Es ist immer das gleiche: Wenn man mit einem Buch durch ist, spürt man einen mehr oder weniger grossen Abschiedsschmerz. Dieses Gefühl der Trennung ist ein guter Indikator für die subjektive Wichtigkeit – und zwar auf der Gefühlsebene. Es kann sein, dass man ein Buch intellektuell gut fand, aber keinen Abschiedsschmerz fühlt. Das ist typischerweise bei Sachbüchern der Fall, so erhellend sie auch gewesen sein mögen.
Umgekehrt kann das Lebewohl wehtun, selbst wenn wir Leser uns den Grund nicht so richtig erklären können – bei Büchern, die wir nicht unbedingt weiterempfehlen würden und die uns vielleicht sogar ein wenig peinlich sind.
Woran das liegt? Schwer zu sagen, wie das bei Liebesdingen halt so ist. Wahrscheinlich ist einem eine Hauptfigur ans Herz gewachsen. Oder wir vermissen die Atmosphäre der Geschichte – die Geborgenheit einer Welt, die vielleicht nicht mal besonders erstrebenswert ist. Die aber einen Kontrast zu dieser Welt hier darstellt, der uns verlockend erscheint. Bücher, die uns die Flucht aus dem Alltag besonders leicht machen, sind dann für gewöhnlich auch die, die man schlecht loslassen kann.
Serielle Bücherpolygamie
Aber man hat keine andere Wahl. Und auch wenn man sich ein bisschen wie ein Verräter vorkommt – wie ein Hinterbliebener, der die Trauerzeit nicht einhält –, macht man sich zum nächsten Buch auf. Manchmal möchte man ein Kontrastprogramm erleben, oft aber sucht man mehr vom gleichen. Und dabei wird man, wie jeder Leser weiss, oft genug enttäuscht.
Wie findet man nach einem guten Buch ein neues Buch, bei dem der Fall nicht zu hoch, die Enttäuschung nicht zu gross ist? Ich weiss, wie ich sie nicht finde: Nicht über die Empfehlungen von Amazon oder Audible, die einfach nicht gut sind. Manchmal helfen Bücher-Sites weiter, die sich einem bestimmten Genre verschrieben haben, etwa Krimi-Couch oder Fantastik-Couch.
Man kann es natürlich mit dem gleichen Autor noch einmal probieren. Oder sich, oh Schreck!, im Buchhandel beraten lassen – falls man denn in einem Ort wohnt, wo es noch Buchhandlungen gibt. Eine weitere Möglichkeit wäre, in der Bibliothek schmökern zu gehen, selbst wenn man das Buch hinterher für einen Audible-Credit als Hörbuch konsumiert.
Ich als Nerd und als Mensch, der an die Macht der Algorithmen glaubt, habe natürlich die Vorstellung, dass es eine Website geben müsste, die einem dabei helfen kann. Im Beitrag Das GPS für Literatur habe ich literaturlandkarte.de vorgestellt. Einigermassen gut, aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss.
Was sollte ich als Nächstes lesen?
Neulich bin ich auf What should I read next (punkt com) gestossen. Viel mehr auf den Punkt kann man bei einer Domain nicht kommen – und die Site zeigt denn auch ohne Schnickschnack ein Eingabefeld, wo man das Buch einträgt, das man ablösen möchte.
Natürlich habe ich das mit Büchern getestet, die ich schon gelesen und einigermassen erfolgreich abgelöst habe. Zum Beispiel «Ready Player One» von Ernest Cline, hier im Blog im Beitrag Nerdgasmus und Popkulturklimax besprochen. Da ist die erste Alternative «Off to Be the Wizard» von Scott Meyer, die hier im Blog ebenfalls ausgiebig gewürdigt wurde, mit allen Sequels. Weiter unten: John Scalzi mit «Lock In», ebenfalls gelesen und besprochen. Und viel weiter unten: «The Martian» von Andy Weir (siehe Gestrandet auf dem roten Planeten).
Das ist recht überzeugend: Da sind einige der Bücher versammelt, die mir viel bedeuten und die auch gut zusammenpassen – auch wenn extrem schwer zu sagen ist, was dieses Stimmigkeitsgefühl ausmacht. Das Thema wohl nicht, da ist die Spannweite recht gross. Die Erzählweise? Eher, aber auch da gibt es natürlich Differenzen. Also ist irgendein geheimes, besonders kluges KI-System am Werk?
