauen, bei dem Menschen Anträge auf Arbeitslosenunterstützung stellen können. Die neue Plattform soll zuverlässiger sein als die alte des Arbeitsministeriums. Die Kommunalverwaltungen im ganzen Land sähen sich wegen der Coronavirus-Pandemie mit einer «beispiellosen Flut» an Anträgen konfrontiert, schreibt die Behörde. Da bleibt offenbar nichts anderes übrig, als die Technologieunternehmen zu Hilfe zu rufen – so kann man es bei engadget.com nachlesen.

Einerseits sympathisch, dass Google dabei hilft. Andererseits: Finde nur ich, dass das eine Bankrotterklärung des öffentlichen Sektors ist? Einverstanden: Der Anstieg der Arbeitslosenanträge in den USA ist massiv: 6,6 Millionen neue Anträge allein in der letzten Woche! Man könnte sich nun über das mangelhafte Sozialsystem in den USA und die unsolidarische Hire-and-Fire-Personalpolitik. Aber selbst bei der Symptombekämpfung müsste dem Staat etwas Besseres einfallen, als diese hoheitliche Aufgabe gleich Google zu übergeben.

Zugegeben: Ich weiss nicht, ob Google nur die Infrastruktur zur Verfügung stellt oder gleich die Anwendung strickt, bei der die Antragsteller ihre Daten eingeben – zusammen mit Google-Login und Einspeisung der Informationen in das Google-Konto des Applikanten.

Und ich räume ein, dass das ein massiver Unterschied macht, wie diese Zusammenarbeit zu bewerten ist. Trotzdem: Wir alle wissen, wie hervorragend Google das Sammeln und Zusammenführen von Daten beherrscht. Ich fürchte, es wird den Arbeitslosen in New York nicht gelingen, diesbezüglich ihre Privatsphäre gegenüber Google und anderen Techkonzernen zu wahren. Zyniker würden sagen: «Egal, Google merkt es sowieso, wenn einer nach einem neuen Job googelt.» Und natürlich stimmt das auch. Nichtsdestotrotz ist es ein weiteres bedenkliches Signal, wie in der Krise eh schon lotterige Datenschutz-Standards weiter erodieren.


Gesichtserkennung mithilfe des Urheberrechts in die Schranken weisen

Apropos Schutz der Privatsphäre und persönlicher Daten: Erinnert man sich noch an den Fall Clearview? Das ist jenes Unternehmen, das quer durchs Internet Fotos zusammensammelt, sie in eine grosse Datenbank steckt, Gesichtserkennung darauf betreibt und Behörden eine Suchfunktion zur Verfügung stellt – natürlich gegen Geld.

Die Ermittler können das Bild einer Überwachungskamera einspeisen und erhalten, im Idealfall, weitere Bilder der verdächtigen Person zurück, die aus den sozialen Medien stammen – natürlich zusammen mit den Links zum Facebook- und Instagram-Konto und zu den persönlichen Daten der Person. Ermitteln war nie so einfach – und Kritiker würden sagen: Noch nie war die Gefahr so gross, durch eine simple Verwechslung vom unbescholtenen Bürger zum potenziellen Kriminellen zu werden.

Heise.de schreibt nun, dass Unternehmen und Private Klagen gegen Clearview eingereicht haben. Der Ansatz: Das Einsammeln der Fotos durch Clearview und die Verwendung in der Datenbank verstösst gegen das Urheberrecht.

Wenn man sich vor Augen führt, wie schlagkräftig das Argument der Urheberrechtsverletzung in den letzten Jahren war, dann scheint mir das ein viel versprechender Ansatz. Und einer, der mich auf den Stockzähnen grinsen lässt. Bisher war es immer so, dass wir normalen Internetnutzer durch das Urheberrecht und die Rechteinhaber gegängelt wurden – wenn zum Beispiel unsere Videos bei Youtube oder Facebook abgschossen worden sind, weil angeblich irgendwo ein Fitzelchen urheberrechtlich geschütztes Material darin enthalten war. Nun den Spiess umzudrehen und diesen Bildersammlern auf die Finger zu klopfen oder sogar Lizenzgebühren einzutreiben, hat das etwas sehr Befriedigendes.


Sind Jogger ein Gesundheitsrisiko?

