Viel Lärm um die Umlaute

Was ist aus dem grossen Web-Aufreger von 2001 geworden? Damals wurden Internetadressen mit Ä, Ö und Ü und mit anderen Sonderzeichen eingeführt. Aber man hat die Probleme und das Betrugspotenzial unterschätzt.

Da gibt es nichts zu ROFLn! (Bild: Emoji von Thomas/Flickr.com, CC BY-ND 2.0)

2001 gab es ein grosses Remmidemmi um die so genannten Umlaut-Domains. Bis dato konnte eine Internetadresse keine Umlaute enthalten (zumindest nicht im Hostteil). Ab dann war das möglich. Das löste einen ordentlichen Wirbel aus, der mir noch in unguter Erinnerung ist. Mein damaliger Kollege Felix Wiedler hat am 5. März 2001 Folgendes geschrieben:

Seit letzter Woche ist das nun anders. Neu lassen sich bei einigen Internetdienstleistern endlich multilinguale Domain-Namen registrieren, die auch deutsche Umlaute enthalten können – vorerst für die Endungen .com, .org und .net. Hoffnung also für Läderach, Mörgeli und Bürgi, ihren Namen der Web-Gemeinde ab sofort unverfälscht präsentieren zu können? Theoretisch ja, praktisch nein. Das Problem: Besagte Firmen bieten ihren Registrierungsservice an, obwohl alles erst im Versuchsstadium ist und verbindliche Standards noch gar nicht verabschiedet sind. Mehrere Verfahren stehen zur Diskussion, und es ist völlig offen, welches sich dereinst durchsetzen wird.

Am 1. März 2004 startete die Switch mit der Vergabe von Schweizer Umlaut-Domänen. Ich erinnere mich, dass ich damals schüssler.ch registrieren wollte. Doch mir ging es wie vielen: Das System der Switch war komplett überfordert.

Mit Schüssler.ch hat es nicht geklappt

Ein Durchkommen war nicht möglich. Als der Andrang endlich nachliess, war schüssler.ch natürlich weg. Es war ein reiner Zufall, wer zum Zug kam und wer nicht. Der Beobachter schrieb am 19. März 2004 über Tamedia:

Die Namen telezüri.ch und tele-züri.ch waren weg, bevor die Besitzer des Fernsehsenders überhaupt bis zum Registrierungsformular auf der Switch-Website vorgedrungen waren. Der Unternehmer, der sich die TV-Domains gesichert hat, besitzt über seine Firmen bereits mehrere hundert Domainnamen, die meisten davon aus der Schmuddelecke. «Wir haben mit dem Mann Kontakt aufgenommen», sagt Marcel Sennhauser, Leiter Interaktive Medien bei Tamedia. Er hofft auf eine gütliche Einigung. «Sonst werden wir die notwendigen rechtlichen Schritte einleiten.» Auf keinen Fall sei man bereit, mehr als die Registrierungsgebühr zu bezahlen.

Was ist daraus geworden? Nun, nichts. Schüssler.ch ist zwar vergeben, führt aber zu einer Parking-Site. Der Halter will nach wie vor ein Geschäft damit machen, indem er sie für 2490 Euro verkaufen würde. Doch nicht an mich: Ich bin mit matthiasschuessler.ch gut bedient, obwohl ich noch immer nichts Vernünftiges damit angestellt habe. Was die Umlautdomanis angeht, war der ganze Hype für die Katz, und letztlich wirklich nur eine Geldmacherei.

Die Browser konnten nichts damit anfangen

Gründe für den Misserfolg gibt es IMHO mehrere. Erstens waren die Browser beim Start der Umlautdomains gar nicht für die Umlaute gerüstet. Das heisst, dass die meisten Webnutzer diese schönen, neuen und teuer bezahlten Domains gar nicht ansteuern konnten.

Zweitens ist das Verfahren für die sogenannten internationalisierten Domainnamen höchst unsexy. Das erwähnte Beispiel, schüssler.ch, in einen ACE-String umgewandelt, sieht so aus: xn--schssler-85a.ch

Dieses so genannte ASCII-compatible encoding erscheint (unter Umständen) auch in der Adressleiste des Browsers. Doch die Umwandlung ist weder hübsch noch intuitiv. Noch schlimmer: Sie sieht noch nicht einmal so aus wie die ursprüngliche Domain.

Betrugspotenzial

Manch einer wird sich fragen, ob er einem Hijacker zum Opfer gefallen ist, wenn er dieses Durcheinander in der Adressleiste des Browsers sieht – schliesslich sind die Leute wegen des Phishings darauf getrimmt, auf diese Angabe zu achten. Übrigens: Es gibt mit dem Verfahren auch ein Spoofing-Problem. Das funktioniert allerdings anders herum: Wenn man die richtige chinesische Zeichenfolge (䕮䕵䕶䕱.com) reserviert, erhält man eine Domain wie xn--google.com und kann so tun, als ob man Google wäre.

Kurzes technisches Intermezzo: Die Codierung als ACE-String erfolgt via Punycode. Bei dem Verfahren werden die Nicht-Ascii-Zeichen erst einmal ausgelassen und dann am Ende angehängt. Und dann geht es gemäss Wikipedia so weiter:

Die Nicht-Basiszeichen werden zuerst nach ihrem Zahlenwert sortiert. Die Differenz zwischen den Werten der einzelnen Zeichen wird mit der jeweiligen Position in der ursprünglichen Zeichenkette zur Bildung einer Zahl verwendet. Diese Zahl wird anschliessend durch die 36 Basiszeichen dargestellt und an den kodierten Text angehängt.

Man kann es einem Nicht-Informatiker nicht übel nehmen, dass ihm dieses Verfahren nicht geheuer ist. Intermezzo Ende.

Gleichberechtigung ist das nicht

Fazit: Welche Bedeutung die internationalisierten Domainnamen in anderen Weltregionen haben, kann ich nicht beurteilen. In Arabisch oder Chinesisch sind sie womöglich sinnvoll, weil für die Nutzer dort das lateinische Alphabet ungewohnt ist und eine Hürde darstellt. Allerdings benötigen es die Nutzer anderer Schriftsysteme zur Eingabe der Top-Level-Domain (.com, .org) trotzdem. Somit bringen die internationalisierten Domainnamen keine echte Gleichberechtigung und sind auch aus diesem Grund als Fehlkonstruktion zu betrachten.

Und ja: Sie bringen zusätzliches Ungemach. Nämlich – ihr ahnt es schon – Emoji-Domains. Der Registrar und Webhoster GoDaddy hat letztes Jahr mit dem Quatsch angefangen. Man kann Emoji-Domains zum Glück bislang nur unter der Top-Level-Domain .ws für Samoa registrieren. ❤️❤️❤️.ws führt zur Emoji Domain Registration, wo man seine Emoji-Domäne registrieren kann. Zum Beispiel 🍕😺.ws für pizzaliebende Katzen. Wtf?

… und bevor ihr fragt: Ja, 💩.ws ist leider schon weg; die Seite ist bisher aber leer…

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