Wer in Textverarbeitungs-Abgründe geblickt hat

Es ist ein Drama: Einerseits haben viele Leute Word und Co. nur oberflächlich zu bedienen gelernt. Andererseits setzen diese Programme mit ihren Wysiwyg-Formatierungen die völlig falschen Anreize.

Im Beitrag Jaaaaaaa! habe ich, man muss es leider sagen, eine Tirade abgelassen. Gelästert und geschnödet. Und mich völlig undankbar gezeigt, wo die Open-Source-Community doch wunderbare Arbeit leistet und mit Libre Office und Open Office zur Softwarevielfalt beiträgt und uns dringend benötigte Auswahlmöglichkeiten liefert.

Der Beitrag hat auf Twitter ein paar Wellen geworfen. Da wurde zu Recht kritisiert, dass Microsoft Office wegen der Trägheit der Nutzer zu dem Status gelangen konnte, den es heute noch immer hat. Und mir ist eingefallen, dass ich immer wieder höre, dass an den Schulen eine Office-Lektion schon als Informatikunterricht gilt. Und zwar offenbar so, dass die Schüler dann lernen, wo sie in Word klicken müssen, um ein neues Dokument zu machen.

Warum lehrt man nicht die grundsätzlichen Prinzipien?

Statt die Benutzung von Anwendungen zu lehren, müsste man natürlich die grundsätzlichen Prinzipien von Textverarbeitung und Tabellenkalkulation vermitteln. Das hätte zur Folge, dass der Nutzer nicht aufgeschmissen wäre, wenn er nach einem Update plötzlich mit einer leicht veränderten Benutzeroberfläche konfrontiert ist. Er würde sich sogar zurechtfinden, wenn er plötzlich mit Libre Office arbeiten müsste.

Und er würde ein paar grundsätzliche Dinge berücksichtigen.

Martin Steiger hat dazu ganz treffend Folgendes bemerkt:

Damit hat er absolut recht. Als Betreuer der Kummerbox, als Redaktor und als Layouter diverser Publikationen habe ich mich oft darüber gewundert, dass die Leute die grundsätzlichen Einsatzzwecke ihrer Programme missverstanden haben. Wie vor Urzeiten im Beitrag Kreativer Softwaremissbrauch ausgeführt, hat einer zum Beispiel seine Inserate in Excel abgeliefert. Als ich nachgefragt habe, warum er das denn tue, meinte er: Da gibt es mit den Zellen ein praktisches Raster, mit dem er seine Textelemente platziert.

Sollen die Leute doch tun, was ihnen beliebt!

Wieso auch nicht?, kann man sich fragen. Und es ist vermutlich auch kein Problem, solange keine anderen Leute mit diesen Dokumenten arbeiten müssen. Aber wenn ich dafür sorgen muss, dass dieses Inserat anständig gedruckt wird und die Farben nur ansatzweise so aussehen, wie der Mann es sich vorgestellt hat, dann wird es etwas knifflig – und die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen beträchtlichen Mehraufwand mit einem solchen Inserat habe, tendiert gegen hundert Prozent.

Auch freie Journalisten, die ihr Geld durch Abliefern von Manuskripten verdienen, tun sich oft nicht durch besondere Fertigkeiten bei der Benutzung ihrer Textverarbeitung hervor. Ich habe nun keinen eigentlichen Giftschrank, was das angeht. Aber schmerzliche Erinnerungen, wie viel Arbeit ich bei meinen früheren Jobs mit solchen Dokumenten hatte.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil ich auch schon damals für Computermagazine und nicht für «Die Tierwelt», das Fanzine einer Trahsmetalband oder das Parteiorgan des anarchistischen Untergrunds gearbeitet habe. Man könnte also meinen, die Leute seien nicht gänzlich unbeleckt – doch auch sie haben offenbar nie von Tabulatoren gehört, mit Leerzeilen operiert und Bilder in Word eingefügt, damit ich sie fürs Layouten erst mühsam herausoperieren durfte.

Absatzformate? Ein grösseres Mysterium als der Verbleib von Atlantis

Und mich erstaunt, dass nur wenige Nutzer von Textverarbeitungen das Prinzip der Absatzformate verstanden zu haben scheinen – von Zeichen- oder Objektformaten ganz zu schweigen. Da wird lieber mit Direktformatierungen gearbeitet, dass einem die Haare zu Berge stehen. Dabei wäre es so einfach: Jedes Textelement hat sein eigenes Format.

