Pseudo-Fortschritt bei Windows

Microsoft hat die Screenshot-Funktion überarbeitet. Das ist nicht verkehrt, allerdings hätte man aus dem neuen Programm Ausschneiden und skizzieren viel mehr herausholen können – wie ein Blick auf die Konkurrenz zeigt.

Microsoft ergänzt das altbewährte Snipping Tool durch ein Ding namens Ausschneiden und skizzieren, das es bislang als separate App im Windows Store gab. Das soll den Umgang mit Bildschirmfotos (Denglisch: Screenshots) verbessern. Zum Schicksal des Snipping Tools gibt es widersprüchliche Angaben. Erst hiess es, es würde verschwinden. Hier heisst es folgendes:

Currently, we are not planning to remove the Snipping Tool in the next update to Windows 10 and the consolidation work underway will be a feedback and data-driven decision.

Das Snipping Tool wird nicht sofort verschwinden. Ob es erhalten bleiben wird, hängt von den Rückmeldungen der Leute ab. Und davon, ob die Telemetrie-Daten zeigen, dass die Leute es weiterhin benutzen.

Für die allermeisten Windows-Nutzer dürfte die Frage annähernd irrelevant sein. Für mich ist sie es nicht, weil ich es sehr häufig mit Screenshots zu tun habe, Ich fabriziere sie als Tech-Journalist und als Blogger. Ich bin von der Neuerung somit persönlich betroffen – und ich nehme sie auch ein bisschen persönlich.

Darum hier das gewünschte Feedback zu Handen von Microsoft. In einem Satz: Die neue App ist ein Rohrkrepierer. Oder etwas charmanter und ausführlicher formuliert: Ausschneiden und skizzieren ist aus meiner Sicht – bis auf eine einzige Ausnahme  – kein Fortschritt. Und damit der geneigte Leser mit Zeitmangel nicht bis zum Ende des Beitrags lesen muss um zu erfahren, was der Fortschritt ist, verrate ich es gleich an dieser Stelle:

Es ist die Tastenkombination Windows-Taste + Umschalttaste und + s: Sie startet das Programm und zeigt gleich den Balken mit den drei Befehlen zum Aufnehmen eines Screenshots: Rechteckiger Clip, Freiform-Clip und Vollbild-Clip. Das ist ganz praktisch – hätte aber auch gut mit dem Snipping Tool funktioniert.

Die Bearbeitungswerkzeuge sind jetzt etwas prominenter platziert

Also, zurück zu der Kritik: Die Neuerung, mit der Microsoft hausieren geht, sind etwas prominenter platzierte Bearbeitungswerkzeuge. Es gibt solche Stifte zwar auch beim Snipping Tool: Aber bei Ausschneiden und skizzieren stechen die virtuelle Malinstrumente und der Radiergummi, mit denen man seine Screenshots traktieren kann, deutlicher ins Auge. Und sie scheinen noch mehr auf Windows-Computer mit Touchscreen ausgelegt zu sein.

Diese Werkzeuge brauche ich aber nicht, weil ich nicht auf Screenshots zu malen pflege. Und ich würde generell abraten, es zu tun: Hingekritzelte Markierungen sehen in aller Regel nicht schön, sondern amateurhaft aus. Es mag sein, dass das gleichgültig ist, wenn man die Screenshots für sich selbst, für kleine Teams oder im geschäftlichen Umfeld benutzt. Doch hier im Blog, in der Zeitung oder auf einer grossen News-Website liegen die ästhetischen Ansprüche etwas höher.

Die Grafik hier ist ein echtes Meisterwerk, Microsoft.

Die Herausforderung muss daher sein, einen Screenshot so anzufertigen, dass man auch ohne Pfeilchen und Kringel aus ihm schlau wird. Und wenn es Markierungen braucht, dann müssen die einigermassen gut aussehen. Ich empfehle daher unbedingt, eine richtige Bildbearbeitungssoftware zu bemühen. Dort kann man beispielsweise die weniger wichtigen Bereiche aufhellen. Man kann gestalterisch ansprechende Hinweispfeile verwenden oder mit Emojis oder anderen Symbolen operieren. Die Skitch-App von Evernote zeigt auf, wie das richtig gehen würde.

