Finderlohn von Stephen King (Englisch: Finders Keepers) ist der zweite Teil der als Trilogie ausgelegten Reihe mit dem pensionierten Polizeidetektiv Bill Hodges. Den ersten Teil, «Mr Mercedes» (d/e) habe ich im Beitrag Der Herr der kollektiven Ängste besprochen.
Es geht in diesem zweiten Teil um den Autor John Rothstein, der eine Buchreihe begonnen, aber nicht zu Ende gebracht hat. Oder richtiger gesagt: Er hat sie sehr wohl zu Ende gebracht. Bloss wurden von der Pentalogie nur die ersten drei Folgen The Runner, The Runner Sees Action und The Runner Slows Down veröffentlicht, während The Runner Goes West und The Runner Raises the Flag zwar in vielen Moleskin-Notizbüchern niedergeschrieben, aber nie gedruckt wurden.
Die Figur des Autors erinnert laut King-Wiki an J. D. Salinger. Weniger gebildete Leser denken vielleicht auch an George R.R. Martin, dem von manchen Lesern ebenfalls Unmut, Ärger oder sogar Hass entgegenschlägt, weil er das Ende seiner Geschichte schon längst im Kopf hat, es aber nur zögerlich preisgibt. King selbst macht unter anderem Anspielungen an Kurt Vonnegut und dessen Phrase «So it goes», die neulich in diesem Blog schon ein Thema war.
Aber man braucht diese Konstellation gar nicht auf bestimmte Vorbilder zu projizieren. Sie ist eine universelle Konstante in der Beziehung zwischen Autor und Leser – die, wie alle einseitigen Beziehungen von Missverständnissen und Kränkungen geprägt ist.
Wir Geschichtenverschlinger
Wir als Leser sind die, die sehnlichst Nachschub von unseren Idolen erwarten, die uns gefrässige Geschichtenverschlinger gar nicht oft genug mit Geistesnahrung füttern können. Wir bringen den Autoren dafür unsere Verehrung entgegen – und wir können unseren Unmut nicht zügeln, wenn eine mehrteilige Geschichte nicht die erhoffte Wendung nimmt. Eines scheint mir aber klar – dieses Mal spricht King nicht von sich selbst. Er hat in Misery über sich selbst und seine Kokainsucht geschrieben…
Misery is a book about cocaine. Annie Wilkes is cocaine. She was my number-one fan. (Rolling Stone, Oktober 2014)
… doch anders als John Rothstein King seine Geschichten nicht lange für sich behält, sondern Bücher in einer atemberaubenden Kadenz veröffentlicht. Der irre Fan heisst in «Finders Keepers» Morris Bellamy. Er hat, wie Brady Hartsfield in «Mr Mercedes», eine verquere Mutterbeziehung und als einzigen Vertrauten den Jimmy Gold aus den Runner-Serie, dessen Motto «Shit don’t mean shit» auch sein Mantra ist.
Noch kingiger als der erste Teil der Trilogie
Ein Einschub – das Fazit: «Finders Keepers» ist eine spannende Fortsetzung von «Mr Mercedes», die für mich noch kingiger anmutete als der erste Teil. Nebst dem Detektiv Bill Hodges tauchen auch einige andere lieb gewonnene Figuren auf: Holly Gibney und Jerome Robinson, doch die Hauptfigur ist Pete Saubers, der das Pech hat, dem verrückten Morris Bellamy in die Quere zu kommen.
Die Geschichte ist sauber konstruiert, packend erzählt und bewegt sich auf Stephen Kings gewohnter Flughöhe voran. Und die Geschichte hat eine tolle Meta-Ebene, wie sich hier zeigt, wo Morris Bellamy feststellt, dass seine Mutter in seinem Zimmer war und die drei Runners-Bücher entdeckt hat:
(Die Mutter:) “I notice that the first two volumes are tattered, almost falling out of their bindings, nearly read to death. There are copious underlinings and notes, some of which show the budding – I won’t say flowering, it can’t really be called that, can it, at least not yet – of an acute critical mind. But the third one looks almost new, and there are no underlinings at all. You don’t like what happened to him, do you? You don’t care for your Jimmy once he – and, by logical transference, the author – grew up.”
“He sold out!” Morris’s fist were clenched. His face was hot and throbbing, as it had been after Womack turned up on him that day in the caff with everyone watching. But Morris had gotten in that one good punch, and he wanted to get one in now. He needed to. “Rothstein let him sell out! If you can’t see that, you’re stupidI”
“No,” she said. The smile was gone now. She leaned forward, set her glass on the coffee table, looking at him steadily all the while. “That’s the core of your misunderstanding. A good novelist does not lead his characters, he follows them. A good novelist does not create events, he watches them happen and then writes down what he sees. A good novelist realizes he is a secretary, not God.”
“That wasn’t Jimmy’s character! Fucking Rothstein changed him! He made Jimmy into a joke! He made him into … into everyone!”
Morris hated how weak that sounded, and he hated that his mother had baited him into defending a position that didn’t need defending, that was self-evident to anyone with half a brain and any feelings at all.
“Morris.” Very softly. “Once I wanted to be the female version of Jimmy, just as you want to be Jimmy now. Jimmy Gold, or someone like him, is the island of exile where most teenagers go to wait until childhood becomes adulthood. What you need to see – what Rothstein finally saw, although it took him three books to do it – is that most of us become everyone. I certainly did.” She looked around. “Why else would we be living here on Sycamore Street?”
“Because you were stupid and let my father rob us blind!”
Stephen King in a nutshell, könnte man sagen: Ein überzeugender Konflikt, mit glaubwürdigen, nachvollziehbaren Emotionen, der Tiefe hat und die kommenden Ereignisse unvermeidlich macht. Die King, wie es ein guter Romancier nun mal tut, beobachtet und rapportiert.
Der Autor muss dran glauben
Soweit das Fazit, hier noch rasch der Schluss der kurzen Inhaltsangabe: Morris Bellamy klaut zusammen mit zwei Komplizen die Notizbücher aus Rothsteins Safe, killt dabei den Autor und versteckt sie in der Nähe seines Wohnhauses. Weil er kurz darauf wegen einer Vergewaltigung im Loch landet, bleiben die Bücher in ihrem Versteck, wo sie viele Jahre später von Pete Saubers gefunden werden, zusammen mit dem Geld aus dem Safe.
Peter lässt das Geld anonym seiner Familie zukommen, die nach dem Amoklauf von Brady Hartsfield im ersten Teil der Trilogie in grossen Schwierigkeiten steckt. Doch irgendwann ist das Geld alle – und zwar genau dann, als seine Schwester Tina ans College will. Um das Geld dafür aufzutreiben, will Peter die Notizbücher versilbern. Doch er sucht sich dafür ausgerechnet den antiquarischen Buchladen von Andy Halliday aus. Er war seinerzeit mit Morris Bellamy befreundet und war nicht unbeteiligt an der Idee, Rothstein auszurauben…