Zauberer sind Hacker der Realität

Science Fiction ist oft düster und schwer – doch «Off to be the wizard» («Plötzlich Zauberer») von Scott Meyer ist die grosse Ausnahme: charmant, lustig und leichtfüssig.

Off to be the wizard (Deutsch: Plötzlich Zauberer) von Scott Meyer ist eine charmante Geschichte mit hohem Nerdfaktor, die zwei in unserem Soziotop äusserst beliebte Felder geschickt zusammenführt. Sie liesse sich als Fantasy-Science-Fiction bezeichnen, und weil eine etwas ausführlichere Beschreibung zwangsläufig Spoiler enthält, hier schon vorab das Fazit: Wer klevere leichte Stories mit einem technoiden Touch mag – wie zum Beispiel Ready Player One von Ernest Cline – dem sei Off to be the wizard herzlich empfohlen.

Wie eines jener Adventures, die damals auf dem C64 liefen.

Die Geschichte, in der quirligen englischen Hörbuchfassung von Luke Daniels gelesen, erzählt von Martin, der als Hobbyhacker auf einem schlecht geschützten Server auf eine geheimnisvolle Datei stösst: Sie ist riesig und enthält im normalen Textformat auch Informationen über ihn selbst. Die sind zu akkurat, um zu einem normalen Benutzerprofil zu gehören. Selbst Martins Grösse stimmt, obwohl et die doch bei Online-Profilen immer um ein, zwei Zoll aufrundet.

Da sich die Datei auch editieren lässt, ändert Martin die Angabe – um sogleich festzustellen, dass er nun den Staub auf der Oberseite des Badzimmerschränkchens sehen kann, der ihm bislang mangels Körpergrösse vorenthalten blieb. Es ist ganz offensichtlich so, dass die geheimnisvolle Datei keine Information über die Welt enthält. Vielmehr scheint sich die Welt nach der Datei zu richten.

Hacker gestalten die Welt

Was tut nun ein aufgeweckter Hacker in der Situation? Klar, er rundet sein Bankkonto auf, kauft sich nette Gadgets wie einen neuen Computer und Fernseher, und führt die nahe liegenden Experimente durch: Was passiert, wenn man die Zeit- oder die Ortsangabe in der Datei verändert? Genau: Man telepotiert sich an jeden beliebigen Ort und in ein anderes Jahr. Martin stellt fest, dass eine Zeitreise jedoch nur in die Vergangenheit möglich ist. Der Weg in die Zukunft ist versperrt. Mutmasslich, weil die Zukunft noch nicht stattgefunden hat

Die Datei lässt sich, so stellt Martin fest, auch übers Smartphone bearbeiten. Dort gibt es auch einen Eintrag für dien Batteriestatus und die Signalstärke. Über ein kleines Script lässt es sich somit sehr leicht einrichten, dass die Batterie immer genügend Reserven hat. Und auch die Datenverbindung ist immer gewährleistet. Sogar im mittelalterlichen England, wo bekanntlich noch keine Funkmasten herumstanden. Martin baut sich eine kleine App fürs Smartphone, die eine Fluchtfunktion ins mittelalterliche England vorsieht. Die damalige Zeit sei, für englischsprachige Menschen, mit die sicherste überhaupt gewesen. Behauptete ein Buch, das Martin für seine Fluchtfunktion konsultiert hatte.

Geld aus dem Nichts

Es kommt natürlich, wie es kommen muss. Martin benötigt seine Fluchtfunktion früher als gedacht. Die Behörden wollen von ihm wissen, wie er es angestellt har, Geld aus dem Nichts auf seinem Bankkonto auftauchen zu lassen. Und weil sich Martin darauf keine gute Erklärung hat einfallen lassen, bleibt ihm nur seine Fluchtfunktion am Smartphone.

Im alten England angekommen, spielt sich Martin sogleich als Zauberer auf. Er hat in seine App nämlich auch eine Funktion eingebaut, die ihm eine Art Schwebezustand ermöglicht: Ein Script setzt die Höhenangabe in seinem Abschnitt der Datei zehnmal pro Sekunde auf eine Position dreissig Zentimeter über Boden – was einen etwas ruckeligen, aber dennoch eindrücklichen Zaubereffekt ergibt.

Martin muss jedoch feststellen, dass nicht alle von dem Trick begeistert ist. Philipp, der sich ebenfalls einen Zauberer nennt, hat noch viel krassere Tricks drauf. Nach einigen Querelen, bei denen Martin eine Lektion in Demut erhält, erfährt er, dass das mittelalterliche England bevölkert ist von Leuten aus der Gegenwart, die die Datei entdeckt haben und früher oder später die Flucht antreten mussten. Aufgrund des Buchs sind alle mehr oder weniger an der gleichen Abzweigung des Raum-Zeit-Kontinuums aufgeschlagen.

Zaubersprüche in Esperanto

Martin wird zu einer Ausbildung als Zauberer verknurrt. Während der lernt er die Benutzung der Shell. Das ist eine Schnittstelle zur Datei, die die Bedienung über Sprachkommandos (in Esperanto) ermöglicht. Der Zugang wird über Zauberer-Insignien wie Hut, Mantel und Stab abgesichert. Die Shell kann auch über Makros programmiert werden. Und das öffnet den Nerds/Zauberern Tür und Tor für eindrückliche Kunststückchen.

Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal ein Buch lesen würde, indem das Wort «Makro» als programmiertechnischer Slangausdruck so selbstverständlich Gebrauch finden würde. Aber Scott Meyers Geschichte ist der Beleg dafür, dass diese Terminologie in der Mitte der Bevölkerung angekommen und verbreitet genug ist, dass man sie in einer locker-leicht geschriebenen Nerd-Abenteuer, das mit vergnüglichen Figuren und einem Plot aufwartet, der durch die Allmachtsfantasien von Jimmy alias «Merlin» befeuert wird, der das mittelalterliche London zu Camelot und die nichtsahnende Dorfbevölkerung zu Hobbits umgestaltet. Eine Perle der Nerdliteratur mit diversen stimmigen Einsprengseln wie Philipps C64 oder die Anspielungen an William Shatner und Tyrion aus «Game of Thrones».

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