Wie gross wird die Reue sein?

Ein Test von Sanitas Active: Die App der Krankenkasse belohnt Leute, die sich täglich sportlich betätigen. Aber wie steht es um die Privatsphäre?

Meine Krankenversicherung hat eine App namens Sanitas Active herausgebracht, die es für Android und fürs iPhone gibt. Das ist eine Art Umerziehungs-App für Bewegungsfaule, die dem Anreiz der Gamification einen monetären Stimulus beiseite stellt. Mit anderen Worten: Wenn man sein tägliches Bewegungsziel erreicht – bei mir, da ich einer sitzenden Arbeit nachgehe, sind das 7000 Schritte –, erhält man eine Münze.

Für die gesammelten Münzen erhält man beim Shopping Vergünstigungen. Man findet beispielsweise Digitec vor, wo es für dreissig Münzen beim nächsten Einkauf einen Rabatt von zehn Franken gibt.

Ein überschaubares Angebot an Bonusprogrammen

Die Auswahl an Bonusprogrammen ist noch nicht so gross. Im Moment finden sich auch Farmy.ch und Athleticum im Angebot. Bei letzterem ist die Umwandlungsrate noch etwas besser: Da erhält man für fünfzig Münzen einen Rabatt von zwanzig Franken.

Links: Ziel erreicht, Münzen gesammelt und dem Digitec-Gutschein 10’559 Schritte näher.
Rechts: Die Auswahl an Gutscheinen ist noch nicht üppig.

Das entspricht, über den Daumen gepeilt, einer Belohnung von dreissig Rappen pro Tag. Verglichen mit der Krankenkassenprämie ist das nicht üppig. Wenn man seine Schrittzahl täglich reinholt, kommt man auf einen Rabatt von um die zwei, drei Prozent. Ob das ein wirklicher Anreiz ist? Es dürfte eher so sein, dass Leute, die sich eh schon viel bewegen, ermutigt werden, ihre Daten an die Krankenkasse abzuliefern. Ein kleiner Rabatt bei Digitec? Nimmt man natürlich gerne mit!

Dieses Prinzip funktioniert bei Google hervorragend seit Jahren: Man kriegt für seine Daten einen Gegenwert, der zwar nicht riesig, aber auch nicht zu verachten ist. Warum sollte er somit nicht auch bei der Krankenkasse seine Wirkung zeigen?

Erst aus Testzwecken mit dabei

Ich habe mich angemeldet, weil ich als Tech-Beobachter diesen Trend genau im Auge behalten will. Als reine Privatperson hätte ich mich verweigert.

Links: Die AGBs haben es in sich. (Auch was die Rechtschreibfehler angeht.)
Rechts: Die Datenquellen, die die App anzapft.

In der «Datenschutzvereinbarung und Nutzungsbedingungen» heisst es unter anderem:

Insbesondere stimme ich der Verwendung meiner Daten aus der Sanitas Grund- und/oder Zusatzversicherung (vgl. Ziffer 2.5.5.) ausdrücklich zu. Sanitas will damit Angebote nach individuellen Kundenbedürfnissen weiterentwickeln sowie Kunden präventiv in Gesundheitsfragen beraten.

Das heisst, es wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Daten bei der Versicherungsleistung eine Rolle spielen. Ich denke, solange man sein gewohntes Aktivitätslevel aufrechterhält, ist alles in Ordnung.

Was, wenn man plötzlich keine Lust mehr hat?

Es könnte aber problematisch werden, wenn man seine Schrittzahl plötzlich reduziert. Das könnte den Versicherer auf den Gedanken bringen, man sei krank und hätte eine Beratung in Gesundheitsfragen nötig. Eine individuelle Prämie würde in so einem Fall wohl ansteigen, sodass sich der vorherige Spareffekt sehr schnell ins Gegenteil verkehrt.

Immerhin heisst es auch:

Falls Sie in der Zukunft diesen Bedingungen nicht mehr zustimmen, können Sie ihre Konto (sic!) sowie ihre Bewegungsdaten jederzeit unwiederruflich (sic! sic!) per Knopfdruck löschen.

Das heisst: Wenn man plötzlich fusslahm wird, tut man gut daran, augenblicklich seine Daten zurückzuziehen und die App zu löschen – noch bevor sich in den Daten ein Leistungsrückgang bemerkbar macht.

