Brave Jungs und eine schamlose Frau

Von Robert A. Heinlein, dem Grossmeister der Science-Fiction-Literatur, stammen «Tunnel in the Sky» und «Fiday» – zwei unterschiedliche Geschichten mit starken Handlungen und erzählerischen Schwächen.

Vor einiger Zeit habe ich mir mit viel Vergnügen Paul Verhoevens «Starship Troopers» zu Gemüte geführt. Eigentlich ein schrecklicher Film, der gerade wegen des leicht faschistoiden Untertons beste Unterhaltung abgibt. Denn wegen des satirischen Untertons muss man den nicht so ganz ernst nehmen – ebenso wenig wie die sinnlose Gewalt. Die richtet sich nämlich gegen hässliche ausserirdische Käfer.

Jedenfalls habe ich den Film zum Anlass genommen, mir den Urheber der Geschichte näher anzusehen. Robert A. Heinlein gehört mit zu den wichtigsten Autoren des Sciencefiction-Genres, und stand deswegen schon länger auf meiner To-read-Liste.

Links: «Tunnel in the Sky» – der Protagonist, Rod Walker, ist eigentlich schwarz. Rechts: «Fiday» – das Buchcover ist Programm.

Ich begann meine Heinlein-Exkursion mit A Tunnel in the Sky (als Hörbuch, bei dem die Dialoge der Hauptfiguren von separaten Sprechern gelesen werden) . Eine Gruppe von Teenagern wird auf eine Überlebensmission auf einen fremden Planeten geschickt. In der Zukunft dieses Buchs werden Planeten kolonisiert, und darum gehört die Fähigkeit, sich sofort auf eine unbekannte Umgebung einzustellen und inmitten der extraterrestrischen Flora und Fauna zu überleben, zum Lehrplan aller Schulen. Nun verwehrt eine Supernova den Prüflingen die Rückkehr, sodass sie nicht zwei Wochen auf dem Planeten ausharren müssen. Sondern eine nicht absehbare, lange Zeit.

Eine Robinsonade im All

Eine typische Robinsonade – weswegen der Vergleich mit Herr der Fliegen natürlich auf der Hand liegt. Ich habe ihn auch in der einen oder anderen Rezension gelesen. Mich hat die Geschichte jedoch viel mehr an The Hunger Games erinnert. Auch da kämpfen Jugendliche ums Überleben, auch wenn Rod Walker, der Held dieses Abenteuers, anders als Katniss Everdeen von seinen Mitstreitern nichts zu befürchten hat. Meistens, jedenfalls.

Die Jugendlichen beginnen sich recht schnell mit der Situation zu arrangieren. Sie bauen ihr provisorisches Lager zu einem befestigten Stützpunkt aus. Sie geben ihrer Gemeinschaft eine gesellschaftliche Ordnung, inklusive Bürgermeister und Komitees für die diversen Belange. Sie heiraten – weniger aus Liebe, als vielmehr aus pragmatischem Überlebenswillen heraus. Und sie meistern schwierige Situationen wie die jährlichen Tierwanderungen. Bei denen werden aus den trägen, harmlosen Viechern namens Dopy Joes rücksichtslose Bestien, die sich in alles verbeissen, was ihnen in die Quere kommt.

So brave Jugendliche gibt es nicht

Die Geschichte ist als Jugendbuch gedacht – was nichts Schlechtes ist. Ich lese gern Jugendbücher, weil sich die Autoren dort um eine wirklich gute Geschichte bemühen müssen und sich nicht mit psychologischen Geschwurbel aus der Affäre ziehen können, so wie es die Autoren von Erwachsenenbüchern gern tun. Die Geschichte unterhält, bleibt aber letztlich weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Die Jugendlichen, inklusive der Hauptfigur Rod Walker, kamen mir wie eher wie Erwachsene vor – Erwachsene unter Valium. Keiner ist je richtig ausgeflippt oder in Panik geraten, obwohl das bei Jugendlichen, die von ihren Lehrern auf einem einsamen Planeten vergessen werden, nur allzu nachfühlbar wäre. Alle sind wahnsinnig vernünftig, niemand leidet unter Heimweh oder unter seinen Teebager-Hormonen, keiner findet, man könnte aus der Abwesenheit von erwachsenen Autorität Kapital schlagen und Bier brauen statt Gemüse anzubauen. Oder meinetwegen herausfinden, welche Wurzeln man auch rauchen kann. Zur Verteidigung von Heinlein ist zu sagen, dass das Buch 1955 geschrieben wurde und die (amerikanischen) Eltern damals solche Themen in der Lektüre ihrer Kinder nicht goutiert hätten. Aber wenigstens andeuten hätte man es können.

Bauchnäbel und andere erogene Zonen

Denn Heinlein war kein Kostverächter, was die sexuellen Themen angeht. Das zeigt die zweite Geschichte, die ich gelesen habe. Sie heisst Friday. Die Protagonistin ist eine junge Frau, die als Kurier arbeitet. Sie transportiert für viel Geld wertvolle Gegenstände in ihrem Bauchnabel, und zwar vor allem geheime Informationen. Und Anlass für Geheimniskrämerei gibt es genug: Die Welt (bzw. Nordamerika) ist in verschiedene Machtblöcke zerfallen: Britisch Kanada, die Republik Kalifornien, das Empire und das Königreich Mexiko.

