Die Fernsehserie Timeless, momentan bei Netflix zu sehen, beschäftigt sich mit Zeitreisen. Industriemagnat Connor Mason hat in seinem Unternehmen im Geheimen eine Zeitmaschine bauen lassen.
Das Projekt war aber nicht so geheim, dass Garcia Flynn nicht davon Wind bekommen hätte. Flynn klaut die Zeitmaschine, um ein bisschen temporalen Terrorismus zu verbreiten. Ein Team von drei Leuten erhält den Auftrag, dem Terroristen und seinen Spiessgesellen mit einer Ersatz-Zeitmaschine hintendreinzujagen.
Historikerin Lucy Preston, Elitesoldat Wyatt Logan und der ungelenke Nerd Rufus Carlin sollen den Mann einfangen und gleichzeitig allzu schlimme historische Entgleisungen verhindern oder zurechtrücken. Das funktioniert natürlich nicht. Schon nach der Pilotfolge ist Welt nicht mehr dieselbe: In den Geschichtsbüchern steht etwas anderes zur Hindenburg. Und Lucy ist plötzlich ein Einzelkind, weil ihre Mutter die Schwester namens Amy in diesem Zeitstrang nie geboren hat.
Eine Lanze für die Emanzipation
Das kitzelte meinen Nerv für das Thema. Das Fazit nach einigen Folgen: Unterhaltsam genug, um dabeizubleiben. Die Geschichten, zumindest so weit ich bis jetzt gekommen bin, funktionieren. Am meisten Spass macht natürlich der Nerd, obwohl der gar nicht sonderlich nerdisch ist. Aber Rufus Carlin als instinktiver Kämpfer gegen Rassismus ist eine Freude und Garant, dass in dieser Serie auch (verhohlene) Kritik an der amerikanischen Geschichte möglich ist. Zwischendurch (Folge «Space Race») darf Lucy Preston auch mal eine Lanze für die Emanzipation brechen und einem 1960er-Jahre-Macho die Knöpfe eintun.
Die erste Folge dreht sich wie angedeutet um das famose Luftschiff der Nazis, das dieses Mal in Lakehurst eine saubere Landung hinlegt. Das ist eine klevere Wahl, weil zum einen die Nazis schon mal andeutungshalber erwähnt sind. Denn das das dritte Reich und/oder JFK vorkommt, ist ein ungeschriebenes Gesetz des Genres. Übrigens: JFK hat seinen Aufritt bei «Timeless» dann in der dritten Folge. Dazwischen: Das Attentat auf Abraham Lincoln. Auch hier ist das Team erfolgreich genug, um ein Durcheinanderwürfeln des US-Präsidentschafts-Lineups zu verhindern. Ausserdem: Mondlandung, Franzosen gegen Indianer, The Alamo, Watergate, Bonnie & Clyde. Immer mit hübscher und im Vergleich zu früheren Serien überzeugender Ausstattung und Kostümierung.
Das Dilemma des Zuschauers
Aus der Ausgangslage mit dem bösen Zeitterroristen ergibt sich ein interessantes Dilemma und ein Problem für die Serie: Als Zuschauer findet man sich unweigerlich auf der Seite von Garcia Flynn wieder: Man will, dass es ihm gelingt, ein richtig dickes Ding zu drehen. Denn man brennt darauf zu sehen, wie sich die Welt entwickelt hätte, wenn Abraham Lincoln davongekommen wäre. Diesen Konflikt tragen auch die Zeitreisenden mit sich herum: Sie müssen einen Status Quo verteidigen, der womöglich gar nicht so toll ist. An Anfang der Staffel schwelt dieser Konflikt, und ich bin gespannt, ob die Drehbuchautoren ihm gestatten aufzulodern, oder ob sie sogleich die Löschdecke darauf werfen.
Jedenfalls ist «Timeless» ein Lehrstück, wie schwer es für Mainstream-Unterhaltung ist, einem Nerdthema gerecht zu werden. Die Serie wurde für NBC produziert, eines der drei grossen TV-Networks in den USA (meines Wissens sogar das grösste). Entsprechend liegt es auf der Hand, dass Quoten gebolzt und Werbegelder eingespielt werden müssen. Die Macher haben keine Wahl, als ihr Produkt auf Mehrheitsfähigkeit zu trimmen. Es muss auf jeden Fall Verwirrung beim Publikum verhindern, denn Wegzap-Anreize sind tabu. Das führt unweigerlich dazu, dass die Drehbuchautoren im Seichten fischen und die Untiefen der erzählerischen Möglichkeiten meiden. Eine solche Serie wird nicht ausloten können, wie es wäre, wenn es Terrorist Flynn schaffen würde, unumstössliche amerikanische Werte umzustossen.
Dystopie-Verhinderungstaktiken
Wenn sich das Publikum gut fühlen soll, dann darf es nicht allzu dystopisch werden. Die temporale Paradoxa dürfen den Couch potato intellektuell nicht überfordern. Die aufmerksamen Zuschauer dürfen ein bisschen damit gekitzelt werden, aber es braucht immer genug Vertrautes und einen ausreichend hohen Kuschelfaktor als Gegengewicht.
