Kein Umgebungslärm, dafür ein flauer Magen

So praktisch die Geräusch­un­ter­drückung (Noise Cancel­lation) von smarten Kopf­hörern ist: Mir wird davon schlecht. Bloss Einbildung oder ein echtes medi­zini­sches Phäno­men?

Letzte Woche habe ich für den Tagi über kabellose Kopfhörer geschrieben (Das Aus für die Kopfhöreranschlüsse). Zu diesem Zweck habe ich nebst dem hier besprochenen Philips SHB5900 auch den Sony MDR 100ABN (Amazon Affiliate) auf den Ohren gehabt.

Fazit zu diesem Kopfhörer: Er klingt ausgezeichnet, ist angenehm zu tragen, auch wenn er die Ohren für meinen Geschmack etwas zu dicht umschliesst. Und dass man ihn mit oder ohne Kabel benutzen kann, gefällt mir sehr gut.

Ihr scheint nicht schlecht zu sein. (Bild: Sony)

Dieser Kopfhörer unterdrückt auch die Umgebungsgeräusche. Das Noise Cancelling durch Antischall ist gerade im Newsroom eine feine Sache: Das Grundbrummen im Raum durch all die technischen Gerätschaften wird sehr effektiv reduziert.

Gut für die Konzentration

Und auch die Gespräche und menschlichen Arbeitsgeräusche werden zwar nicht komplett eliminiert, aber deutlich reduziert. Das fördert die Konzentration, und zwar deutlich effektiver als die Übertönungsmethode.

Es könnte also so schön sein. Nur: Ich habe nach einiger Zeit festgestellt, dass sich diese technisch hergestellte Stille irgendwie unangenehm anfühlt. Sie löst bei mir ein gewisses Unwohlsein aus. Wie nach einem unruhigen Flug oder einer Achterbahnfahrt. Nicht, dass mir schlecht geworden wäre. Aber ich schliesslich habe ich das Noise Cancelling rechtzeitig abgeschaltet und eine kleine Internetrecherche gestartet.

Und tatsächlich, das Phänomen ist bekannt. Das «Wall Street Journal» hat den Fall in seiner «Health Mailbox» (zu Deutsch: Medi-Kummerbox) behandelt. Der Antischall, der den Lärm reduziert, indem ein Gegensignal von ähnlicher Stärke erzeugt wird, das das Ursprungssingal ausradiert, kann trotzdem gewisse Frequenzen erzeugen, die auf den Gleichgewichtssinn wirken:

These vibrations are akin to those caused by blast explosions or barotrauma in scuba diving, but much less forceful, she says.

Die auskunftgebende Expertin ist Sarah Stackpole, eine Hals-, Nasen-, Ohrenärztin aus New York. Sie sagt, dass Vibrationen ähnlich wie bei Explosionen oder Druckverletzung ausgelöst werden, bloss viel weniger stark. Es entsteht das Gefühl eines Ungleichgewichts, das verstärkt wird, weil die Vibrationen den Eindruck erzeugen, der Kopf würde sich bewegen, man laut den visuellen Eindrücken den Kopf stillhält. Dieser Widerspruch kann Schwindel und Unwohlsein auslösen.

Die Wahl zwischen Ruhe und Wohlbefinden

Erfahrungsgemäss bin ich für solche Dinge relativ anfällig. Darum bleibt mir im Newsroom die Wahl zwischen Ruhe oder Wohlbefinden – was ein einfacher Entscheid ist. Auszuprobieren wäre eine Antischall-Desensibilisierungstherapie – aber für diesen Versuch mit ungewissem Ausgang ist mir ein Kopfhörer für 300 Franken dann doch zu teuer.

Nachtrag vom November 2021

Ich habe seit diesem Test diverse weitere Kopfhörer mit aktiver Geräuschunterdrückung getestet. Die Erfahrung ist, dass es grosse Unterschiede gibt und die neueren Modelle im Schnitt weniger schlimm sind. Ich merke das Unwohlsein weniger und es dauert länger, bis sich der Effekt bemerkbar macht. Der Airpods Max von Apple ist nicht perfekt, aber einen Versuch wert, wenn man mit anderen Kopfhörern schlechte Erfahrungen gemacht hat. Auch mein Sony WH-1000XM2 (Mundtote Arbeitskollegen) oder dessen Nachfolger sind Kandidaten, die ich für einen Test empfehlen kann – aber nur, wenn eine Rückgabemöglichkeit vereinbart ist.

3 Kommentare zu «Kein Umgebungslärm, dafür ein flauer Magen»

  1. Hallo, ich habe mit meinen Noise Cancelling Kopfhörern (Bose QuietComfort 35) eine ganz ähnliche Unwohlseinsgefühl und daher danach gegooglet und deinen Artikel gefunden.

    Ich habe kürzlich ein Software-Update durchgeführt und seitdem ist das Noise Cancelling noch einmal deutlich stärker. Vor dem Update habe ich die Hörer oft und gern genutzt und keine Probleme damit, danach war das Unwohlsein da.
    In der Software kann ich glücklicherweise das Noise Cancelling auf “niedrig” einstellen, was ungefähr dem entspricht, was ich bisher gewöhnt war. Auf dieser Einstellung habe ich keine Probleme.

    Mein Unwohlsein äußerte sich bei mir eher derart, dass ich eine innere Unruhe verspühre, als ob ich einen erhöhten Puls habe. Ein ähnliches Gefühl habe ich, wenn ich sehr viel Kaffee getunken oder ungewohnlich lange nicht geschlafen habe.

    Ich bin nicht sicher, ob es an den Frequenzen liegt, die du im Artikel erwähnst. Optimalerweise sollten ja nur die Antifrequenzen erzeugt werden, die zum Auslöschen der Außengeräusche führen.
    Mir wird durch das starke Noise Cancelling auch nicht schwindelig. Küchenpsychologisch gesprochen würde ich eher sagen, dass das Unwohlsein daher rührt, dass die Umgebungsgeräusche derart stark gedämpft werden, dass der Körper in so eine Art Alarmmodus schaltet, wenn plötzlich die Geräusche fehlen die einen üblicherweise umgeben.

    Aber vielleicht irre ich mich auch und es ist genau der angesprochene Effekt. Auf jeden Fall komme ich mit der niedrigen Einstellung gut klar. Insbesondere im Büro, wenn die Kollegen quatschen ein Segen! 🙂

  2. Mir geht es total ähnlich. Ich habe Boses QC 35 ii ausprobiert und auch die aktuellen Sony WH-1000XM3. Bei beiden wird mir flau im Magen. Gestern habe ich mir Apples neue AirPods Pro gekauft, weil diese ein Ventil besitzen, welche den Druckausgleich ausbessern. Leider war das nicht die Ursache des Problems und auch, wenn das meiner Meinung nach das für mich beste ANC hat, habe ich dieses Gefühl auch weiterhin. Das ist wirklich schade, weil mir die ANC-Funktion besonders im Großraumbüro sehr sehr gut gefällt! (Achja, mit ausgeschalteten ANC klingen die AirPods Pro leider gar nicht so PRO)

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