So geht die Fotografie den Bach hinunter

Foto-Profis werden nicht mehr mit Geld, sondern mit «Exposure» bezahlt – mit der Möglichkeit, ihre Bilder zu präsentieren. Ein Zerfall der Sitten, denn von «Exposure» kann niemand seine Miete bezahlen.

Bei (der übrigens sehr empfehlenswerten) Foto-Site Petapixel habe ich neulich einen Beitrag über ein Ding namens Exposure Calculator gefunden. Er setzt bei einem interessanten Phänomen an. Nämlich bei der Tatsache, dass immer mehr Fotografen mit «Exposure» bezahlt werden.

Die exposure hat in dem Fall nichts mit der fotografischen Belichtung zu tun (obwohl es dafür natürlich auch Webanwendungen gibt). Nein, in Deutsch würde man das wahrscheinlich «Publicity» nennen, obwohl das auch nicht wirklich ein deutsches Wort ist. Aber mit «Öffentlichkeit» kommt man der Sache auch einigermassen nahe.

Ein weit verbreitetes Phänomen

Also, das funktioniert so: Ein Auftraggeber hätte gerne ein Foto, möchte dafür aber kein Geld bezahlen. Stattdessen bietet er «Öffentlichkeit» an: «Wir werden dein Foto einem grossen Publikum zugänglich machen.» Der Fotograf steigert seinen Bekanntheitsgrad, baut sich einen Ruf auf. Das hilft  dabei, Aufträge an Land zu ziehen, die dann auch wirklich bezahlt werden – in echtem Geld.

Das ist kein seltenes Phänomen. Boredpanda listet 97 People Who Think They Can Pay Artists In Exposure. Die Fälle stammen vom Twitter-Account For Exposure.

Es sind aber nicht nur kleine und mittlere Klitschen mit bescheidenem Marketing-Budget, die diese Masche anwenden. Nein, es sind auch die ganz grossen Unternehmen. Zum Beispiel Apple. Der Konzern hat anfangs Jahr seine «Shot with iPhone»-Kampagne gestartet.

Bei der sollten Besitzer eines Apple-Smartphones ihre besten Fotos einreichen. Eine elfköpfige Jury, der Phil Schiller und Fotojournalist Pete Souza angehörten, hat nun neulich die besten zehn Fotos gekürt. Diese Bilder werden für eine Plakatkampagne genutzt, mit der die Kamera des iPhones beworben werden soll.

Apple wollte weder Honorar noch Preisgeld bezahlen

Nun waren die Bedingungen für die Teilnahme an diesem Wettbewerb ursprünglich nicht sehr attraktiv: Apple wollte weder ein Honorar noch ein Preisgeld bezahlen, ausserdem sollten die Fotografen weitgehende Rechte abtreten. Appleinsider hatte im Kleingedruckten bei den Wettbewerbsbedingungen folgenden bemerkenswerten Satz entdeckt: «Prize has no cash value»: «Der Preis hat keinen finanziellen Gegenwert.»

Apple hat eingelenkt und will nun auch für die Fotos bezahlen. In den geänderten Bedingungen heisst es nun: «Photographers who shoot the final 10 winning photos will receive a licensing fee for use of such photos on billboards and other Apple marketing channels.»: «Die Fotografen erhalten eine Lizenzentschädigung für die Verwendung der Bilder.»

Es ist betrüblich, dass es einen Shitstorm brauchte, damit Apple auf die Idee gekommen ist, die Fotografen zu bezahlen – wobei mich noch interessieren würde, wie hoch diese Lizenzentschädigung ausfällt.

Apple trägt eine Mitschuld

Es ist aber auch bezeichnend: Denn natürlich trägt das iPhone eine Mitschuld am Honorarzerfall. Weil jeder jederzeit Fotos machen kann, ist das Angebot an Bildern riesig. Und weil so das Angebot exorbitant wächst, sinkt der Preis, obwohl auch die Nachfrage nach Bildern in den letzten Jahren ziemlich gewachsen sein dürfte.

