So richtig überzeugend ist das nicht

Obike, die neuen, gelben Mietvelos, die überall in der Stadt herumstehen, sind eine gute Idee. Aber vieles am Konzept ist falsch.

Wenn es nach manchen Kommentatoren geht, sind die gelben Velos eine echte Pest. Diese Einschätzung halte ich für übertrieben, und das treffende Wort, das Facebook-Freund Réda für seine Tirade nicht eingefallen ist, heisst Landplage.

Kaution und Kreditsystem – das ist abschreckend kompliziert, wenn man Obike nur einmal schnell ausprobieren möchte.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob Obike nun wirklich so schlimm ist oder ob man sich daran gewöhnen wird – so wie man sich an den ersten MacDonald’s in der Schweiz gewöhnt hat, obwohl der amerikanische Fastfoodfrass damals auch als Untergang des Abendlandes taxiert worden ist.

Da schwingen viele Vorurteile mit

Ich erinnere mich noch vage an die Kontroverse, die bei manchen von ihrem latenten Antiamerikanismus befeuert wurde. Und heute, bei Obike, scheinen bei manchen antiasisatische Ressentiments eine Rolle bei den Aversionsgefühlen mitzuschwingen.

Die Idee ist jedenfalls nicht komplett dumm: Ein Velo dank App lokalisieren und am Zielort einfach stehen lassen zu können, ist vielversprechend. Die Fahrradflotte organisiert sich dann quasi von selbst und (zumindest theoretisch) verteilen sich die Fahrgelegenheiten feiner in der ganzen Stadt, als das bei stationären Ausleihpunkten der Fall wäre. Nun kann man kritisieren, dass der öffentliche Raum für die Geschäftstätigkeit eines gewinnorientierten Unternehmens verwendet wird. Das kritisiert zum Beispiel auch Réda in seiner bereits erwähnten Tirade.

Allerdings, wenn ich mir vor Augen führe, wie viele Geschäfte die Trottoirs mit ihren Werbetafeln (den so genannten Kundenstoppern) vollstellen und wie viele Restaurants sich mit ihren Tischen und Stühlen auf die Bereiche der Strasse ausdehen, auf denen ich als Steuerzahler unbehelligt entlanggehen möchte, dann ist es ziemlich offensichtlich, dass der öffentliche Raum längst für kommerzielle Zwecke missbraucht wird.

Auch sonst steht viel Zeugs im öffentlichen Raum herum

Klar, irgendwo muss man eine Linie ziehen – aber warum das genau bei den Leihrädern sein müsste, ist nicht zwingend ersichtlich. Weil Obike keine Gewinne macht und darum keine Steuern zahlt? Da müsste man jede Werbetafel hinterfragen, die mich im öffentlichen Raum belästigt und auch keine Steuereinnahmen generiert.

Wie gesagt: Ein modernes, auf GPS, Bluetooth und einer App basierendes Velo-Verleihsystem ist nicht verkehrt. Ich würde so etwas gerne nutzen. Obike hat mich allerdings auch nicht überzeugt.

Erstens stört mich auch, dass die App konstant Zugriff auf die Ortsdaten benötigt. Ich verstehe das zu einem gewissen Grad. Es geht wohl darum, das Ende der Fahrt und damit die neue Position des Velos genau feststellen zu können.

Andererseits: Wenn man eine Fahrt in der App als beendet erklärt – was man eh tun will, damit die Mietgebühr nicht zu hoch ausfällt –, dann wäre es völlig ausreichend, wenn die App die GPS-Ortungspotion Beim Verwenden der App verwenden würde, die es beim iPhone seit dem letzten oder vorletzten iOS-Update gibt¹.

Häufig kritisiert, nicht ganz zu unrecht: Die Option, den Standort zur bei Benutzung der App anzufordern, wäre völlig ausreichend, wird aber nicht angeboten.

Zweitens finde ich es seltsam, dass man sich einerseits mit ziemlich vielen persönlichen Daten identifizieren muss und andererseits auch eine Kaution zu entrichten hat. Beides halte ich für übertrieben. Entweder Kaution, dann aber anonyme Nutzung. Oder Identifizierung, dann aber auf Vertrauensbasis, ohne Kaution.

Die App ist unausgereift

Drittens macht die App einen unausgereiften Eindruck. Das etwas komplizierte System mit den Kreditpunkten wird schlecht bzw. falsch erklärt. Der Preis sollte sich erhöhen, wenn man Kreditpunkte verliert – in der Anleitung wird aber immer ein Grundpreis von 1.50 Franken für eine halbe Stunde angegeben, egal wie viele Kreditpunkte man hat.

Egal wie viele Kreditpunkte man verloren hat, der «erhöhte Preis» beträgt noch immer nur 1.50 Franken pro halbe Stunde.

Klar, das Kreditpunktesystem erklärt, warum man sich mit Telefonnummer identifizieren muss. Ansonsten könnte man, wenn man Kreditpunkte verloren hat, einfach ein neues Benutzerkonto eröffnen. Andererseits: Wieso gibt es die Kaution, wenn zur Betrafung bei Fehlverhalten nicht einfach Geld von der Kaution abgezogen wird? Das passt nicht zusammen und ist auf alle Fälle nicht so einfach, wie es sein könnte/müsste.

Das VIP-Abo ergibt keinen Sinn

Schliesslich gibt es ein VIP-Abo, das relativ teuer ausfällt: 39.90 Franken für den Monat. Dafür kriegt man einen bescheidenen Gegenwert, nämlich zwei Fahrten pro Tag à 30 Minuten, was drei Franken entspricht. Man muss also die Hälfte des Monats mindestens zweimal pro Tag eine halbe Stunde herumfahren, damit sich das lohnt. Da wäre ein automatisch einsetzender Rabatt für Vielnutzer simpler und fairer.