Auch das wirkt in gewisser Weise natürlich verdächtig. Es liesse sich aber auch mit einem Defekt beim Schrittzähler oder mit einer anderen harmlosen Ausrede erklären.

4 Kommentare zu «Wie gross wird die Reue sein?»

  1. Ich weiss, dass Du sehr gut im Deutschen bist, “blumig” schreiben kannst und das ich sehr schlecht bin. Aber dass ich drei Fremdwörter in einem Satz nicht verstehe: Das ist schon lange nicht mehr vorgekommen: Gamification, monetären und Stimulus. 😉

  2. Gamification = so tun, als ob es ein Spiel wäre
    monetär = geld-mässig
    Stimulus = Anreiz

    … ja, ich übertreibe manchmal ein bisschen.

  3. Die Risiken, denen man sich aussetzt, sind wesentlich grösser, als es der einzelne erahnen kann. Die Versicherung hat jedoch sehr wohl das Wissen und die Mittel, diese App-Bindung bis ins Detail auszunutzen. Die Speere zwischen Kunde und Versicherung sind dadurch massiv ungleich lang. Das macht es zu einem Instrument, das sehr gefährlich ist.
    Auf der Plusseite für den Nutzer steht der kleine finanzielle Köder, der von der Versicherung angeboten wird.
    Auf der anderen Seite hat man es mit einer Firma zu tun, die sich im Wesentlichen nur dem eigenen Profit verpflichtet sieht, also alles zum eigenen Vorteil ausnutzen wird – egal ob das für den Versicherten negative Folgen hat.
    Hypotetische Beispiele:
    1) die Statistik kann zB irgendwann feststellen, dass die Gruppe mit morgentlicher Aktivität ein anderes Krankheitsrisiko hat als die mit nachmittäglicher. Wird selbstverständlich in eine Prämienerhöhung für die schlechtere Gruppe münden.
    2) Schicht- oder Nachtarbeiter haben nachgewiesenermassen grössere gesundheitliche Probleme, verursachen also höhere Kosten. Mit den Bewegungsprofilen können diese Gruppen nun einfach identifiziert werden -> Prämienerhöhung.
    3) Auch ein leichtes Hinken kann in den Fitnestrackerdaten bzw. den Smartphonedaten des Beschleunigungssensors einfach identifiziert werden. Die Statistik aller anderen Versicherten hat gezeigt, dass eine Knieoperation dann wahrscheinlicher wird …

    Kurzum, man hat jemand an der Tür, der sagt: “Wenn Du mich regelmässig Deine Wohnung durchsuchen lässt, geb ich Dir 100 Franken”. Toll ich lass ihn rein und nehm die 100.-, obwohl er alles was er irgendwie gegen mich und zum eigenen Vorteil nutzen kann, auch gegen mich nutzen wird.

    Und klar ist, dass eine Versicherung jede Möglichkeit, mehr einzunehmen oder Zahlungen zu umgehen auch ausschöpfen wird. Nur Gesetze schützen uns davor, von einem übermächtigen “Gegner” nicht über den Tisch gezogen zu werden. In Bezug auf solche Datensammelei, statistische Auswertungen und Interpretationen und deren direkte finanzielle Folgen existiert ein solcher Schutz leider noch (lange) nicht.

    Leider wird man als Versicherter bei diesem Modell sogar geschädigt, selbst wenn man sich zur Nichtteilnahme entschliesst, denn man finanziert mit seinen Prämien ganz einfach die Boni jener mit, die sich dem Programm anschliessen.

    Die Nutzer sind leider den Nachteilen von BigData annähernd schutzlos ausgeliefert, da dieses enorme Wissens-Ungleichgewicht und damit Macht-Ungleichgewicht besteht. Der Nutzer weiss weder exakt, welche Daten in welchen Detailgrad erfasst werden, noch was damit alles möglich ist (Statistik, Datamining etc.). Auf der Firmenseite (Versicherungen in diesem Fall, aber auch Google, Facebook, Werbenetzwerke etc) steht jedoch massives Wissen über Datenauswertung, Tracking, Deanonymisierung u.v.a.m zur Verfügung. Dieses dient jedoch nur den Interessen der Firma.

    Die heutige Situation ist in dieser Hinsicht äusserst bedenklich
    Werner

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