Bleibt die Frage: Wie viel ist diese «Exposure» denn überhaupt wert? Respektive: Wann sollte man sich darauf einlassen? Und diese Frage geht nicht nur die Fotografen etwas an. Im Journalismus ist es genauso. Neulich hat ein freier Autor darüber geschrieben, wie er ein Interview verschenkt hat, nur für die «Exposure».

Auch lustig: Die Swisscom schaltet Werbung bei Facebook, verwendet dabei Bilder, die noch das Wasserzeichen der Bildagentur aufweisen (Getty).

Der besagte Exposure Calculator versucht, die Frage zu beantworten. Er bezieht die Erfahrung, den fotografischen Tätigkeitsbereich, das Sujet der Bilder (Promis vorhanden oder nicht; Nacktheit ja/nein) mit ein. Seltsamerweise spielt auch das Kameramodell eine Rolle. Und man muss die Zahl der Instagram-Follower angeben – denn die angebotene «Exposure» sollte logischerweise höher sein als die Followerzahl, die man über seine eigenen Social-Media-Profile erreichen kann.

Berechnet wird ein «Exposure»-Wert, der sich mir leider nicht erschliesst. Und ich zweifle grundsätzlich daran, dass man den Wert eines Bildes in «Öffentlichkeit» umrechnen kann. Entscheidend ist schliesslich, welches Publikum man erreicht. Drei Bildchefs von bekannten Werbeagenturen sind offensichtlich mehr wert als 5000 Facebook-Klicker. Darum scheint mir der Exposure Calculator kein taugliches Mittel zu sein, für Klarheit zu sorgen. Aber immerhin macht er auf das Problem aufmerksam.

Wer eine Plattform als Werbefenster nutzt, darf nicht alles hochladen

Es ist ein ähnlicher Fall, wie wenn man seine Bilder kostenlos mit einer Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung stellt. Hartwig Thomas, der Experte für solche Lizenzen ist, hat mir seinerzeit für den Artikel Mit freien Lizenzen Geld scheffeln folgende einleuchtende Handlungsmaxime vorgeschlagen:

Ein Künstler tut gut daran, wenn er die Plattformen als Werbefenster nutzt und die Ausstellungsstücke hochlädt, die seinen Ruf fördern – und nicht alles, was er verkaufen möchte, mit CC-Lizenz publiziert.

Eigentlich einleuchtend. So habe ich es gemacht, ohne dass jemals irgend ein bezahltes Engagement herausgeschaut hätte. Wenn man die Fotografie als Hobby und nicht als Beruf betreibt, ist das okay. Dann erhält man wenigstens einen kleinen Kick fürs Ego als Gegenleistung dafür, dass man seine Bilder verschenkt hat.

Wenn man zum Preiszerfall beiträgt

Andererseits ist es halt eben so, dass man seinen Teil zum Preiszerfall beiträgt – und zur Entwertung der Kunstform der Fotografie. Und das ist schade. Beim Guardian las sich das neulich wie folgt:

Unpaid work is damaging for diversity in the creative arts and a barrier to social mobility. It’s driving young talent out of these industries.

Übersetzt: Unbezahlte Arbeit ist schlecht für die Vielfalt in den kreativen Künsten und verhindert soziale Mobilität. Es vertreibt junge Talente aus diesen Industrien. Und das sollte jedem Freund der Fotografie oder von anderen Künsten im Herzen weh tun.

Beitragsbild: Shot with iPhone (Pexels/Pixabay, Pixabay-Lizenz)

One thought on “So geht die Fotografie den Bach hinunter

  1. Ich denke, das was im Moment mit der Fotografie passiert, wird in einigen jahrzehnten alle Kunstformen erfassen. Wenn immer Mehr Menschen immer mehr Freizeit haben und sich zu den schönen Künsten berufen fühlen, wird eine Inflation in Malerei, Musik, Tanz, Bildhauerei und anderen Künsten Einzug halten.

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