Alöcher beiderlei Geschlechts

«Sleeping Beauties» ist ein Buch, das Hor­ror­könig Stephen King mit seinem Sohn Owen geschrieben hat. Ein feminis­tisches Buch mit interes­santen Ideen, aber mit zu vielen Figuren und zu wenig Biss.

Die Kings tun ihrem royalen Namen alle Ehre. Sie setzen dazu an, dass die Krone des Horror-Königs vom Vater Stephen auf den Sohn Owen übergeht. Oder wie ist es zu deuten, dass das neueste Buch Sleeping Beauties (Amazon Affiliate englisch, Amazon Affiliate fürs Buch in Deutsch) als gemeinsames Werk der beiden entstanden ist? Was auch immer die Idee dahinter gewesen sein mag, unzweifelhaft wird der Ruf des Vaters mit diesem Buch auf den Sohn abstrahlen.

Doch der Sohn, der in die Fussstapfen eines so berühmten Vaters stapft, ist auch nicht gerade zu beneiden. Jedenfalls gibt es am Ende des Hörbuchs ein Gespräch der beiden Autoren, in dem sie sich über die gemeinsame Arbeit auslassen. Da kein knallharter Gesprächsleister es führt, treten keine erbitterten Konflikte um Formulierungen und Plotverläufe zutage.

Führt Owen die kingsche Erzähltradition fort?

Trotzdem ist es hörenswert. Und es lässt die Hoffnung aufkeimen, dass Owen die kingsche Erzähltradition weiterführen wird, wenn der Vater dereinst – hoffentlich erst in ferner Zukunft – nicht mehr schreiben kann oder mag…

Eine Frau im Kokon habe ich leider bei keiner Bilddatenbank gefunden. (Bild: AlexVan/Pixabay, CC0)

Das Buch ist jedenfalls ein «echter» King. Spannend, ausufernd, mit einem interessanten Ensemble und viel Lokalkolorit. Ich mag die King-Bücher deswegen, weil sie für mich The american way of life auf sehr authentische und fassbare Weise rüberbringen. Bei meinen dreimonatigen Reise damals habe ich die Leute so erlebt, wie ich sie in den Büchern erlebe – naja, natürlich ohne die Eskalationen von Horror, Katastrophe und Zivilisationsverlust, die in den Büchern unvermeidlich sind. «Sleeping Beauties» ist im Vergleich zu früheren Werken milder.

Die brutale Rache der aus dem Schlaf gerissenen Frauen an den Männern

Nun könnte man spekulieren, ob das an Sohn Owen liegt. Mir scheint es aber dem Thema geschuldet. Denn es sei ein feministisches Buch, schrieb zum Beispiel der Tagi:

Man hat das Buch in manchen Kritiken als feministisch deklariert. Werden die Frauen aus ihrem eingesponnenen Schlaf gerissen, reagieren sie brutal und bestialisch, sie fallen Menschen an und töten sie, auch jene, die ihnen einst nahestanden – die Frau den Mann, die Mutter den Sohn. Zombie-Dornröschen.

Ich weiss nicht, ob feministisch das richtige Wort ist. Natürlich, man kann es als Plädoyer für Frauenrechte lesen. Ich würde es eher eine Lobrede nennen; eine eine Verneigung vor den Frauen, weil sie mit uns Männern nicht gerade ein leichtes Los gezogen haben. Jedenfalls wollten die Kings Feststellung treffen, wer das starke Geschlecht ist, ohne allzusehr zu verallgemeinern – wo es doch Arschlöcher beiderlei Geschlechts gibt. Aber ja, die Männer sind mehrheitlich die grösseren Arschlöcher. Zum Beispiel Don Peters, der seine Machtposition als Gefängniswärter im Frauenknast Dooling Correctional auf äusserst widerliche Weise missbraucht.

Aber es gibt auch viele, die sich einigermassen vernünftig schlagen. Frank Geary, der versucht, seine Wutanfälle in den Griff zu bekommen, auch wenn der am Schluss auf der falschen Seite steht. Oder Gefängnispsychiater Clint Norcross, der versucht, seine Schützlinge nicht dem Mob zu überlassen, auch wenn das die naheliegendste Sache wäre.

Wie wäre eine Welt ohne Frauen?

Die Frage, die die beiden Kings erörtern, ist die: Wie würde eine Welt ohne Frauen aussehen? Und wie würden die Frauen es erleben, wenn sie ohne Männer auskommen müssten? Dieses Szenario wird durch ein Virus herbeigeführt, bei dem die Frauen einschlafen, sich in einen Kokon zurückziehen und für die Männer verloren sind. Die Frauen ihrerseits wachen in der gleichen Welt wieder auf, in der es aber keine Männer mehr gibt. Sie scheint irgendwo in der Zukunft zu liegen und könnte echt, parallel oder auch nur geistig sein.

