Omfg

Heute vor zwanzig Jahren ist mein erster Artikel im Tagesanzeiger erschienen. Einerseits kann ich kaum glauben, dass das schon so lange her ist. Andererseits ist es annähernd unverständlich, wie sehr sich meine Arbeit seitdem gewandelt hat.

Heute vor genau zwanzig Jahren ist der Artikel Geschäftstüchtiges Windows im Tagesanzeiger erschienen. Es ging um Windows 2000, das mit einer ganzen Latte von Neuerungen aufwarten konnte: NTFS5, Active directory, der Computerverwaltung, dynamischen Datenträgern, Windows File Protection. Und eine Integration des Internet Explorers wie bei Windows 98, die den Nutzern noch viel Kummer bereiten würde.

Und das war das Fazit:

Viele vor allem ältere Rechner dürften den Systemanforderungen nicht gewachsen sein, was Speicher- und PC-Herstellern ein willkommenes Zusatzgeschäft bescheren wird. Und nicht zuletzt beim Preis von rund 600 Franken für eine Vollversion zeigt sich Windows 2000 als High-End-Betriebssystem.

Für den Einsatz im Büro, für Power-User und anspruchsvolle Heimanwender ist Microsofts Jüngstes dagegen interessant – wenigstens für diejenigen, die mit ihrem aktuellen Betriebssystem unzufrieden sind. Ohne dem Marktdruck nachzugeben, hat Microsoft sich viel Zeit fürs die neue Version gelassen. Das hat sich gelohnt: Windows 2000 ist ein Produkt, das nicht erst mit der «Second Edition» Alltagstauglichkeit erlangt.

Warum ich das hier schreibe? Weil das mein allererster Beitrag für den «Tagesanzeiger» war. Ich vermag es selbst kaum zu glauben. Aber es ist in der Tat schon so lange her.

Damals gab es einen ganzen Bund für uns

Das war damals ein imposanter Einstand: Nebst dem Bund-Aufmacher habe ich auf der zweiten Seite Tipps und Tricks für den Einstieg und eine Box zu den wichtigsten Neuerungen und den diversen Varianten von Windows 2000 geliefert. Und ja: Damals durfte sich die Computer-Berichterstattung nicht nur auf einer Seite ausbreiten, sondern über den ganzen sechsten Bund.

Das waren noch Zeiten.

Daran lässt sich ermessen, wie viel sich seitdem verändert hat: Auf meiner thematischen Spielwiese ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Windows und Microsoft haben damals, zusammen mit Intel, die Berichterstattung dominiert. Apple war nicht mehr in einem ganz so desolaten Zustand wie in den 1990er-Jahren. Steve Jobs war zurück in seinem Unternehmen und der iMac bereits erfunden. Dennoch hätten damals nur wenige Leute darauf gewettet, dass Apple einmal zu einer derartigen Höchstform auflaufen würde.

Dass das Internet wichtig werden würde, war uns klar. Aber aus der Retrospektive ist unverkennbar, dass wir Journalisten und Computerfans im Schnitt keinen Schimmer hatten, wie wichtig es werden würde. Die Dotcom-Blase hat sich zwar abgezeichnet. Aber gerade weil das alles so spekulativ war, konnten wir uns nicht so richtig ausmalen, wie konkrete Auswirkungen auf unseren Alltag aussehen sollten.

Das Internet als Randphänomen

Bezeichnenderweise kam das Wort «Internet» in meiner ganzen Windows-2000-Sause damals nur zweimal vor – und zwar in reichlich technischem Kontext. Erstens bei der Aufzählung der Features und dem Internet Explorer: «Die Oberfläche integriert den Internet Explorer ins System und ermöglicht die Navigation à la Windows 98.» Und zweitens bei den Tipps: «Die grössten Änderungen in der Handhabung ergeben sich für diejenigen Benutzer, die bislang unter Windows NT 4 mit dessen originaler Oberfläche arbeiteten, also die Desktop-Erweiterungen des Internet Explorer 4/5 nicht installiert hatten.»