Das macht es sehr einfach, einen Titel, ein Zitat, eine Bildlegende, ein Eintrag im Inhaltsverzeichnis oder eine Fussnote korrekt auszuzeichnen. Die Formate sorgen dafür, dass die Formatierungen stringent sind. Es ist obendrein bubiliecht, die Formatierung zu ändern oder über ein Theme ein Dokument mit einem einzigen Klick umzugestalten.

Und, wenn man Manuskripte mit einem Programm wie InDesign in einer Satzdatei platziert, werden Absatz- und Zeichenformate passend zugewiesen oder umgesetzt, sodass mit wenig Aufwand das Layout so aussieht, wie es aussehen sollte.

Natürlich, diese laienhafte Arbeitsweise hat damit zu tun, dass Word die Formatierungsbefehle prominent in der Symbolleiste anbietet, statt sie etwas zu verstecken. Es hat sicher auch mit dem Wysiwyg-Prinzip zu tun. Wenn die Leute statt mit formatierten Ansichten in Code-Editoren eingeben würden, dann gäbe es automatisch eine grössere Trennung von Inhalt und Form.

Wysiwyg und der Hang, Dokumente zu Tode zu formatieren

Und das käme, so glaube ich, auch der Textqualität zu Gute. Denn es ist auf alle Fälle besser, wenn man sich beim Schreiben ganz aufs Schreiben konzentriert. Ums Aussehen des Dokuments kümmert man sich am Schluss – und der Aufwand hält sich in Grenzen, wenn das Dokument vernünftig strukturiert worden ist.

Steuerzeichen statt Wysiwyg? Klingt nach einem Rückschritt, ist es aber nicht.

Darum sollten Schüler, die Textverarbeitung lernen, das nicht mit Word tun, sondern mit einer simplen App ohne Wysiwyg. Latex wäre eine spannende Wahl. Oder irgend ein Markdown-Editor. Wie hier schon öfters erwähnt, halte ich diese Auszeichnungssprache für überaus praktisch: Man operiert mit einfachen Steuerzeichen und erhält solide formatierte Texte. Die formatiert man mittels Stildateien so formatiert, wie man möchte. Und man kann sie auch leicht in andere Formate überführen.

Bild: Beim Informatikunterricht gegen den Strom schwimmen… (srfparis/Pixabay, CC0)

2 Kommentare zu «Wer in Textverarbeitungs-Abgründe geblickt hat»

  1. Es reut mich immer noch, dass ich mich vom Klickibunti eines Word habe verführen lassen und nie LaTeX gelernt habe. In meiner Ausbildungszeit war Word 2000 aktuell. Also die Version, die gerne ein ganzes Dokument durcheinander gebracht hat, wenn man ein Bild eingefügt oder verschoben hat. Um ein PDF zu erstellen, hat man eine mehr oder weniger legale Version von Adobe Acrobat benötigt. Ging allen in unserer Klasse so, bis auf Marco. Der hat konsequent mit FreeBSD gearbeitet, weil ihm Linux zu Mainstream war. Er schrieb flüssig LaTeX und hat alle Dokumente damit geschrieben.

    Bilder einfügen: kein Problem. Export als PDF: ein Befehl (genauso wie Export als HTML oder sonst was). Und während wir noch den Formel-Editor von der Office-CD nachinstallierten, war er schon lange fertig mit seiner Formelsammlung.

    Man merke: funktioniert etwas nur umständlich, sollte man einen Schritt zurück machen und sich nach Alternativen umsehen. Sehr wahrscheinlich gibt es eine bessere Lösung.

    1. Hallo Manuel,
      auch ich habe einst LaTex probiert dann aber bald aufgegeben, weil es einfach für einen „normalen“ Anwender viel zu kompliziert zum bedienen war. Was ich bei Dir nicht ganz verstehe, warum Du um 2000 herum einen teuren Adobe Acrobat Writer verwendet hast, Es gab damals bereits verschiedene freeware PDF Generatoren welche man wie Drucker bedienen konnte.
      Und das mit den Bildern und dem Text verwerfen… ja, da habe ich meinen Teilnehmern in meinen Lehrgeängen immer gesagt: Nehmt euch einfach mal 3 Minuten Zeit und lernt die Technik kennen, wie man Bilder in den Text einfügen kann. Sei dies Tabellen, Positionsrahmen oder fliegend.
      ich hatte für meinen Unterreicht Kursunterlagen geschrieben, schon mit der ersten Version von Word welche noch unter DOS gelaufen ist und hatte oft Dokumente welche aus Filialdokumenten bestanden und hunderte von Seiten hatten…. nie ein Textverwurf…

      Wünsche Dir für Deine Word-Zukunft alles gute und sehr viel Erfolg.

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