Es gibt auch Nerd-Heldinnen

«Artemis» ist das neue Buch von Andy Weir. Es spielt auf dem Mond und hat eine sympathische Heldin, kommt aber nicht an «The Martian» heran.

Die zähen, gewitzten Frauen, die sich so unbesiegbar wie ein Held männlichen Geschlechts durch ein Film- oder Buchabenteuer kämpfen, kann ich an einer Hand abzählen. Die prominenteste ist sicherlich Lisbeth Salander (siehe Lisbeth ist wieder da! und Der Geschmack von Lisbeths Intim-Piercings). Und jetzt ist eine neue hinzugekommen: Andy Weir hat der Welt Jasmine (Jazz) Bashara geschenkt.

Allzuviel ist hier noch nicht los. Aber das wird sich in naher Zukunft ändern, wenn es nach Andy Weir geht. (Bild: James Stuby, NASA, Wikipedia, PD-NASA)

Andy Weir ist der Mann hinter «The Martian», dem fantastischen Erstling, der als Buch eingeschlagen hat und als Film ganz in Ordnung war, und der von mir im Beitrag Gestrandet auf dem roten Planeten besprochen wurde. In seinem neuen Buch Artemis ist besagte Jazz Bashara eine Kleinkriminelle, die sich auf Schmuggel spezialisiert hat. Doch nicht irgendwo – sondern auf der ersten Mondkolonie Artemis.

Jazz, das Mondkind

Die gibt es lange genug, dass Jazz zu den Kindern gehört, die auf dem Mond zur Welt gekommen sind und für die die Hauptstrafe des ansonsten ziemlich gesetzlosen Fleckchens Mondstaub einen echten Knick in der Biografie bedeuten würde: Die Verwaltung von Artemis deportiert Straffällige nämlich auf die Erde, ganz gleichgültig, ob die jemals in der viel höheren Schwerkraft gelebt haben oder nicht.

Artemis ist ein Ort, der vom Tourismus lebt und von ein paar exzentrischen Milliardären bewohnt wird. Denn was ist exklusiver als ein Loft im Mare Tranquillitatis in der Nähe des Landeplatzes von Apollo 11? (Das Mar-a-Lago jedenfalls nicht.) Jazz gehört zum Hilfspersonal, das noch enger lebt, als die Minderbemittelten in einer Megastadt wie Hongkong. Aber sie hat Witz und Einfallsreichtum, eine freche Zunge und ausreichend kriminelle Energie, um das Schmuggelgeschäft mit guten Erfolgsaussichten zu betreiben. Denn zwangsläufig sind auf dem Mond viele Dinge aus Sicherheitsgründen verboten und aufgrund teurer Importwege knapp.

Florierendes lunares Kleinkriminellentreiben

Diese Jazz Bashara lässt sich nun anheuern, um die wirtschaftlichen Machtverhältnisse auf dem Mond zugunsten eines Mannes zu verändern, der es sich leisten kann, dafür Kleinkriminelle anzustellen und mit einer Million Slugs (die Mondwährung) zu entlohnen. Daraus ergibt sich eine unterhaltsame Mischung aus Tech- und Wirtschafts-Thriller, der sich sicher auch nett verfilmen liesse. Locker und amüsant geschrieben und eine glaubwürdige Vision, wie das Leben auf so einer Mondkolonie aussehen könnte.

Die eigentliche Frage, die sich viele stellen, ist natürlich: Ist «Artemis» ein würdiger Nachfolger von «The Martian»? Und da kann Andy Weir eigentlich nur verlieren. Sein Erstling war so fulminant spannend, so überraschend bei der Geschichte und so rund von Anfang bis Ende, dass er schwer zu erreichen, geschweige denn zu übertreffen ist. Und entsprechend sind viele Kritiken bei goodreads.com denn auch verhalten bis ungnädig.