Ein unnützer Klick mehr

Zweitens wird das Fotografieren des Bildschirms umständlicher. Beim Snipping Tool klickt man auf Neu und markiert den Bereich, den man fotografieren will. Bei Ausschneiden und Skizzieren klickt man auf Neu und dann auf rechteckiger Clip. Dann wählt man den Bereich. Ein Klick mehr, ohne dass das etwas bringen würde. Zum Glück macht die bereits erwähnte Tastenkombination Windows + Shift + s das wett.

Einem Intensiv-Screenshotter wie mir würden hingegen folgende Funktionen helfen:

  • Automatisch richtige Benennung, zum Beispiel mit Aufnahmedatum und Name der abfotografierten App.
  • Automatisches Archivieren einer Aufnahme in Original-Auflösung, plus Speichern von Varianten mit reduzierter Dateigrösse fürs Blog oder CMS.
  • Bei Bedarf ersetzen des Bildschirmhintergrunds durch einen neutralen, unaufdringlichen Farbton, vorzugsweise Weiss.

Fazit: Da nutzt man doch besser die Alternativen. Und dazu habe ich abschliessend zwei Tipps für unkomplizierte Screenshots:

Automatisch Screenshots im Web deponieren

Bei der Dropbox-App gibt es in den Einstellungen in der Rubrik Importieren die Option Freigabe von Screenshots mit Dropbox. Sie führt dazu, dass beim Drücken der Print-Screen-Taste (PrtScn) automatisch eine Aufnahme des ganzen Bildschirms im Screenshot-Ordner der Dropbox landet.

Irfan View gehört zu den klassischen Windows-Freeware-Programmen. Dieses vielseitige Grafik-Utility speichert auch Screenshots. Dazu klickt Options > Capture/Screenshot. Oder man betätigt die c-Taste.

Irfanview kann Screenshots automatisch sichern und erlaubt es sogar, ein Muster für den Dateinamen zu vergeben. Man kann auch automatisch Screenshots in bestimmten Intervallen machen. Das ist sehr praktisch, wenn man Dinge festhalten möchte, die so schnell passieren, dass man sie typischerweise beim manuellen Auslösen verpasst.

Im Beitrag Der Screenshot-Alleskönner bespreche ich die Empfehlung eines Lesers: das Open-Source-Programm ShareX.

Beitragsbild: Ein Bildschirmfoto (Rawpixel/Pexels, Pexels-Lizenz)

2 Kommentare zu «Pseudo-Fortschritt bei Windows»

  1. Ich möchte noch „Greenshot“ empfehlen, das ich seit längerem nutze. Es hat alle angesprochenen Features und noch dazu einen guten Editor mit Markierungswerkzeugen, und ich ebenso kostenfrei wie die alten oder neuen Bordmittel von Windows.

  2. Ich stimme dem Autor zu. Vor allem! Wir müssen mit der Digitalisierung weiter kommen! Das heißt, dass viele Leute, gerade die ab 50 sich an etwas gewöhnen können um damit zuverlässig arbeiten zu können. Ich finde mich nach mehreren Jahren Nutzung wieder mit den OfficeProgrammen zurecht und beim Wechsel war ich 38. Ich habe Kollegen, die verzweifeln bei solchen innovativen Neuerungen, kennen sich nicht mehr aus und haben einfach keinen Bock mehr, ständig irgendwas neues zu lernen im letzten Drittel ihres Berufslebens. Dieses Jahr wurde nach langem Hinauszögern bei uns Win10 eingeführt. Ein Drama ohne Ende. Viele Kollegen wünschen sich das XP zurück.

    Man muss mal überlegen, was diese Neuerungen den Unternehmen Geld kosten. Wenn wir alle bei der Digitalisierung mitnehmen wollen brauchen wir Kontinuität!!! Und Ihr, jetzt noch alle unter 40 glaubt mir. Ihr werdet die selben Wünsche haben!!!! 🙂

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