Atomkrieg? Nein, danke!

«First Strike» macht aus der nuklea­ren Aus­löschung der Mensch­heit einen Heiden­spass fürs iPhone und iPad. Viel­leicht bin ich zu sehr in den Acht­ziger­jahren stecken geblieben, als dass ich dieser Idee etwas ab­gewin­nen könnte.

Neulich habe ich darüber geschrieben, wie man die Menschheit mit einer im Labor gezüchteten Seuche ausrottet. Das ist schön und gut, aber für uns, die wir im Kalten Krieg aufgewachsen sind, ist das nicht die wahre Urangst. Die dreht sich um unerwartet in die Höhe steigende Pilze – furchtbar und majestätisch in einem.

So sieht ein erfolgreicher Erstschlag aus!

Natürlich gibt es auch zum Atomkrieg das passende iOS-Spiel. «First Strike» heisst es. Es ist für 4 Franken im iTunes App Store und bei Googe Play erhältlich. Und es ist obendrein eine Schweizer Produktion, von der Zürcher Agentur Feinheit. Wieso auch nicht? Wenn wir hier schon für viele Milliarden Atomschutzkeller gebaut haben, dann können wir das Thema auch game-mässig bewirtschaften. Und dass der Atomkrieg als Unterhaltung taugt, hat schon War Games bewiesen.

Simple Unterhaltung oder mehr? Die Intention der Macher ist laut Tagesanzeiger Aufklärung:

«Wir wollen die Menschen dazu bringen, sich mit der nuklearen Gefahr auseinanderzusetzen», sagt «First-Strike»-Produzent Moritz Zumbühl. Er hoffe, dem Spieler die «moralischen Aspekte eines Atomkriegs» näherzubringen.

Das ist bei «First Strike» nicht der Fall. Die Besprechung von pockettactics.com sagt:

Es verschafft einem einen geradezu lieblichen Anblick auf Interkontinentalraketen auf ihrem Weg zu Zielen auf der fernen Seite der Erde.

Darum ist die moralische Mission von Feinheit wirklich nur ein Vorwand, ein Deckmäntelchen. Für eine echte Auseinandersetzung mit dem Atomkrieg hätte sich Feinheit nicht an «War Games», sondern an When the wind blows oder an The day after orientieren müssen. Die realen Komponenten – Nordkorea als echter Bösewicht und die Atommächte, die man aus den Nachrichten kennt – sind dazu da, dem Spiel einen Extra-Kitzel zu verleihen.

Entsprechend sollten die Macher des Spiels ehrlich sein und bekennen: Die Leute lassen sich gern von der Apokalypse unterhalten. Die Annihilation funktioniert im Kino, und es gibt keinen Grund, dass sie nicht auch beim Casual Gaming für gute Verkaufszahlen sorgt.

Atomkrieg muss Spass machen

Soll man sich darüber aufregen? Meines Erachtens ist es völlig okay, bei solchen Spielchen die Moral beiseite zu lassen. Games sind dann spannend, wenn sie alle möglichen und unmöglichen Szenarien durchexerzieren sollten. Auch die, in denen man als Spieler nicht im Zeichen des Guten handelt. Mit anderen Worten: Atomkrieg ist okay, wenn er Spass macht.

Was «First Strike» angeht, ist mein Vergnügen aber leider beschränkt. Das liegt vermutlich daran, dass sogar beim einfachen Level ich immer als erster dran glauben muss. Während ich noch in aller Ruhe mein Territorium erweitere, Arsenale aufbaue und die Forschung vorantreibe, fliegen schon die ersten Raketen heran. Unvermittelt, ohne dass ich irgend etwas anderes getan hätte, als mich mit meinem eigenen Kontinent zu beschäftigen.

Da fehlt mir ein echtes Szenario. Ein Erstschlag erfolgt, soviel haben wir während der letzten fünfzig Jahre immerhin gelernt, nicht aus heiterem Himmel¹. Da das Spiel einen gewissen Realismus für sich in Anspruch nimmt, müsste erst einmal eine herkömmliche, «normale» Expansionsstrategie irgendwie aus dem Ruder laufen – was für mich impliziert, dass es auch möglich sein sollte, diese Krisen beizulegen oder zu vermeiden, und das Spiel ohne Atomkrieg zum Ende zu führen. So ist es letztlich eine relativ banale Simulation, die nicht unbedingt auf der Erde ablaufen müsste.

