Die Nazis mal wieder

«Carter & Lovecraft» sowie «After the End of the World» knüpfen beide bei Themen von H. P. Lovecraft an. Den Cthulhu-Mythos kann man mögen, muss man aber nicht.

Cthththhtht… also, Alien-Viecher und so. Könnte (zur Verhinderung einer Text-Bild-Schere zum Titel) aber auch ein Nazi sein. (Bild: Danilo Neira/dibujando.net, CC BY-SA 4.0)

Es gibt ein ziemliches Problem mit diesen zwei Büchern, und das liegt bei mir. Carter & Lovecraft (Amazon Affiliate Deutsch bzw. Englisch) und After the End of the World (Amazon Affiliate Englisch) von Jonathan L. Howard knüpfen bei den Themen von H. P. Lovecraft an. Dem Necronomicon und dem Cthulhu-Mythos, beispielsweise. Das Problem: Ich habe noch nichts davon gelesen und hätte mir diese beiden Bücher aufheben sollen, bis die Grundlagen vorhanden sind. Das habe ich aber nicht getan.

Denn es geht in den beiden Büchern um mein absolutes Lieblingsthema, die Alternativweltgeschichten. Natürlich, wieder einmal die Nazis. Am Ende des ersten Buches wird die Welt aufgefaltet… wobei ich, da ich die beiden Bücher in Englisch gehört habe, nicht weiss, wie man das in Deutsch korrekt nennen würde.

Wenn Nazis Moskau ausradieren

Jedenfalls ist es so, dass in der Unfolded World die Nazis auf die Idee gekommen sind, eine Bombe auf Moskau abzuwerfen – keine Atombombe, aber eine Art Super-Energiewaffe, die das gleiche Resultat wie ein Nuklearsprengkörper hatte: Die Sowjetunion wurde quasi enthauptet, der Krieg ging zugunsten der Nationasozialisten aus, Grossdeutschland beherrscht auch in der Gegenwart noch Europa und die Amerikaner spielen die zweite Geige. Wie hätte ich da widerstehen können?

Das erste Buch jedenfalls startet vielversprechend: Daniel Carter wirft nach einer vermasselten Polizeioperation seinen Bettel als Ermittler hin und tut das, was alle gescheiterten Polizisten tun: Er wird Privatdetektiv, und ein ziemlich hartgekochter obendrein. Er ermittelt in normalen Fällen – und er ermittelt in seltsamen Fällen, zum Beispiel bei einem unerklärlichen Todesfall, bei dem ein Mathematikprofessor scheinbar in seinem Auto ertrunken ist, ohne dass man sich hätte erklären können, woher das Wasser gekommen und wohin es wieder verschwunden ist. Und Carter erhält Besuch von einem verdächtig fröhlichen Anwalt, der ihm sagt, er hätte ein Haus in Providence, Rhode Island, geerbt – von einem Mann, der nach sieben Jahren Abgängigkeit für tot erklärt wurde, und den Carter nicht kannte.

In Providence findet er heraus, dass in dem Haus ein Buchladen untergebracht ist, in dem Emily Lovecraft das Sagen hat. Sie ist eine junge Frau mit Durchsetzungkraft, die ihm so sympathisch ist, dass er sie und ihren Buchladen nicht vor die Türe setzt, sondern weitermachen lässt. Und so nimmt diese Partnerschaft ihren Lauf. Emily Lovecraft rückt mit dem Geständnis raus, dass sie eine Nachfahrin von H. P. ist. Und Daniel Carter, so zeigt es ein Stammbaum, hat verwandschaftliche Verbindungen zu Randolph Carter zu tun; einer Figur aus dem Lovecraft-Universum.

An Grossdeutschland gewöhnt

So weit, so gut. Carter verfolgt die Spur des unerklärlichen Falls weiter und kommt William Colt auf die Spur. Der Mann hatte am örtlichen College Mathematik studiert und offenbar herausgefunden, wie man die Naturgesetze hackt und Wahrscheinlichkeiten aushebelt – was ihm beim Casino Hausverbot einbrachte. Im Verlauf des Showdowns stellt sich Colt nicht gerade geschickt an. Das führt dazu, dass die Welt, wo die Nazis untergegangen sind, jener Unfolded World weichen muss, wo sie das Sagen haben. Carter und Lovecraft müssen feststellen, dass sich auch die Amerikaner nach einem halben Jahrhundert an die Vorherrschaft Grossdeutschlands gewöhnt haben – und dass vieles anders ist. Ian Flemings fünftes Buch heisst nicht «From Russia with Love», sondern «Liebesgrüsse aus Berlin», und generell ist Bond eine ziemlich kleine Nummer. Und auch sonst gehen viele popkulturelle Referenzen ins Leere.

