Pablo fühlt sich nicht ganz ernst genommen

Die App Becasso versucht einmal mehr, mithilfe der künstlichen Intelligenz ein simples Smartphone-Foto in ein atemberaubendes Kunstwerk zu verwandeln.

Wenn ich den Begriff Multioptionsgesellschaft höre, dann fällt mir immer der App-Store ein. Dort gibt es so viel Auswahl, dass man sich als sterbliches Wesen zwangsläufig überfordert fühlen muss. Am wenigsten überschaubar ist das Angebot bei den Spielen – oder vielleicht auch bei den Foto-Apps. Da gibt es so viele Titel, dass den Entwicklern inzwischen sogar die vernünftigen Namen für ihre Apps ausgegangen sind.

Das merkt man auch bei der App Becasso (für iPhone): Deren Name ist einerseits ein schlimmer Kalauer und andererseits eine grobe Beleidigung für das spanische Jahrhundert-Talent. Aber er erfüllt den (die Mittel heiligenden) Zweck: Als neugieriger App-Benutzer will man sogleich wissen, ob die App ihrem eigenen Anspruch gerecht wird oder ob sie Etikettenschwindel betreibt.

Um dieses Urteil vorwegzunehmen: Natürlich erfüllt die App derartig hochfliegende Erwartungen nicht. Aber wer ernsthaft annimmt, mit so einer App zu einem begnadeten Künstler zu werden, der hat sich auch nicht mehr alle. Wenn man mit realistischen Ansprüchen an die Sache herangeht, dann kommt man zum Schluss, dass Becasso kein Geniestreich, aber eine interessante Fortführung des «Motze deine lahmen Fotos mithilfe von Kunst-Algorithmen auf»-Prinzips ist.

Das schmeichelt dem Auge. Aber auch das Original ohne Effekte war ganz okay.

Dieses Prinzip wurde von Instagram nicht erfunden, aber unglaublich populär gemacht. Die Prisma-App hat es mittels künstlicher Intelligenz vor drei Jahren auf ein neues Niveau gehoben (siehe Kunst ist eine Frage der richtigen App). Und jetzt treibt Becasso es noch ein bisschen weiter. Es ändert sich nichts Grundsätzliches. Aber ich habe den Eindruck, dass die Algorithmen noch etwas ausgeklügelter sind.

Keine tolle Benutzeroberfläche

Was die Benutzeroberfläche angeht, ist die App nicht viel weiter als Instagram: Man wählt ein Foto und dann einen Filter – und das war es dann (mehr oder weniger) auch schon. Immerhin: Man kann (wie bei Instagram auch) die Einstellungen der Standard-Filter anpassen und sie (bei Tools) als Vorlage abspeichern. Über die Möglichkeiten von Instagram hinaus geht die Retusche-Funktion. Sie stellt ein paar rudimentäre, klassische Bildbearbeitungsfunktionen bereit. Schliesslich kann man Fotos auch zuschneiden und mit einem texturierten Hintergrund und einem Rahmen versehen.

Sternennacht – zumindest der Effekt heisst so.

Was die Tools– und Retusche-Funktionen taugen, kann ich hier nicht beurteilen: Denn für Freeloader wie mich stehen sie nicht zur Verfügung. Auch für viele der Effekte muss man das Premium-Abo abschliessen – vor allem auch für die Kunst-Effekte (u.a. Van Gogh, Munch, Beckmann, Savlen, Matisse, Kandinski, Götz oder Klee). Immerhin: Man sieht eine Vorschau in Originalgrösse am Display. Und wenn man mit einer niedrigen Auflösung zufrieden ist, kann man auch einfach einen Screenshot machen.

Hübsch – aber würde man das als Kunst bezeichnen?

Das Premium-Abo kostet 4 Franken im Monat, 14.50 im Jahr oder 80 Franken einmalig. Das ist mir aber zu teuer – denn so gross ist mein Kunstbedarf nun auch wieder nicht.

Die Effekte sind in die Kategorien Magisch, Kunstvoll und Farben einsortiert. Plus Eigene, wo die individuell angepassten Filter auftauchen.

Also: Nichts, was meinen Lieblings-Bildbearbeitungs-Apps Snapseed (Mobile Bildbearbeitung für Fortgeschrittene) oder Polarr (Photoshop kann einpacken) gefährlich werden könnte. Aber die Effekte sind gelungen – wenngleich man sagen muss, dass gerade der beim App-Namen verballhornte Picasso-Effekt die Erwartungen nicht erfüllt.

Natürlich müssten auch die Formen expressionistisch verändert werden

Es wird nämlich die Farbgebung auf expressionistisch geschaltet und ein Pinselstrich simuliert. Was die App aber nicht tut, ist, Proportionen, Silhouette, Perspektive und Formgebung zu verändern – dabei sind das natürlich genau die Dinge, die die moderne Kunst auszeichnen.

Mit anderen Worten: Da geht noch mehr. Ich bin gespannt, wann der nächste Schritt erfolgt – und KI-Apps tatsächlich in der Lage sein werden, ein Bild zu dekonstruieren und von Grund auf künstlerisch neu zu konstruieren.

Beitragsbild: «Die App ist für ihn hier» – wäre ein etwas hartes Urteil (Martin Péchy/Pexels, Pixels-Lizenz).

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