Das Revival des Hörspiels

Blood Ties ist kein Mei­len­stein der Podcast-Ge­schich­te, aber immerhin ein Beleg dafür, dass das gute alte Hör­spiel auch nach den Mass­stä­ben des mo­der­nen Audio-Story­tel­lings eine her­vor­ragen­de Fal­le macht.

Blood Ties – zu Deutsch: Blutsbande.

Der Auslöser für diesen Blogpost ist der Podcast Blood Ties (RSS, iTunes, Spotify). Er erzählt, wie Eleonore und Michael Richland in die Bredouille geraten, nachdem die Eltern der beiden mit einem Flugzeug abgestürzt sind. Die Mutter ist tot, der Vater verschwunden. Und nicht nur das: Es ruft auch noch eine Reporterin an, die sagt, sie hätte belastende Informationen über den Vater Richland, einen Kardiologen von Weltruhm.

Verkannter Vater, schräger Bruder

Der Podcast selbst ist ganz unterhaltsam, aber kein Meilenstein in der Podcastgeschichte. Zumindest inhaltlich nicht: Die Handlung ist ein locker-flockiges Gemisch aus Familiengeheimnissen, einer Verschwörung und #MeToo. Die etwas naive Hauptfigur, Eleonore Richland, muss erkennen, dass ihr Vater nicht der war, als den sie ihn kannte. Und auch ihr Bruder kommt reichlich schräg rüber.

Was ich allerdings bemerkenswert finde: Es handelt sich hier um einen Podcast mit fiktionalem Inhalt. «Blood Ties» ist ein klassisches Hörspiel. Diese Geschichte wäre früher im Radio ausgestrahlt worden. Selbst die Länge von um die 20 Minuten pro Folge würde passen.

Ich habe mich daraufhin gefragt, wie es eigentlich um das Hörspiel bestellt ist. Ich habe früher sehr gerne Hörspiele gehört. Die Begeisterung hat über die Jahre allerdings nachgelassen. Einerseits natürlich, weil die mediale Konkurrenz grösser geworden ist.

Das Hörspiel war früher oft zu verkopft

Andererseits haben in meiner Wahrnehmung auch die Hörspiele an Qualität eingebüsst. Vielleicht ähnlich wie beim Theater, wo sich die Macher zu Tode davor fürchten, einfach nur Unterhaltung zu produzieren. Stattdessen muss eine Produktion intellektuell verkopft und allzu avantgardistisch sein. Das Resultat ist etwas, das am Schluss nur noch andere Hörspielregisseure gut finden.

Und ja: Ich kenne auch Philip Maloney, den man nun nicht unbedingt der intellektuellen Kategorie zuschlagen wird. Aber den fand ich wirklich nie sonderlich originell. Und nach meinem Empfinden hat er sich auch schon Mitte der 1990er-Jahre totgelaufen.

Jedenfalls vermute ich, dass wir es weniger mit einer Krise des Hörspiels zu tun haben. Wir beobachten vielmehr eine Krise des Radios. Da (das völlig absurde) Kriterium der Durchhörbarkeit immer wichtiger geworden ist und auch zu den unsinnigen Formatradios geführt hat, darf man sich nicht wundern, wenn Hörspiele nicht mehr als Höhepunkte im Programm betrachtet werden, sondern als Einschaltquoten-Killer. Denn klar: Wer das Radio als Begleitmedium positioniert, der will auf keinen Fall, dass das Popgedudel für zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde durch etwas unterbrochen wird, bei dem man aktiv zuhören müsste.

Das Blut ist allgegenwärtig

Doch trotz meiner Ignoranz gibt es das Hörspiel im Radio noch. Bei SRF finden sie montags um 14 Uhr und freitags um 20 Uhr auf SRF1, sowie samstags um 20 Uhr und sonntags um 17 Uhr auf SRF 2 statt. Im Moment gibt es Blutspuren zu hören. Diese Produktion hat mit dem eingangs erwähnten Podcast immerhin das Blut im Titel gemeinsam.

Meiner Kritik zum Trotz finde ich es gut, dass das Hörspiel nie ganz aus dem Radio verschwunden ist. Denn jetzt hat es die Gelegenheit, zu neuer Blüte aufzulaufen. Das sieht übrigens auch Nathalie Wappler, ihres Zeichens Direktorin bei SRF so. In einem Interview mit der «Aargauer Zeitung»  (Abo+) hat sie Folgendes gesagt:

Hintergrundformate werden schon heute vor allem zeitversetzt genutzt. Das führt beispielsweise auch zu einem Revival des Hörspiels, das im linearen Programm wenig genutzt wird und nun über Audiotheken neu belebt wird.

Wie gesagt: Ich bin der Ansicht, dass das Radio selbst schuld ist, dass das Hörspiel im linearen Programm wenig genutzt wird. Aber natürlich ist einleuchtend, dass der moderne Mensch generell wenig Lust verspürt, zu einer bestimmten Zeit vor dem Empfangsgerät zu sitzen. Da sind Mediatheken, Hörbuch- und Podcast-Apps um Welten komfortabler.

Radiosener, beglückt uns!

Also, liebe Radiosender, nehmt die Gelegenheit wahr! Beglückt uns mit schönen Produktionen! Habt keine Angst vor der seichten Unterhaltung! Und seid euch der Stärke bewusst, dass man mit dem Bruchteil des Budgets für eine Netflix-Serie hervorragendes Kopfkino herstellen kann.

Der eingangs erwähnte Podcast «Blood Ties» stammt von Wondery. Das ist ein amerikanischer Podcast-Verlag, der den Medienriesen 20th Century Fox im Rücken hat. Ich kann mir daher sehr gut vorstellen, dass dieses Podcast-Hörspiel-Ding in ein paar Jahren ein wirklich grosse Kiste sein wird.

Beitragsbild: Clem Onojeghuo/Unsplash, Unsplash-Lizenz

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