Natürlich hätten die beiden gerne die folded World zurück … und apropos Falte: im Beitrag Der hat meine Roman-Idee geklaut! habe ich ein Buch vorgestellt, bei dem eine ganz ähnliche Idee besprochen wird. Bei dem wird «Fold» als Spalte übersetzt. Und das ergibt natürlich mehr Sinn: Die Welt ist nicht aufgefaltet, sondern es ist ein alternativer Strang des Weltgeschehens abgespaltet worden. Und mir scheint, dass auch die deutsche Übersetzung dieser Interpretation gefolgt ist.

Wie auch immer: Carter und Lovecraft müssen auch in der abgespalteten Welt ihr Auskommen finden. So kommt es, dass Carter einen Job für einen Nazi annimmt und sich am hiesigen College als Sicherheitsbeamter einschleusen lässt. Dort findet ein Energieexperiment statt, das scheinbar sabotiert wird und bei dem er einmal unauffällig nach dem Rechten sehen soll. Natürlich klappt das nicht. Und ohne zuviel zu verraten, wird erst Carter und dann auch Lovecraft in eine seltsame deutsch-amerikanische Kooperation hineingezogen, die auf einer kleinen, weit abgelegenen Insel auf den Showdown zusteuert. Dort bleibt dann wortwörtlich die Zeit stehen – und die Sache mit den wackeligen Naturgesetzen verschärft sich noch, statt sich zu stabilisieren.

Vergnügt man sich auch als Uneingeweihter?

Die grosse Frage ist also: Muss man H. P. kennen, um Vergnügen an diesen beiden Büchern (und den weiteren Folgen, die unweigerlich kommen werden) zu haben. Der Rezensent von criminalelement.com ist der Ansicht, dass das nicht der Fall ist:

You don’t have to be a Lovecraft fan to enjoy this one, and for those that like their mysteries with a healthy dash of horror and the very strange, you’ll want to get to know the fantastic Carter and Lovecraft.

Ich denke allerdings, dass mir die Bücher mehr Spass gemacht hätten, wenn ich mit den Grundlagen vertraut gewesen wäre. Die Sache mit den wackeligen Naturgesetzen ist das eine. Aber jene Referenzen und Anspielungen, die sich nicht um Lovecraft drehten und die ich verstanden habe, die waren eine Bereicherung. Entsprechend bin ich ziemlich sicher, dass mir einiges entgangen ist.

Was nun die Geschichte selbst angeht, finde ich, dass sie stark gestartet ist, dann aber deutlich nachgelassen hat. Viele loben die gelungene, unterhaltsame Mischung aus Detektiv- und Horrorstory, aber mich hat das Horror-Element nicht sonderlich gepackt. Diese Fomorians, irgendwelche komischen Aliens sind für mich noch kein Gruselfaktor.

Doch ein eigentliches (erzählerisches) Problem sind die Nazis. Sie sind in dieser Abspaltung zwar skrupellos genug, eine Bombe auf Moskau zu werfen. Aber mit der Judenvernichtung haben sie es nicht ganz so ernst gemeint. Oder vielleicht konnte die Propaganda einfach alles besser unter dem Deckel halten. Jedenfalls ist alles fürchterlich normal mit diesen Gesellen. Das hat Emily geärgert – und mich auch.

Drittklass-Nazis

Es gibt einen zweiten Grund, weswegen ich Schwierigkeiten mit diesen Nazis hatte: Sie haben mich permanent an drittklassige US-Schauspieler erinnert, die in billigen Fernsehserien der 1950er-Jahre mit einem Akzent sprachen, den man vielleicht als Amerikaner für deutsches Englisch halten könnte. Das hat auch mit dem Hörbuch zu tun, das von Ari Fliakos gelesen wird. Der macht die Sache gut. Doch an den deutschen Einsprengeln scheitert er kläglich – und das schmälert das leider sowohl Hörvergnügen als auch Glaubwürdigkeit.

Fazit: Ich mag die Figuren sehr, besonders Emily ist eine Heldin, wie sie nicht oft genug auftreten kann: Klug, draufgängerisch und mit einem frechen Mundwerk ausgestattet. Auch der Erzählstil von Jonathan L. Howard macht Lust auf mehr: Auf den Punkt, mit vielen Formulierungen, bei denen einem das Herz aufgeht. Mit dem Plot bin ich nicht warm geworden, weil die alternative Welt zusehr Staffage war. In einer Welt, wo die Nazis regieren, sollte der Showdown in Berlin oder meinetwegen auch in einem grossdeutsch unterwanderten New York City stattfinden, nicht auf einer Insel, die so abgelegen ist, dass sie in jeder möglichen Parallelwelt genau gleich ausschaut…

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