Der kollektive Geschmack ist massgeblich
Eher nicht. In den FAQ heisst es:
WSIRN erstellt Empfehlungen, die rein auf dem kollektiven Geschmack beruhen: Wenn Bücher in dieselbe Favoritenliste eingetragen werden, werden sie miteinander in Verbindung gebracht. Je öfter bestimmte Bücher in verschiedenen Listen auftauchen, desto stärker wird diese Assoziation. WSIRN stellt schlicht und einfach die Massenmeinung über Bücher dar. Für die technisch Interessierten: Es handelt sich um ein kollaboratives Filtersystem, das unseren eigenen, massgeschneiderten Algorithmus namens «Incidence Bias Weighting» verwendet und teilweise auf Assoziationsregeln basiert.
Das kollaborative Filtern ist in dem Kontext keine Überraschung. Es steht und fällt mit dem Input – bei Spotify, wo es Milliarden von Playlists gibt, produziert es immer wieder erstaunliche Entdeckungen. Es befördert aber auch den Massengeschmack, zumindest, solange es nicht Millionen von Nutzern gibt, die auch absurde Randpublikationen goutieren.
Amazon verwendet ein ähnliches System, und wie oben erwähnt, finde ich das nicht so toll. In den FAQ gibt es dazu auch eine Erklärung, und die ist einleuchtend:
Amazon bietet zwar ein nützliches Empfehlungssystem, aber es basiert auf Ihrem bisherigen Kaufverhalten und dem anderer Nutzer – aber Sie kaufen ja nicht immer für sich selbst, oder? Unser System verfolgt keinerlei kommerzielle Absichten (obwohl Sie die empfohlenen Artikel natürlich über Amazon kaufen können) und basiert ausschließlich auf Artikeln, die echten Menschen tatsächlich gefallen. Wir versuchen nicht, Sie zum Kauf von bestimmten Bestsellern oder Ähnlichem zu drängen – wir wollen einfach dazu beitragen, dass Menschen ihre Lieblingsartikel miteinander teilen.
Man kann seine eigenen Bücherlisten eintragen und somit zum Empfehlungssystem beitragen. Wie viele Leute das tun, habe ich nicht herausgefunden. Aber es müssen doch einige sein. Geld verdienen die beiden Macher Andrew Chapman und Paul Lenz via Affiliate-Links. Nicht so ganz überraschend – und ganz okay, wo sie nicht steinreich werden wollen.
Natürlich funktioniert es bei englischsprachigen Autoren und Büchern einigermassen gut. Es gibt auch Schreiber und Titel aus dem deutschsprachigen Raum, aber ist die Datenlage dünn und die Empfehlungen sind entsprechend weniger griffig.
Bei Büchern, deren Abschiedsschmerz sich irgendwie gar nicht stillen lässt, kann leider auch WSIRN nicht weiterhelfen. Zu Harry Potter werden schräge Dinge wie «Calvin and Hobbes‘ Lazy Sunday Book», «What Would Buffy Do: The Vampire Slayer as Spiritual Guide» oder Sarah Dessen mit The Truth about Forever vorgeschlagen – wobei letzteres vielleicht doch nicht ganz verkehrt ist.
Immerhin: Ich bin mit der Website auf meine aktuelle Lektüre The Circle von Dave Eggers gestossen (ich weiss nicht mehr genau, mit welcher Eingabe). Das ist ein Werk, das ich schon lange mal lesen wollte. Und das scheint eine Top-Empfehlung zu sein.
Beitragsbild: Janko Ferlic/Pexels, CC0
Ich weiss, dass Du eher Romane liest. Trotzdem möchte ich Dir ein Sachbuch empfehlen, von dem ich gerade sehr begeistert bin: „Neuronale Netze selbst programmieren“ von O’Reilly. Mangels Hauptfigur besteht keine Gefahr für Abschiedsschmerz. 🙂
Es fasziniert mich, weil ein komplexes Thema verständlich erklärt wird, ohne einfach die Mathematik weg zu lassen. Man beginnt ganz einfach und am Schluss hat man ein Tool geschrieben, welches Zahlen in Bildern erkennen kann. Auch wenn man das nicht braucht, ist es nützlich, um zu verstehen, was KI leisten kann und was nicht.
Danke!