Haken und Ösen des neuen Macbook Pro

Der neue Premium-Laptop von Apple in der ausführlichen Besprechung – und mit einer Antwort auf die drängendste Frage: Rechtfertigt sich der sündhaft hohe Preis des Macbook Pro?

Wie die Welt erfahren hat (ob sie es wollte oder nicht), habe ich mein sechs Jahre altes Macbook durch eines dieser fancy-schmancy Touchbar-Modelle ersetzt. Ich hatte ausführlich Gelegenheit, nicht nur Trockenübungen abzuhalten, sondern richtige Arbeit zu erledigen – was bei einem Reszensionsexemplar des Herstellers, das einem effektiv drei Tage zur Verfügung steht, leider nicht möglich ist.

Der Lautstärke- oder Helligkeitsregler anstelle von Siri stört nicht, wenn man ihn versehentlich aufruft.

Mein grundsätzlicher Eindruck vom ersten Augenschein hat sich bestätigt: ein tolles Gerät mit einem sehr hohen Preis. Beim näheren Hinsehen haben sich aber doch einige frappante Mängel gezeigt. Ich fange aber trotzdem mit den positiven Punkten an:

Der Bildschirm

Die Retina-Auflösung ist ein Luxus, für den ich nicht zahlen würde, wenn es die Möglichkeit gäbe, das Macbook 2016 auch in einer Nicht-Retina-Auflösung zu kaufen. Dennoch hat er seine positiven Seiten. Man kann in der normalen Zoom-Stufe viel genauer arbeiten. Man sieht im Importdialog von Final Cut, welche Clips man beschnitten hat und für den Import auswählen möchte. Man kann bei Screencast-Aufnahmen stark hineinzoomen und auf Details fokussieren, ohne dass es pixelig werden würde. Zugegeben, ein ausgesuchtes Partikularinteresse, aber für mich ein echter Vorteil.

Der eigentliche Vorteil aber ist, dass sich der Bildschirm viel grösser anfühlt. In Pixeln ist er auch viermal so gross, nämlich 2560 × 1600 anstelle von 1280 × 800 Pixeln. Er ist aber auch in Realität etwas grösser, weil der Bildschirmrand (Bezel) schmaler geworden ist. Und auch wenn es nur ein paar Millimeter sind (wie viele genau, müsste ich mal nachmessen), macht es beim Arbeiten einen echten Unterschied. Das hätte ich so nicht erwartet!

Die Touchbar

Von ihr habe ich mir einiges versprochen – siehe Video! Doch mir war auch klar, dass man sich erst an dieses Instrument wird gewöhnen müssen. Als versierter Computernutzer hat man sich in Jahren oder sogar Jahrzehnten der Routine daran gewöhnt, viele Dinge auf eine bestimmte Art zu tun. Die Amis haben dafür den schönen Begriff des Muscle memory.

Wenn es nun eine neue Methode gibt, kann man sich noch so oft vornehmen, sie zu nutzen. Reflexartig wählt man doch die althergebrachte Weise. Force Touch, bzw. 3-D-Touch, wie die Funktion offiziell heisst, ist so ein Ding: Ich weiss, dass sie da ist, und finde sie eigentlich ganz praktisch. Aber auch nach einem Jahr nutze ich sie nicht so oft, wie ich könnte. Immerhin, bei manchen Tätigkeiten schleifen sich auch neue Gewohnheiten ein. Zum Beispiel der Force-Klick aufs Einstellungs-Icon beim iPhone, mit dem man per Popup-Menü direkt zu WLAN, Bluetooth oder den Batterie-Optionen springt.

Ich rechne daher auch bei der Taskbar mit mindestens einem Jahr, bis mir die wirklich zeitsparenden Handgriffe in Fleisch und Blut übergegangen sind. In Final Cut nutze ich die schönen Befehle zum Trimmen (den Clip beschneiden und das abgetrennte Segment gleich löschen) jedenfalls schon intensiv.

Die Touchbar wird von den meisten Drittprogrammen nicht unterstützt

Ein Nachteil ist, dass meine Programme von Drittherstellern die Touchbar bislang nicht unterstützen, allen voran Firefox. Ich habe bislang nichts davon gehört, ob Mozilla das überhaupt plant. Da die Stiftung auch die Force-Touch-Funktion des Touchpads ignoriert und dessen Multitouch-Gesten nur sehr halbherzig unterstützt, habe ich allerdings so meine Bedenken. Schade, dass Firefox die betriebssystemspezifischen Möglichkeiten nicht besser ausschöpft.

Zwei weitere Nachteile:

Erstens: Mir passiert es oft, dass ich die Touchbar unabsichtlich berühre. Während das bei einer physischen Taste kein Problem ist, führt es bei der Touchbar dazu, dass unerwünschte Befehle ausgeführt werden. Es passierte mir so oft, dass ich Siri auf den Plan rief, dass ich an ihre Stelle den Befehl zur Lautstärkeregelung platzieren musste. Wenn ich den aus Versehen mit dem Finger berühre, dann erscheint der nicht weiter störende Lautstärkeregler.

Zweitens: Es ist nett, dass die Touchbar auch Multimediatasten zur Verfügung stellt. Im Stromsparmodus schaltet das Macbook allerdings auch das Touchpad ab. Wenn man mit dunklem Bildschirm Musik hört, kann man via Touchbar auch nicht mehr zum nächsten Musikstück springen, sondern muss erst den Mac aufwecken. Mit einer physischen Taste ist das Skippen trotzdem möglich.