Es gibt die Terminals, die Zugang zu einem Informationsnetzwerk ermöglichen, aber auch Musik spielen können. Es existiert ein U-Bahn-System, das die Städte verbindet und das Reisen einfach macht, aber in den Städten bewegt man sich mit Pferdewagen oder Velo fort. Dominiert wird die Gesellschaft und die Politik von mächtigen, gesichtslosen Unternehmen (wie wir uns das heute sehr viel besser vorstellen können, als die Leute von 1982, als das Buch herauskam). Die Erdbewohner haben (auch hier) das Weltall kolonialisiert, aber nur wenige können sich die Trips zum Mond, geschweige denn zu anderen Planeten leisten. Aus heiterem Himmel kommt es im Buch zu einem kriegsähnlichen Ausnahmezustand. Es war halt kalter Krieg, als das Buch geschrieben wurde. Und das merkt man ihm auch an.

Trotz dieser düsteren Ausgangslage ist die Protagonistin, Friday Baldwin, eine unbeschwerte junge Frau, die jede Gelegenheit ergreift, sich sexuell auszuleben und ihre Work-Life-Balance im Gleichgewicht zu halten. Auch wenn sie aus beruflichen Gründen oder zur Selbstverteidigung einen Totschlag zu begehen hat, belastet sie das nicht allzu sehr – ebensowenig die Massenvergewaltigung, deren Opfer sie ganz am Anfang der Geschichte wird.

Männerfantasien…

Und das ist auch hier der Kritikpunkt: Die Psychologie der Hauptfiguren will nicht überzeugen. Friday ist eine Männerfantasie. Das verrät übrigens schon das Cover des Buchs – das mich in meine Jugend flashbackte. Denn damals, als wir noch kein Internet hatten, waren Bücher mit leicht frivolen Titelbildern der Gipfel der erotischen Stimulation.

Zurück zu Heinlein und seinen Fantasien: Für mich als männlicher Leser ist das nur ein halbes Problem, aber einer Frau würde ich die Geschichte nicht empfehlen. Heinlein hat zwei Ausreden dafür. Zum einen hat sich die Gesellschaft in eine Art Hippie-Paradies verwandelt. Polygamie ist nicht nur legal, sondern auch in konservativen und religiösen Kreisen verbreitet. (Ich weiss nicht, was Heinlein in den 1960er Jahren diesbezüglich für Erfahrungen gemacht hat. Aber sie haben ihn nachhaltig geprägt.)

Zum anderen dient die Biografie von Friday als Ausrede: Sie ist ein Kunstprodukt: «My mother was a test tube, my father a knife», wie ihresgleichen zu sagen pflegen. Sie ist zwar menschlich, aber in der Retorte erschaffen, mit überlegenen Eigenschaften. Ihr Seh- und Hörvermögen, ihre Reaktion und ihre psychische Stapazierfähigkeit liegen alle weit über dem Durchschnitt. Darum steckt sie, so die Logik des Buchs, vieles weg, was andere fertig machen würde – beispielsweise, als ihr Boss und Ziehvater stirbt. Oder als sie von ihrer Wahlfamilie in die Wüste geschickt wird, weil sie kein «echter» Mensch ist.

Allerdings – diese Diskriminierung geht ihr dann doch auf den Wecker. Sie empfindet sie als ungerecht und als sie sieht, dass es auch anderen «Artefacts» so geht, fängt sie an, sich gegen die Ignoranz und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen. Eine Kämpferin für ihre Sache wird sie dann doch nicht.

Zukunfts-Hippies

Dieser Aspekt hat mir am Buch gefallen. Die Selbstverständlichkeit, mit der Heinlein eine selbstbewusste, genetisch erschaffene Frau beschreibt, ist eine optimistische Zukunftsvision, wie sie mir nach all der dystopischen Lektüre der letzten Zeit sehr zusagt. Eine Frau, die in einer verrückten Welt ihren Weg geht und mit ihren unorthodoxen Freunden dem Establishment ein Schnippchen schlägt – das ist ein hervorragender Ansatz. Er verliert leider seine Glaubwürdigkeit, weil Heinlein seinen Sexismus nicht zügelt und die Psychologie seiner Figuren nicht im Griff hat. Die Hippiegesellschaft wäre eine gute Ausgangslage für eine Figur wie Friday. Es bräuchte aber doch etwas mehr Einfühlungsvermögen, Empathie und Kontakt zur weiblichen Seite, um diese – von Friday in der Ich-Form erzählte – Autobiografie rund zu machen.

Ein Highlight ist die Erzählerin, Hillary Huber. Sie hat nicht nur Sinnlichkeit, sondern auch genügend Schalk in der Stimme, um Friday glaubwürdig rüberzubringen und die erzählerischen Defizite zu mildern.

One thought on “Brave Jungs und eine schamlose Frau

  1. Jaja, die perfekten Top-Modell Soldaten in Starship Toopers mit ihren locker flockigen sprüchen, da kann man nur schwer nicht schmunzeln. Würde gerne mal wissen, ob der Film von der Army subventioniert wurde. 😀

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