Eine Frage, die mich persönlich interessiert – weil ich selbst dieser Tage dem Homeoffice und dem #StayTheFuckHome-Gebot durch eine kleine Joggingrunde entfliehe. Ein Beitrag auf Medium hatte diese Beschäftigung nun als überaus gefährlich gebrandmarkt. Die normalen Abstandsregeln würden absolut nicht ausreichen, heisst es da:

Auf der Grundlage dieser Studie rät der Wissenschaftler, dass beim Gehen Personen, die sich in die gleiche Richtung bewegen, mit mindestens vier bis fünf Meter Abstand umgangen werden sollten. Beim Laufen und langsamen Radfahren müsse der Abstand zehn Meter und beim schnellen Radfahren mindestens zwanzig Meter betragen. Auch beim Kreuzen einer Person wird empfohlen, bereits mit grossem Abstand, zum Beispiel zwanzig Meter beim Radfahren, auf eine andere Spur zu wechseln.

Es versteht sich von alleine, dass diese Abstandsregeln nicht eingehalten werden können. Ein Weg ist typischerweise zwei bis drei, aber nicht vier bis fünf Meter breit. Der logische Schluss – der im Beitrag aber nicht formuliert wird, müsste lauten, Sportaktivitäten zu verbieten.

Allerdings ist fraglich, ob sich die Aussagen so halten lassen. Das erklärt nun Futurezone im Beitrag Jogger als Virenschleuder: Kritik an Forscher. Die Resultate seien noch ungeprüft – und die zitierten Forscher selbst bezeichnen sie auf Twitter als «grobe Fehlinterpretation ihrer Arbeit». Noch einmal Glück gehabt!


So klingt es wie im Büro

Und noch das: Bei «The Verge» habe ich von einer Website gelesen, die für uns Homeoffice-Arbeiter die Geräuschkulisse des Büros repliziert. Sie heisst imisstheoffice.eu: Man kann die Zahl der Kollegen im Büro einstellen und diverse Geräuschquellen an- und abschalten: Kopierer, Telefon, quietschende Büromöbel, klappernde Tastaturen, klingelnden Telefone, plätschernde Wasserspender. Zwischendurch verbreiten zwei ein paar Gerüchte, mal niesst einer, dann kaut einer unanständig laut seinen Kaugummi… grossartig!

Hier konfiguriert man sich seine akustische Büroatmosphäre zurecht.

Beitragsbild: Google könnte ihn auch gleich ausfüllen (Pixabay, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «Still leidet die Privatsphäre während der Pandemie»

  1. Es könnte sein, dass Google hier nur Cloud-Infrastruktur bereitstellt: Google Cloud Platform GCP ist ja stark bemüht zu AWS und Microsoft Azure aufzuschliessen und dabei auch grosse Regierungsaufträge an Land zu ziehen, um Sichtbarkeit und Demonstration der eigenen Fähigkeiten zu erreichen. In der Richtung lese ich dann auch im Engadget-Artikel:
    „ Its partnership with Google, in particular, focuses on an application portal that’s powered by the tech giant’s cloud services and can handle a high volume of users.“

    Das würde dann Deloitte eher mit der Umsetzung/Entwicklung Raum lassen- denn die wie auch Verizon sind ja auch mit im Boot.

    Im anderen Fall wäre bei Google vermutlich nicht nur der Datenhunger grenzwertig – sondern insbesondere eine klare Wettbewerbsverzerrung weil Google inzwischen ja auch als Job-Portal agiert: https://jobs.google.com/about/
    Zumindest in Europa wurden deswegen schon Beschwerden in die Politik getragen: https://www.humanresourcesmanager.de/news/jobboersen-werfen-google-for-jobs-unfairen-wettbewerb-vor.html

    1. Danke für die Hinweise!

      Die Cloud-Infrastruktur bereitzustellen, fände ich akzeptabel. Ich bin nicht der Meinung, dass Behörden ihre Sites selbst hosten müssen. Wenn ich die Pressemeldung des NYS Department Of Labor richtig interpretiere, ist Google aber nicht nur Auftragnehmer, sondern ein Partner:

      Google Cloud has worked with the State Office of Information Technology Services to create a more user-friendly, streamlined, and reliable unemployment insurance application for the Department of Labor.

      Es bleibt offen, wie weit die Partnerschaft geht. Weil ich für meine Kritik auf Facebook meinerseits kritisiert wurde, habe ich folgende Presseanfrage gestellt:

      Regarding your press release, I’d like to pose the following queries regarding the partnership with Google: Could you provide further details on data management: Does Google have access in any way to the data entered in the unemployment insurance application? What measures are in place to protect the privacy of the applicant vis-à-vis the private law partners?

      Eine Antwort werde ich natürlich sogleich an dieser Stelle verbloggen.

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