Doch das Smartphone lag in weiter Ferne. Das Mobilfunknetz hat man fürs Telefonieren genutzt. Man konnte zwar auch mobil schon ins Internet. Doch das war erstens sterbenslangsam und zweitens wenig attraktiv. Das «richtige» Internet stand nicht zur Verfügung, sondern nur die extrem vereinfachte WAP-Variante. Und Google existierte damals zwar schon, musste aber noch ausführlich erklärt werden. Zum Beispiel im «Tipp der Woche» vom 3. April 2000 von meinem Kollegen Jürg Bühler:

Die Site http://www.google.com hat keinen geringeren Anspruch, als die beste und schnellste Suchmaschine im Web zu sein. Wer zum ersten Mal die Seite besucht, ist schon fast konsterniert ob der schlichten und aufgeräumten Aufmachung.

Zugegeben: Aus heutiger Sicht waren die Themen langweilig: die Möglichkeiten mit den DVDs am Computer. Die richtige Konfiguration des DFÜ-Netzwerks bei Windows. Die neuen Funktionen von Netscape 6. Das aktuelle Tagesgeschäft hat das selten tangiert – ausser, wenn mal ein Virus wie Loveletter mir sogar einen Frontauftritt beschert hat. Da ist heute mehr los – mit der Smartphone-Revolution, den sozialen Netzwerken, künstlicher Intelligenz, Cloud und virtueller Realität, Streaming – und was sonst noch so unser Vorstellungsvermögen auf die Probe stellt.

Alle 18 Monate wurde umgezogen

Ähnlich gross waren die Veränderungen in Bezug auf die journalistische Arbeitsweise. Schwer zu sagen, wie oft ich einen frischen Chef, einen anderen Arbeitsvertrag, eine modernere Organisationsform, ein neues Pult in einem schöneren Büro und ein überarbeitetes Pflichtenheft erhalten habe: Da gäbe es zu jedem Schlagwort wie Konvergenz, Mobile first, Mantelredaktion oder Conversions ein halbes Kapitel zu erzählen – was ich dereinst vielleicht in meiner Autobiografie tue. Oder auch nicht.

Jedenfalls hat diese Volatilität einige positive Aspekte: Ich glaube von mir behaupten zu dürfen, geistig einigermassen fit und beruflich flexibel geblieben zu sein. Und es ist nie langweilig geworden, ehrlich! Auch wenn ich auf die diversen Sparrunden gerne hätte verzichten können …

Wo bleibt die goldene Uhr?

Die ständige Veränderung hat auch ihre Schattenseiten. Eine, die mir an diesem Jubiläumstag einfällt, liegt auf der Hand: Da ich so oft umorganisiert worden bin, haben die beim HR komplett die Übersicht verloren. Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass ich heute eine goldene Uhr oder einen feuchten Händedruck des Chefredaktors als Dienstaltersgeschenk erhalten werde …

(Und ja, ich weiss, dass ich mich vor fünf Jahren bei der gleichen Gelegenheit schon einmal selbstbeweihräuchert habe.)

Beitragsbild: Hier brennen zwei Jahrzehnte ab (Sharon McCutcheon, Unsplash-Lizenz).

3 Kommentare zu «Omfg»

  1. Ach, Win2k… Davon hatte ich vom Kollegen eines Kollegen schon eine Beta bekommen. 😊 Ich habe es gemocht: Windows 98 und Me hatten keinen stabilen Kern und auf NT 4.0 liefen wegen mangelnder aktueller Version von DirectX keine Spiele.

    Auch auf Servern hatte es Vorteile: man musste zum Ändern der IP-Adresse nicht mehr neu starten wie bei NT. 😂 Kaum zu glauben, aber das war mal so. Kein Wunder, liefen die Server in der Firma damals mit Novell und Unix…

  2. Jetzt habe ich das Wichtigste vergessen: herzliche Gratulation zum Jubiläum!

    In der Zeit um das Jahr 2000 war ich in der Ausbildung. Den Tagi habe ich auf „toten Bäumen“ beim Frühstück gelesen. Den Computer-Bund habe ich immer gerne gelesen. So manche spannende Software habe ich dort kennen gelernt.

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