Der Atomkrieg findet auf einem schicken 3-D-Globus statt, den man wie Google Earth per Finger rotiert und zoomt. So eindrücklich die Grafik ist, sie hat einen gewichtigen Nachteil: Man sieht zwangsläufig immer nur einen Teil des Geschehens. Man hat so nicht mal sein eigenes Territorium immer im Blick, geschweige denn, das des Gegners. Ich weiss, bei diesen Echtzeitstrategiespielen ist es der Schlüssel zum Erfolg, seine Aufmerksamkeit jederzeit zur richtigen Stelle zu lenken. Aber mich stresst das.

Seltsame Grenzverläufe

Als erstes wählt man die Macht, die man repräsentieren will. Und bereits bei diesem Punkt irritiert mich das Spiel. Es gibt mir die Möglichkeit, mich für die USA, Westeuropa oder Nordkorea zu entscheiden. Das legt nahe, dass man es mit den vom Geografieunterricht bekannten Nationalstaaten zu tun bekommt.

Dem ist aber nicht so. Man sieht sich mit geografischen Einheiten konfrontiert, die teilweise den existierenden Ländern entsprechen, meistens aber auch nicht. In Westeuropa existiert zwar Grossbritannien. Deutschland ist aber mit Holland, Belgien und Dänemark verschmolzen. Portugal bildet mit Spanien eine Einheit und Italien gehört zu Österreich und Tschechien. Die Schweiz scheint von Frankreich annektiert zu sein. In Nordamerika ist die Aufteilung noch willkürlicher. Die USA beispielsweise sind in Provinzen zerlegt, die mit den 50 Bundesstaaten nichts zu tun haben.

Wenn das mein alter Geografielehrer sähe!

Ich nehme an, die Macher haben mit dieser seltsamen Aufteilung das Ziel verfolgt, geografische Einheiten zu schaffen, mit denen man auf der begrenzten Fläche eines Tablet-Displays sinnvoll operieren kann. Das Spiel findet auf Ebene dieser Einheiten statt. Tippt man eine Einheit an, erhält man ein Menü, das mögliche Aktionen zur Verfügung stellt.

Man kann die Nachbarregionen übernehmen (expand), Waffen bauen, Forschung betreiben oder eine Attacke führen. Jede Aktion dauert eine gewisse Zeit, während der man nichts anderes tun kann. Hat man einem Territorium eine Aufgabe zugewiesen, kann das bis zur Vollendung der Aufgabe nicht mehr «benutzt» werden.

Über das Menü links steuert man die Aktionen in einem Territorium. Eine sinnvolle Aktion wäre die Verteidigung, da rechts eine Rakete heranfliegt.

Die Aufgabe im Verlauf des Spiels ist nun, seine Ressourcen optimal einzusetzen und die verschiedenen Aufgaben – Expansion, Verteidigung, Aufrüstung, Fortschritt – unter einen Hut zu bekommen. Man benötigt jederzeit genügend Raketen, von denen es drei Typen gibt. Die Kurzstreckenraketen dienen der Verteidigung.

Mit den Mittelstreckenraketen (IRBM) operiert man im näheren Umfeld, aber für den globalen Sieg braucht man die Langstreckenraketen (ICBM), die man um den halben Globus herumschiessen kann. Gleichzeitig will man sein Territorium kontinuierlich vergrössern, um seinen Einfluss global geltend zu machen. Via Forschung kann man sich einen strategischen Vorsprung herausarbeiten.

Das Spielprinzip funktioniert nicht

Fazit: Das Spielprinzip funktioniert meines Erachtens nicht. Wenn sich ein Spiel Realismus zum Ziel setzt und auf dem virtuellen Globus akkurat die Kontinente abbildet, dann sollte im Spiel auch die realen Grenzen und die bekannten Machtblöcke abgebildet sein. Westeuropa als Verbund einzelner Länder zu darzustellen, geht ja noch. Aber dass die USA bloss ein lockerer Verband von Alliierten sein soll, ergibt keinen Sinn.

