Googles virtuelle Sprachrealitäten

Die Übersetzungs-App des Suchmaschinenkonzern liefert einen Hauch von Augmented Reality: Sie übersetzt ab Kamera. Lassen sich so auch französische Comics lesen?

Ihr kennt vielleicht die Wordlens-App (Android/iOS): Die übersetzt den Text im Kamerabild des Smartphone live in eine andere Sprache. Das ist eine grossartige technische Leistung, beeindruckend – und unter gewissen, seltenen Umständen vielleicht sogar nützlich.

Links: Die Übersetzung im Live-Bild.1 Rechts: Das Handlettering macht es der App nicht einfach.

Die Google Translate, die in Deutsch den übersetzten Namen Google Übersetzer trägt und für iOS und Android erhältlich ist, hat mit dem letzten Update eine ähnliche Funktion erhalten. Es gibt nun ein Kamera- und ein Mikrofon-Symbol.

Übersetzungen im Live-Kamerabild

Die Übersetzungsmöglichkeiten beziehen sich nicht mehr nur auf den Text, den man ins Feldchen einträgt. Man kann auf Reisen seine Smartphone-Kamera auf ein Schild halten und erhält den Textinhalt angezeigt. Das klingt so grossartig, dass ich es sofort ausprobieren musste.

Da die Einnahmen dieses Blogs nicht so gewaltig ausfallen, dass sich deswegen eine Reise ins fremdsprachige Ausland gerechtfertigt hätte, habe ich meine französischen Comics aus dem Schrank gezogen. Ich habe in einem Anfall von Selbstüberschätzung einige Titel in der Originalsprache gekauft. Angesichts meines eingerosteten Wortschatzes wäre etwas Hilfe bei der Lektüre sehr willkommen. Darum ist das eine für mich realistische Ausgangslage.

Ich habe die App also aufs Sprachpaar Französisch-Englisch eingestellt. Französisch-Deutsch steht nicht zur Auswahl; unterstützt werden bislang nur Sprachkombinationen mit Englisch und den Sprachen Französisch, Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Russisch und Spanisch (siehe Hilfe).

Dann klickt man aufs Kamera-Symbol, richtet sie auf den zu übersetzenden Text aus, versucht, möglichst gerade zu halten und wartet, bis die Textelemente wie aus Zauberhand ausgewechselt werden. Und dann versucht man, aus der Übersetzung schlau zu werden.

Bei den Comics funktioniert es nicht besonders gut

Meistens vergeblich. Das liegt, bei Comics, vorneweg an der Typografie. Die Bücher sind nun meistens nicht in Arial 12 Punkt gesetzt, sondern handgelettert. Manchmal liegen die Texte auch auf einem bunten Untergrund, was der Schrifterkennung auch nicht förderlich ist.

Schon nach zwei, drei Versuchen drängt sich die Erkenntnis auf: Von dieser Aufgabe ist Google Übersetzer heillos überfordert.

Das heisst aber nicht, dass es mit der Tafel vor dem Museum, einer (ordentlich gesetzten) Speisekarte oder einem kurzen Text in der Zeitung nicht so weit funktionieren würde, damit man zumindest eine vage Ahnung des Inhalts erhält. Auch das ist eine weniger hochgesteckte Forderung, als die, bei Gaston – Le Lourd passé de Lagaffe jeden Gag und bei Thorgal – Au-delà des ombres jede mystische Wendung verstehen zu wollen.

Links: Das Live-Bild des Textes ist nicht so richtig brauchbar.
Rechts: Der Weg über die Scannen-Taste…
Und das ist das Resultat: Genügend bis gut.²

Wenn die Erkennung im Live-Bild nicht überzeugt, kann man die Wiedergabe durch Drücken des Pausen-Symbols stoppen. Die Scannen-Taste startet einen intensiven, halbautomatischen Vorgang, bei dem man per Finger die zu übersetzenden Textpassagen markiert.

Manuell scannen bringt bessere Resultate, ist aber mühsam

In den Comics hat er bedeutend bessere Resultate ergeben als die vollautomatische Methode. Fürs Comiclesen ist das zu aufwändig: Sich Panel für Panel durch die Geschichte zu arbeiten, macht keinen Spass. Einen einzelnen Zeitungsartikel könnte man so in den Griff bekommen. Allerdings: Die Resultate werden an Google übermittelt, weil man dort offenbar interessiert ist herauszufinden, welche Art Texte sich der Live-Übersetzung entziehen, von den Nutzern aber dennoch gerne übersetzt werden möchten.

Die App ist aus sonst bemerkenswert: Sie speichert die Übersetzungs-History zum späteren Gebrauch. Sie kann zur Offline-Übersetzung eingerichtet werden.

Und sie kann dolmetschen. Das habe ich auch kurz ausprobiert. Ein Selbstgespräch in zwei Sprachen kann nicht unbedingt als seriöser Test betrachtet werden. Aber: Es hat verblüffend gut funktioniert.

Das Dolmetschen klappt überraschend gut

Man wählt das Sprachpaar aus, klickt aufs Mikrofon und lässt den einen Sprecher sprechen. Die App sollte die Sprache selbst erkennen. Man kann sie durch Antippen der Sprache aber auch auswählen. Wie das Beispiel zeigt, hat Google Übersetzer mein Selbstgespräch in zwei Sprachen trotz meines Akzents fehlerfrei übersetzt – ich habe mir allerdings Mühe gegeben, deutlich zu sprechen. Was fehlt, ist die Möglichkeit, sich den übersetzten Text ausgeben zu lassen. Dann wäre die App schon sehr nahe an Microsofts faszinierendem Skype-Dolmetscher dran.

Die Dolmetscherfunktion. Das rote habe ich gesagt.³

Fussnoten

1) «Au-delà des ombres» würde ich mit «Beyond the shadows» («Jenseits der Schatten») übersetzen. Aber okay.

2) Originaltext: «… joues cyclamen et un rose écœurant autour des paupières. Elle n’a pas compris immédiatement pourquoi tout Ie monde la regardait avec horreur. Il a fallu un temps avant qu’on s’aperçoive qu’elle est totalement incapable de distinguer les couleurs. Pour elle, du vert et du rouge, ça ne fait aucune différence. L’ennui, c’est que Gaston a choisi des tons sans danger, mais indélébiles. La vie ne sera pas facile, au cours des semaines qui viennent.»

Von Google wie folgt übersetzt: «… cyclamen pink cheeks (alpenveilchenviolette Wangen?) and a sickening (fehlt: pink) around the eyelids. She did not understand why everyone immediately watched in horror. It took a while before noticing that it is totally incable to distinguish colors for her (richtig wäre: she is totally incapable to distinguish colors), green and red it makes no difference. The trouble is that Gaston chose tones without danger, but indelible (Das Problem ist, dass Gaston ungefährliche, aber unauslöschliche Farben gewählt hat.). Life will not be easy, over the coming weeks.»

3) Das Problem hier ist, dass Google den Punkt nach «I am not.» überhört hat. Und nicht kapiert, dass das in Bezug auf den vorherige Satz meint: «I am not delighted to meet you».

Kommentar verfassen