Das VIP-Abo ist teuer – und der Erklärtext noch nicht einmal auf Deutsch übersetzt.

Fazit: Gute Idee, schlechte Umsetzung. Und die Velos machen auch keinen so richtig überzeugenden Eindruck. Klar, sie müssen robust sein. Aber will man deswegen mit einem Drahtesel rumfahren, wo sich das Ordonnanzrad 05 im Vergleich brüsten darf, ein Flitzer und Leichtgewicht zu sein?

Fussnoten

1) Update: Es wird immer wieder unterstellt, dass Obike eigentlich auf das Sammeln und Verkaufen von Daten ausgelegt ist. Eine vernünftige Datenschutzerklärung habe ich nicht gefunden. Die «Bilanz» schreibt zu diesem Vorwurf: «Auf die Frage, ob es dem Unternehmen um die kommerzielle Nutzung der Bewegungsprofile ihrer Kunden gehe, wie oft behauptet wird, hält das Unternehmen fest: ‹oBike wird keine Daten verkaufen›. Und fügt gleichzeitig an: ‹Nur den Städten, in denen wir präsent sind, bieten wir anonymisierte Kundendaten an, damit diese ihre Veloinfrastruktur verbessern können.›»

4 Kommentare zu «So richtig überzeugend ist das nicht»

  1. Einmal abgesehen vom «Datenhunger», dem blödsinnigen Gewicht und der schrottigen Qualität der OBikes (solche Pseudo-Bremsen gehören verboten): Restaurants dürfen ihre Tische und Stühle eben genau nicht kostenlos auf das Trottoir oder gar auf die Strasse stellen. Sie erhalten einen von der Stadt exakt definierten Platz, für den sie teuer bezahlen müssen. Und es wird (oft ohne Augenmass seitens der Behörden) gebüsst, wenn ein Stuhl über der Linie steht.

  2. Unbestritten, die Obikes sind schrottig. Meine Beurteilung der Hardware beschränkte sich leider darauf, einmal eines hochgehoben zu haben. Ausprobieren wollte ich es wegen der Kaution nicht.

    Was die Nutzung des öffentlichen Raums angeht: Ich finde es richtig, wenn Restaurants für die Nutzung des öffentlichen Raums zahlen müssen und überprüft werden. Ich kenne genügend Restaurants, wo auf dem Trottoir manchmal überhaupt kein Durchkommen ist (Prüfung hin oder her). Da ist ein abgestelltes Velo harmlos. Als Privater darf man sein Velo kostenlos auf öffentlichem Raum parkieren – und die App reitet auch darauf rum, dass man die Obikes anständig abstellen soll. Wenn mans nicht tut, wird man durch Abzug von Kreditpunkten bestraft.

    Aber falls Obike (oder hoffentlich ein etwas durchdachteres) Angebot Fuss fassen sollte, dann braucht es natürlich eine öffentliche Diskussion darüber, wieweit das abgegolten werden muss. Aber deswegen sollte einer solchen Idee nicht die Chance genommen werden, sich zu bewähren.

  3. Lieber Matthias,
    Ich persönlich mag auch nicht einfach auf oBike drauf hauen. Das Angebot ist sicher nicht das beste, was man sich so unter einem Bikesharinganbieter vorstellen kann. Persönlich schreckt mich die Kaution ab, die Räder wirklich einmal zu testen. Vor allem, weil man das anders lösen kann als mit einer Kaution (man könnte den Betrag auf der Kreditkarte einfach reservieren und nicht abbuchen). Was das Aufkommen der Freefloating Veloverleiher zeigt, ist der Fakt das die Veloparkierung heute nicht optimal geregelt ist. Ein Velo ist der einzige Gegenstand, den man zeitlich unbegrenzt in den öffentlichen Raum stellen darf. Die Regelung, dass man ein Velo auf dem Trottoirparkieren darf, wenn noch 1.5m frei bleibt ist eigentlich keine sinnvolle Regelung. Gesetzlich ist es legal bei einem 10m Trottoir eine Breite von 8.5m für die Veloparkierung zu nutzen. Meist gibt es gute Gründe, weshalb ein Trottoir Breiter als die Normbreite ist. Eine Sinnvolle Regelung wäre diesbezüglich die folgende, man darf 1 Velo längs zum Trottoirverlauf parkieren, wenn noch 1.5m frei bleiben.
    Für die Benutzung des öffentlichen Raumes müssen die Gewerbetreibenden Gebüren zahlen. z.B. auch für die Geschäftsbeschriftungen, die in die Luftsäule des öffentlichen Raumes raus schauen. Es kann sein, dass ein Kundenstopper gerade noch so ohne Bezahlung in den öffentlichen Raum gestellt werden darf. Für alles was grösser oder ein Bisschen weniger temporär is, fallen Gebühren zur Benutzung des öffentlichen Raumes an.
    Ich finde es grundsätzlichen falsch oBike zu kritisieren, dass sie den regulatorischen Handlungsspielraum ausnutzen. Angemessener fände ich eine sachliche Diskussion, wie man Veloparkierung und damit auch Veloverleiher in Zukunft regulieren will.

  4. interessant. genau die dauernde GPS-ortung und die kaution haben mich davon abgeschreckt, es mal zu nutzen…

    bin da doch nicht der einzige.

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