Die Lücken im Stadtbild – und was zu tun wäre

Mein Blogpost zum Lädelisterben hat für Reaktionen gesorgt – die Diskussion geht weiter.

Die kleinen Läden in unseren Innenstädten haben es schwer. Sie kämpfen gegen die grossen Online-Händler, gegen den Einkaufstourismus und gegen die veränderten Shopping-Gewohnheiten. Das führt zum Lädelisterbe 2.0, über das ich vor kurzem hier im Blog berichtet habe.

Weil es daraufhin einige Reaktionen gab, komme ich darauf zurück. Denn es gibt noch einiges zu diskutieren.

Boris Nienke – den ich seit Urzeiten aus dem Happy-Shooting-Podcast kenne und der zusammen mit seinem Kompagnon Chris Marquardt am 31. November 2007 bei mir im Digitalk-Podcast zu Gast war – hat mich auf Twitter angesprochen und mich auf seine Blogposts zum Thema angesprochen:

Er sei «traurig, aber ohne Mitleid». Wir haben einige Male hin- und hergeschrieben. Seine Aussage trifft es auch für mich ganz gut. Denn manche der Läden, die jetzt dichtmachen, haben sich weder durch ein sonderlich spannendes Sortiment noch durch besonders kompetente Beratung ausgezeichnet.  Ich habe mich beispielsweise immer darüber genervt, dass es beim Microspot und Interdiscount fast die gleichen Produkte zu kaufen gibt. (Kein Wunder, sie gehören auch beide zu Coop Schweiz, zusammen mit der Elektrokette Fust.)

Ich habe in meinem ersten Beitrag den Wandel konstatiert, aber mich nicht  dazu geäussert, ob ich ihn nun gut oder schlecht finde. Meine drei Vorschläge für Gegenmassnahmen implizieren allerdings Bedauern.

Immer mehr kleine Läden schliessen…

Aber mir geht es vor allem um das Stadtbild und das Stadtleben. Die Lücken sind nicht hübsch und immer weniger Läden ergeben eine Verarmung – auch dann, wenn man kein Shopping-Fanatiker ist.

Das flächendeckende Shopping-Angebot ist nicht mehr zeitgemäss

In meinem dritten Vorschlag deute ich an, dass man die Lücken nicht nur durch Läden, sondern auch anderweitig stopfen könnte: Durch Coworking-Spaces, Spielmöglichkeiten für Kinder, Begegnungszentren und Kulturstätten. Wenn man kreativ ist, wird die Veränderung positiv sein. Aber es braucht Ideen und einen Gestaltungswillen. Wenn man die Entwicklung dem Zufall überlässt, dann wird das Strassenbild noch lückenhafter werden.

Wir sollten uns daher Gedanken machen, wie die Städte der Zukunft aussehen müssten. Das wäre eine zentrale Aufgabe für die Politik: Konkrete Pläne, wie wir als Gesellschaft mit der Digitalisierung umgehen sollen.

Romana Heuberger, die auch in meinem ersten Blogpost vorkommt, hat mich auf den Masterplan für eine attraktive Winterthurer Altstadt der FDP-Gemeinderatsfraktion (PDF) aufmerksam gemacht.

Wie dorthin kommen?

Die Ziele sind klar und einleuchtend, die Mittel und Wege dahin etwas weniger. Es heisst unter anderem:

Befristete Zwischen- und Umnutzungen sind geeignete Mittel, um rasch Leben in die leeren Geschäfte in der Altstadt zu bringen. Modelle wie Pop-up-Stores, Shop-Sharing oder Guerilla-Stores werden mittlerweile auch von Luxusmarken und Trendsettern genutzt.

Die Zwischennutzungen sind aber Pflästerlipolitik, um die Lücken kurzfristig zu füllen. Vielversprechender klingt dieser Vorschlag:

Zudem erhalten junge UnternehmerInnen eine Chance, einen Versuch mit ihrem Unternehmen zu starten, ohne gleich mehrjährige Mietverträge abschliessen und teure bauliche Anpassungen vornehmen zu müssen.

Nichts anderes hätte ich von der FDP erwartet. Was mir fehlt, sind Ideen abseits des Shoppings. Aber immerhin ist auch von Winterthur als «langfristiger Kulturmarke» die Rede. Da könnte etwas draus werden, wenn sich die anderen Parteien einmischen.

Marc hat auf Facebook ausführlich kommentiert. Er schreibt unter anderem:

Ich hätte gemeint, dass die Läden früher mal Leute aus den Altstadtwohnungen vertrieben haben. Das wurde sicher auch beklagt (Gentrifizierung gabs als Wort wohl nicht).

Das ist natürlich ein spannendes Stichwort. Ich gehöre zu denen, die aus der Altstadt in die Peripherie der Altstadt geflüchtet sind. Ich würde mich nicht als typisches Opfer der Gentrifizierung bezeichnen – obwohl es schon so ist, dass die Wohnungen mitten in der Stadt klein und teuer sind.

Es geht abwärts

Bei mir waren es die veränderten Bedürfnisse. Ausserdem war es mir in meiner alten Wohnung zu laut, nachdem eine Klitsche namens «Shooters» im Nachbarhaus dazu übergegangen war, von mittwochs bis samstags die ganze Häuserzeile mit infernalischen Bassorgien durchzuschütteln.

Was Winterthur angeht, hat die Stadt noch andere Sorgen. In den letzten Wochen haben sich diverse Unternehmen verabschiedet: Rieter, das Medtech-Unternehmen Zimmer Biomet und der finnische Schiffsmotorenhersteller Wärtsilä wollen Winterthur ganz oder teilweise verlassen; Stellen werden abgebaut oder verschoben. Der Firmenexodus in Winterthur ist besorgniserregend, hat die NZZ Mitte Februar geschrieben.

Die Zeitung hat die Entwicklung auf die Unternehmenssteuern im Kanton geschoben. Das scheint mir eine eindimensionale Erklärung. Aber es bleibt dabei, dass sich weitere Lücken im Stadtbild auftun – und die Politik gefragt ist.

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