Obwohl die ganze Welt betroffen ist, spielt sich diese Sache in einem Mikrokosmos namens Dooling ab, einer kleinen Stadt in den Appalachen. Eine Krankheit namens «Aurora», wahrscheinlich ein Virus, führt dazu, dass sich die Frauen in einen Kokon aus Seidenfäden verspinnen, sobald sie einschlafen. Manche Frauen wehren sich so lange wie sie können dagegen, indem sie mit allerhand Drogen den Schlaf in Schach halten. Andere scheinen nicht unglücklich über die Fluchtmöglichkeit – denn tot sind die Frauen ja nicht, sondern nur dem Alltag entrissen.

Männer sind Schweine

Die Männer ihrerseits bekleckern sich in dieser Situation nicht gerade mit Ruhm. Sie führen sich zur Mehrheit so auf, wie sie sich sonst immer aufgeführt haben.

Nur noch etwas weniger kontrolliert und teils gänzlich ohne Manieren. Sie wollen ihre Frauen zurück und greifen deswegen das Frauengefängnis an, in dem Eve Black eingesperrt ist. Sie hat Meth-Köchen den Meister gezeigt, und wurde darum von Lila Norcross, der Frau Sheriff des Kaffs verhaftet. Aber sie hat noch ganz andere Qualitäten: Sie scheint eine Art Naturwesen zu sein. Sie schläft und verpuppt sich nicht. Und sie steht auch mit Tieren in Kontakt, den Ratten und den Motten. Der letzte Dorftrottel kommt nicht um den Schluss herum: Die Frau hat etwas mit der Sache zu tun.

Und ja, das hat sie. Die Natur persönlich scheint der Ansicht zu sein, dass es so mit den Männern und den Frauen nicht mehr weitergehen kann und ein paar Sachen ein für alle Mal geklärt werden müssen. Und die Männer in der Situation haben nichts Besseres zu tun, als eine Schlacht um das Frauengefängnis zu veranstalten – weil eine Schlacht um irgendetwas immer die Problemlösungsstrategie Nummer eins dieses Geschlechts darstellt.

Derbe Sprüche, blutige Tode

Ich habe das Buch eingangs als milde bezeichnet. Dem wird widersprochen, zum Beispiel indem Machismo unterstellt wird: «Da gibt es blutige Tode, Explosionen und Waffen en masse. Es gibt derbe Sprüche über Frauen, weil die männlichen Charaktere des Buches nun mal einfache Menschen vom Lande sind.» Ich bleibe dabei: Es hat ein versöhnliches Ende und der Hauptcharakter ist ein alter, riesiger, wunderschöner Baum, der zwischen Raum und Zeit und über dem erbärmlichen Hickhack steht, das Geschlechterfragen so oft sind.

Und trotzdem stellt sich die Frage, ob die Männer die Frauen tatsächlich so wenig vermissen würden, wie King und King in diesem Buch behaupten? Ich glaube bzw. hoffe es nicht; aber ich verstehe, dass die beiden diese Frage aufwerfen, und dass sie darauf keine rührselige Antwort geben wollen.

Persönlich hat mich das Buch etwas weniger gepackt als The Stand, wo es schliesslich auch um ein irres Virus geht. Das liegt daran, dass mir der Kampf ums Gefängnis etwas zu episch inszeniert wird – und dass es sehr viele Figuren gibt, bei denen ich teils die Übersicht verloren habe. Im Buch gibt es offenbar ein Figurenverzeichnis. Das fehlt beim Hörbuch – und es wäre an der Zeit, solche Hilfsmittel fürs Verständnis auch bei den Hörbüchern mitzuliefern. Das wäre als PDF oder interaktiv in der App natürlich machbar.

Kein Held, keine Identifikationsfigur

Vielleicht liegt es auch daran, dass es, wie dieser Rezensent hier schreibt, keinen echten Helden und damit keine richtige Identifikationsfigur gab. Wie gesagt, das ist Absicht, weil es Arschlöcher bei beiden Geschlechtern gibt. Aber es erschwert die Identifikation, weil einem niemand sosehr ans Herz wächst, wie Tom Cullen, Ralph Brentner oder Stu Redman oder die ganze Bande in «It». Trotzdem empfehle ich es gerne, und ich glaube, dass die Frage des Buchs noch nicht erschöpfend beantwortet ist: Wie wäre sie, diese Welt, nachdem das andere Geschlecht abhandengekommen wäre?

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