Die Bürde des Early Adopters

Die VR One ist zwar keine Oculus Rift, aber den­noch eine gute Gele­gen­heit, test­weise in die virtu­elle Reali­tät abzu­tauchen.

Kollege Rothenberger hat neulich die VR One von Zeiss für den Tagi getestet und das gute Stück verhängnisvollerweise im Büro liegen lassen. Nachdem ich es entdeckt hatte, kam ich nicht umhin, es mir selbst über den Kopf zu stülpen und auszutesten, ob ich für diese Form der Immersion zu haben bin. Ich habe dabei sogar die Reaktionen meiner Kollegen über mich ergehen lassen. Nik hatte den Kommentar «Das sieht wirklich intelligent aus» übrig und Rafael hat sogleich ein Foto gemacht.

Als Tech-Journi hat mans auch nicht leicht. (Bild: Rafael Zeier)

Aber als Tech-Journalist ist man gewillt, die Bürde des Early Adopters zu tragen. Die Bürde, respektive Brille drückt in diesem Fall auf Dauer ein bisschen aufs Jochbein und hinterlässt nach einer längeren Session womöglich auch brillenförmige Abdrücke um die Augen. Abgesehen davon sitzt sie recht gut und kommt nicht mit der Brille ins Gehege, die ich zwecks scharfem Sehen aufhabe.

Bitte Smartphone einschieben

Die VR-Brille (für 99 Dollar zu haben) – vielleicht müsste man eher von Visier sprechen – enthält keine Elektronik. Sie wird mit dem Smartphone verwendet, das in einen Schieber eingeklemmt und in die Brille appliziert wird. Das iPhone 6 sitzt einwandfrei im Schieber. Einmal eingeführt, gelangt das Display des Smartphones direkt vor die Augen des VR-Brillenträgers.

Zwei Linsen sorgen dafür, dass man scharf sieht. Natürlich braucht es für den Stereoeffekt nun auch noch die passende Apps. Sie zeigen eine Split-Screen-Anzeige für das rechte und das linke Auge, was zu einem räumlichen Seheindruck führt. Das letzte Puzzlestein zur virtuellen Realität ist das, was Zeiss «Native headtracking» nennt: Die Bewegungssensoren des Smartphone registrieren Kopfbewegungen, und passen die Anzeige entsprechend an. Wenn man den Kopf dreht, dann dreht sich die Anzeige mit, sodass man das Gefühl hat, sich in der virtuellen Welt zu bewegen.

Leichter Schüttelfrost

Für mich war die VR One die Premiere in Sachen Virtual Reality; entsprechend habe ich keine Vergleichsmöglichkeit, etwa mit Zuckerbergs martialischem Oculus Rift-Cyberhelm. Das Erlebnis funktioniert als Technologie-Demo und gibt einen Eindruck vom Potenzial – und ist eindrücklich genug, dass sich beim Gedanken an VR-Porn ein leichter Schüttelfrost einstellt. Für echte Immersion stimmen zu viele Details nicht: Die Anzeige ist trotz Retina-Display pixelig – denn man hat das Display mit den Vergrösserungslinsen direkt vor Augen, und da man mit jedem Auge nur einen Ausschnitt des Displays sieht, reicht dessen Auflösung nicht für ein scharfes Bild.

Die leichte Verzögerung bei Kopfdrehungen ruft einem in Erinnerung, dass man in einer computergenerierten Welt steckt – und dass man nichts mit seinen Händen anfangen kann, ergibt ein seltsames Gefühl der Behinderung. Die Brille reagiert auch nicht auf Vorwärtsbewegungen des Kopfs, sondern nur auf die Drehung – was auch sinnvoll ist, weil man sonst bei Streifzügungen durch die virtuelle Welt in der realen Welt gegen Möbel laufen würde.

Warum so distanziert, schöne Frau?

Die Steuerung erfolgt bei der VR One einzig durch die Drehung des Kopfs. In der App VROne Cinema (Android/iOS) kann man das gut ausprobieren: Man sitzt in einem virtuellen Kino. Dreht man den Kopf nach rechts, sieht man neben sich eine junge Frau, die (warum auch immer) einen Sitz Abstand gelassen hat. Wenn man seinen Blick für einen kurzen Moment auf einem der in der Luft schwebenden Steuerknöpfe ruhen lässt, wird der entsprechende Befehl ausgeführt: Man lädt so Videos aus seiner Camera-Roll und spielt die (in 2D) auf der virtuellen Leinwand ab.

Die Frau im virtuellen Kino setzt sich einen Sitz weiter.

Nachdem ich das Grundprinzip verinnerlicht habe, probiere ich es mit der App Crazy Swing VR (Android/iOS) – die Apps wählt man übrigens über VR One Media (Android/iOS), eine Art Programmführer. Bei der Crazy Swing dreht man in einem virtuellen Überkopf-Fahrgeschäft eine Runde, was ich nicht unbedingt haben muss.

Zombies durch Anschauen töten

Stattdessen vergnüge ich mich lieber mit dem Abmurksen von Zombies in der App Zombie Shooter VR (Android/iOS). Das ist ein Egoshooter, den auch Egoshooter-Nilpen wie ich spielen können. Da es keinen Controller und keine andere Steuerungsmöglichkeit gibt, braucht man die Zombies nur anzuschauen, um sie abzuballern. Das Spiel, das in verlassenen U-Bahn-Stollen stattfindet, ist stimmungsvoll, wird aufgrund der eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten trotzdem schnell langweilig.

Schau mir in die Augen, Tote! In den alten U-Bahn-Stollen Zombies jagen.

Fazit: Interessant, um eine Idee davon zu bekommen, was möglich ist – mehr aber auch nicht. Da kann man es auch mit Google Cardboard probieren – das ist die Smartphone-Halterung aus Karton zur Selbstmontage, die man hier kaufen kann. Immerhin ist meine Lust etwas gestiegen, auch mal Oculus Rift auszuprobieren.

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