Dazu gibt es zwei Tricks. Der erste: Ein anfänglich kurz eingeführtes Naturgesetz verunmöglicht es, in die Zeit zu reisen, in der man schon existiert. Das bedeutet, dass es durch die Naturgesetze nicht gestattet ist, mehrere Anläufe zur Behebung eines Problems zu nehmen. Wenn die Hindenburg beim ersten Mal nicht explodiert, wie sie sollte, kann das famose Trio nicht einfach ein zweites Mal dorthin zurückreisen, um es besser zu machen. Das macht die Sache für den Zuschauer spannender, weil dringlicher. Und sie verhindert Paradoxa, wo Leute sich selbst begegnen und was weiss ich mit sich selbst anstellen. Das ergibt automatisch eine ausreichend lineare Erzählweise, die sich fürs Massenmedium eignet.
Es menschelt ganz gewaltig
Der zweite Trick: Es menschelt ganz gewaltig in dieser Serie. Das Trio der Hauptfiguren wirkt so liebenswert und gleichzeitig schablonenhaft, dass man den Verdacht bekommt, dass die Marketingabteilung beim Ursprungskonzept und dem Casting ein gewichtiges Wörtchen mitgeredet hat. Wikipedia verrät, dass die Macher der Serie sich von Quantum Leap haben inspirieren lassen. Das wundert nicht – wobei das Konzept jener Serie avantgardistischer erscheint als eine simple Zeitreise mit einer hundskommunen Zeitmaschine: Sam Beckett sprang damals willkürlich durch das Weltgeschehen und in Leute «hinein». Das gibt der Angelegenheit etwas Zwanghaftes und Unkontrolliertes. Bei «Timeless» dagegen ist die Hoffnung erlaubt und allgegenwärtig, dass es, aller Gefahr zum Trotz, schon gut kommen wird.
Mich erinnert «Timeless» daher weniger an «Quantum Leap» als vielmehr an Sliders. Hier wurde zwar nicht zeitgereist, sondern von einem Paralleluniversum zum nächsten geschlittert. Die Parallele indes ist, dass es auch hier ein Team mit sympathischen Figuren gab, das das Vertrauen verströmte, auch mit abgefahrenen Situationen gut zurechtzukommen. Was für den Zuschauer bedeutet, dass er sich gemütlich zurücklehnen kann, selbst wenn es einmal ein bisschen absurd werden sollte. Und «Sliders» hat exemplarisch vorgeführt, dass die hochspekulative Frage nach alternativen Verläufen der Menschheitsgeschichte in der Mainstream-Unterhaltung nicht gefragt ist. Wie hier geschrieben:
Anfänglich haben sie die Drehbuchautoren zwar um philosophische Tiefe bemüht. Doch damit war schnell Essig. Bald ging es nur noch drum, in jedem neuen Paralleluniversum eine andere Sorte von Zombies zu bekämpfen. «Sliders» zeigt geradezu exemplarisch auf, wie eine schöne Idee unter Quotendruck degeneriert.
Und selbst wenn solche Serien Kompromisse machen, sind sie nur mässig erfolgreich. Das gilt bekanntlich sogar für Star Trek. Die Serie hat bei der Erstausstrahlung 1966–1969 quotenmässig mehr schlecht als recht vor sich hingedümpelt. Dass es drei Staffeln gab, war erstaunlich und nur einer konzertierten Aktion zu verdanken, bei der Zehntausende Fans an den Sender (auch NBC) geschrieben hatten. Viele ähnlich gelagerte Produktionen kommen nicht über eine erste Staffel hinaus.
Kein Potenzial fürs Abendprogramm
Auch für «Timeless» sieht es nicht sonderlich gut aus. Der Serie drohte nach der ersten Staffel das Aus. Jetzt läuft sie noch etwas weiter. Im deutsprachigen Raum hat sich aber offenbar noch nicht einmal ein Fernsehsender gefunden, der sie überhaupt ausstrahlen wollte. Wikipedia:
Die Serie erschien am 29. März 2018 auf DVD, ohne dass es zuvor zu einer Ausstrahlung im deutschsprachigen Fernsehen kam.
Nebenbei bemerkt: Das welschschweize Fernsehen ist etwas mutiger. Da läuft die Sendung momentan auf RTS Un.
Immerhin: Wir haben heute Netflix und die Möglichkeit, dass eine Serie nicht im Massenmarkt, sondern bei einem Kernpublikum erfolgreich sein muss. Das gibt einen viel grösseren experimentellen Spielraum und erlaubt es, auch mal in die Vollen zu gehen. Manchmal schlägt das Pendel für meinen Geschmack etwas zu sehr in die andere Richtung aus. Zum Beispiel bei Sense8, wo vor lauter Ambitionen die Spannung auf der Strecke geblieben ist. Oder bei Altered Carbon, wo aus mir unerfindlichen Gründen das uneheliche Kind von Jean Claude van Damme und Dolph Lundgren die Hauptrolle bekommen hat. Aber gut, das wird sich noch einpendeln.