Der Hauptvorwurf: Obwohl Jazz Bashara eine junge Frau (26) mit saudi-arabischen Wurzeln ist, hört sie sich wie Mark Watney an: Der gleiche Humor, dieselbe lakonische Art und ein ähnlicher Überlebenswille. Und ja, es gibt in der Geschichte ebenfalls Momente, wo das Überleben im Vakuum des Alls an einem seidenen Faden hängt. Auch Jazz braucht technisches Geschick und Einfallsreichtum für ihre Mission. Und natürlich ist der Mond nicht der Mars, aber man erkennt trotzdem eine gewisse Ähnlichkeit beim Setting.

Nicht ganz so raffiniert wie «The Martian»

Kritisiert wird auch die Handlung, zum Beispiel als halbherzige Diebesgeschichte («half-assed heist plot») und die technischen Details, die «The Martian» ebenfalls zentral für die Geschichte waren. Denn Mark Watney überlebt nur, weil er sich immer neue Tricks einfallen lässt, die wenigen Dinge, die er noch zur Verfügung hat, zu zweckentfremden. Und auch Jazz benötigt handwerkliches und technisches Geschick:

Welding. Yes, welding. More than I ever want to know about welding.

Und ja, es wird relativ viel geschweisst im Buch. Das ist eine zentrale Fähigkeit, die Jazz von ihrem Vater mitbekommen hat und für ihren Sabotageakt benötigt. Um an dieser Stelle nicht mehr zu verraten.

Ich kann die Kritik zu einem Teil nachvollziehen und würde auch sagen: «Artemis» ist kein «The Martian». Aber ich finde auch, dass Jungautoren wie Andy Weir Nachsicht verdienen. Denn (und den Gedanken habe ich nicht selbst erfunden, sondern irgendwo einmal aufgeschnappt) als Autor trägt man seinen Erstling eine halbe Ewigkeit mit sich herum, unter Umständen jahrzehntelang. Das ist eine echte Herzensangelegenheit, während das zweite Buch dann innert ein, zwei Jahren entsteht. Gerade wenn der Erstling Erfolg hatte, wird der Verlag auf einen schnellen Nachfolger drängen.

Eine sympathische Heldin, aber kein zwingender Plot

Fazit für mich: Ich habe das Buch nicht mit der atemlosen Spannung von «The Martian», aber mit viel Vergnügen gelesen. Zugegeben, die Geschichte kommt nicht an die grossen Gangsterfilme- oder Romane heran. Aber Jazz Bashara ist eine sympathische Heldin, von der Sorte es mehr geben dürfte – obwohl die grösste Kritik bei goodreads.com gerade von Frauen kommt.

Oh, and by the way, Jazz is the town tramp (with a heart of gold) because of her reputation for sleeping with so many guys. Hysterical.

Promiskuität kann man auch Lisbeth Salander vorwerfen, und es ist tatsächlich schwierig, wenn ein Mann eine weibliche Hauptfigur so charakterisiert, dass man sich als Leser unweigerlich fragt, ob man hier in eine private Wunschfantasie hineingezogen wird. Aber es ist wirklich halb so wild: Jazz’ Privatleben ist ein Nebenschauplatz. Ich hätte kein Problem damit, wenn meine Tochter sich Jazz als Vorbild aussuchen würde – während ich bei Lisbeth Salander doch leer schlucken würde.

Trotzdem: Eine schöne Zukunftsvision

Es gibt auch eine Reihe von sympathischen Nebenfiguren, zum Beispiel Svoboda, und weil der Mond eine Melting Pot aller Rassen und Kulturen ist, wird das Nebeneinander von Ethnien, geschlechtlichen Orientierungen und Religionen als so selbstverständlich gezeigt, dass es gar kein Thema ist. Das ist eine schöne Zukunftsvision. Und weil Sciencefiction-Autoren unser Bild der Zukunft mitbestimmen und letztlich auch einen Einfluss darauf haben, wohin die Reise geht, sollte sich Andy Weir von den negativen Stimmen ja nicht vom Schreiben weiterer Bücher abhalten lassen.

2 Kommentare zu «Es gibt auch Nerd-Heldinnen»

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