Adapter

Wie im bereits erwähnten Video gesagt: Ich kann mit Apples USB-C-über-alles-Strategie leben. Ich bin nicht begeistert, nun diverse Adapter in Griffnähe haben zu müssen. Aber ich kann damit leben. Echt ätzend finde ich allerdings, dass Apple den Käufern eines 2300 Franken teuren Geräts nicht den einen oder anderen Adapter spendiert. Das ist knauserig.

Geknickert hat Apple auch beim Stromadapter. Der hatte früher ein Verlängerungskabel. Heute nicht mehr. Wenn man das für sinnvoll erachtet, darf man es für 21 Franken kaufen. Ja, vielleicht hatte es in der Schachtel keinen Platz mehr – ein Gutschein für ein Kabel, einzulösen bei jedem Mac-Händler, hätte da jedoch allemal Platz gefunden. Da der fehlt, tippe ich auf eine weitere beläufige Gewinnoptimierungsmassnahme.

Anschlüsse

Und der dritte Punkt: Man konnte vorab lesen, dass sich Apple beim Macbook Pro den optischen Audioeingang eingespart hat. Allerdings nicht nur den optischen. Auch analoges Audio kann man über die Klinke nicht mehr einspeisen. (Bei älteren Modellen schaltet man über die erweiterten Lautstärke-Einstellungen zwischen Eingang und Ausgang um.) Die Klinke ist tatsächlich nur noch für Kopfhörer da.

Das ist für mich ein echter Verlust. Ich verwende das Macbook oft zum Aufnehmen. Im Moment weiche ich auf meinen Windows-Computer aus, dessen Soundkarte allerdings nicht das Gelbe vom Ei darstellt. Da steht die nächste Investition an: Eine USB-C-Anschlussmöglichkeit für Line-in. Da wird es aber mit einem simplen Adapter nicht getan sein. Dieser fehlende Eingang zieht die Frage nach sich, ob ich nicht gleich aufs digitale Mischen umsteigen sollte, und welches Audio-Interface es denn sein darf.

Die Anschlüsse gibt es. Bloss die Audiogeräte nicht

Randbemerkung dazu: Apple wird in den Pressebeiträgen zum fehlenden Audioeingang mit den Worten zitiert, es seien «genügend USB-C-Audiogeräte mit null Latenz erhältlich»:

Plenty of USB-C zero-latency professional peripherals are available now, or coming very soon.

In Echt jetzt? Digitec listet bei MIDI & Audio Interfaces 108 Produkte mit den Anschlussmöglichkeiten 3,5 Millimeter, 30-Pin, Firewire, Lightning, Thunderbolt, USB und USB 2.0. USB-C? Fehlanzeige.

Und das stört mich echt am neuen Macbook: Es zieht einen Rattenschwanz von Folgeinvestitionen nach sich. Der Preis des Fortschritts? Oder doch ein Zeichen, dass das Gerät nicht so richtig zu den Bedürfnissen des Nutzers passt? Das darf jeder für sich selbst entscheiden.

Ich für mich bin zufrieden, aber angesichts der vielen unumgänglichen Zusatzanschaffungen halte ich das Gerät für deutlich zu teuer. Wer sich für einen Windows-Laptop entscheidet, bekommt ein deutlich besseres Preis-Leistungs-Verhältnis.

3 Kommentare zu «Haken und Ösen des neuen Macbook Pro»

  1. Ciao Matthias. Danke dir für den Praxisbericht. Mir gehts soweit ähnlich. Das MBP ist ein tolles und teueres Gerät, aber es ist einfach nicht ein RundumSorglos-Paket. Immerhin sind drei grosse Mängel letzte Woche mit dem Systemupdate gefixt worden.
    Auf dem Publishingblog testen Haeme Ulrich und ich momentan ausgiebig das MBP vs. ein SurfaceBook. Ich hoffe, es ist ok, wenn ich deinen Blogbeitrag bei uns verlinke. liebgruss roman

  2. Während unterdessen andere Hersteller im absoluten High-End Bereich (z.B. Microsoft mit dem Surface)

    https://www.microsoftstore.com/store/msusa/en_US/pdp/productID.5072642200/VID.5072761800?WT.mc_id=PromoEmail_en_US_Toolkit_Surface_Book_HSS_12-18-16_Hero_Hero_HPC

    ein Gerät auf dem Markt haben, das einen professionellen Notebook mit den unbestreitbaren zusätzlichen Möglichkeiten eines Touchscreens darstellt, wundert man sich, warum sich Apple – welche mit dem iPad diesem “man – machine” interface auf breitester Ebene erst zum Durchbruch verholfen haben, sich weiterhin fast schon störrisch der Option eines Touchscreens für seine Spitzengeräte verschliesst.
    Heute hat ein Apfel-affiner Kunde nach wie vor bloss die Möglichkeit, sich einen hochwertigen iPad (mit dennoch limitierten Möglichkeiten) plus ein MacBook oder MacBook Pro zuzulegen.
    Selbst der Marketing-Laie kennt den Begriff “Kannibalismus”. Aber ob sich die Superstrategen in Cupertino bald einmal klar werden, dass sie – statt Kannibalismus zu vermeiden – die treue Anhängerschaft zum Abwandern in andere Lager vergraulen…?

    https://www.engadget.com/2016/10/28/macbook-pro-underscores-apple-touchscreen-shortcomings/

    Italienisch nennt man das “capricioso”, was die bislang führenden Trendsetter von Apple hier vorführen: Artistik am allerdings falschen Objekt und auf dem falschen Hochseil.

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