Es ist aber auch von der Spielmechanik her ein Unfug. Man forscht pro Territorium und findet nicht überall die gleiche Ausgangslage vor. Warum es diese Unterschiede gibt, ist mir überhaupt nicht klar geworden. Es ist unlogisch, dass zwischen den Territorien kein Wissenstransfer stattfindet und man sich im Ernstfall noch nicht einmal aushelfen kann – wegen der erwähnten Blockade der Ressourcen während einer laufenden Aktion. Wenn man alle seine Territorien beschäftigt hält – also seine Mittel maximal effizient einsetzt –, und dann im grossen Stil angegriffen wird, hat man Pech gehabt. Der Ressourcen-Einsatz erfolgt letztlich ins Blaue hinaus.

Fazit: Dieser Atomkrieg hat etwas Willkürliches und ist nach einer gewissen Zeit nur noch nervig.

Fussnoten

1) Bevor einer deswegen motzt: Dass in den letzten 50 Jahren kein Atomschlag aus heiterem Himmel erfolgte, ist natürlich kein Beweis dafür, dass genau das nicht passieren kann…

2 Kommentare zu «Atomkrieg? Nein, danke!»

  1. Hallo Matthias – herzlichen dank für die Kritik.
    Wir schätzen auch negative Auseinandersetzungen mit unserem Spiel.

    Leider hast Du dich zu wenig mit dem Spiel befasst so dass ich das einfach stehen lassen könnte.

    1. Es gibt einen anderen weg das Spiel zu spielen (hast du bewusst den 4ten Knopf in deiner Erklärung weggelassen?)
    2. Wir haben an verschiedenen Stellen auch erwähnt das ES eben genau Spass machen muss, damit es klickt macht.
    3. Niemand behauptete die Erde sei realistisch – Das Spielfeld soll eine Emotion ermöglichen und Spass machen. Dafür mussten wir die Welt “willkürlich” aufteilen (oh die Schweiz hat es auch nicht in First Strike geschaft!)
    4. Wer hat irgendwo von Realismus gesprochen?
    5. Natürlich findet einen Wissenstransfer statt. Da hast Du etwas falsch gesehen oder interpretiert. Der Techtree ist gesperrt so lange daran geforscht wird. Nicht mehr und nicht weniger.
    6. Logisch greifen dich die Gegener an wenn Du dich sinnlos ausdehnst. Eventuell nicht ausdehnen wenn Du keinen Krieg willst? (ja es gibt auch Random. Kann also vorkommen das Du als Nord Koreak IMMER auf den Deckel kriegst. Ohne Random wird kein Game spannend)

    Die moralische Komponente diskutiere ich gerne ein anderes mal. Grundsätzlich sind nicht alle wie Du in Zeitalter des Krieges aufgewachsen sondern eben auch danach. Wenn sich dieses Publikum wieder mit dem Thema befasst ist das für uns bereits ein Erfolg. Und Du hast unsere 25% Donation des Preises auch nicht erwähnt. Absicht?

    Anyway – Danke für den Beitrag & herzlicher Gruss Moritz
    (ps. Das Game ist von den Blindflug Studios in Zürich – einem Spinnoff von Feinheit. So nebenbei…)

  2. «First Strike» hat nicht die Erwartungen erfüllt, die ich an das Spiel hatte. Man kann nun darüber streiten, an wem das liegt. Moritz sagt, es liege an mir, weil ich mich nicht genügend intensiv damit beschäftigt habe. Ich bin umgekehrt der Ansicht, dass das Spiel mir den Einstieg zu schwer macht, als dass ich Spass daran haben könnte. (Was zum Teufel ist dieser vierte Knopf, von dem du sprichst?)

    Da ich selbst Spielentwickler bin, weiss ich, dass der Spieler immer recht und das letzte Wort hat. Wenn er das Spiel nicht mag oder nicht damit zurecht kommt, dann löscht er es. (In dem Fall hat er die 4 Franken trotzdem schon bezahlt. Aber ums Geld geht es ja nicht.)

    Ich will meine Kritik jedenfalls konstruktiv verstanden wissen, denn die Probleme, die ich beim Einstieg hatte, dürften auch andere Spieler haben. Wenn ihr die Einstiegshürden für uns «tree-hugging hippies» senkt und die Implausibilitäten beseitigt, würde das den Spielspass und mutmasslich auch die Zahl der zufriedenen Kunden deutlich erhöhen.

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