Ein Blogpost, drei Hörbuchbesprechungen

Drei Bücher in der Besprechung, zwei davon von meinem neuen Lieblingsautor John Scalzi: «Redshirts» und «Fuzzy Nation» (Deutsch «Der wilde Planet»), ausserdem «A bridge of Years» (Deutsch «Chronos») von Robert Charles Wilson.

Ich habe einen neuen Lieblingsautor. John Scalzi heisst er und hat sich dem Genre des Sciencefiction verschrieben. Dieses Genre hat mir vergleichsweise viele Enttäuschungen beschert. Es verspricht, einfach zu sein: Wenn man als Autor über ein bisschen Fantasie verfügt und dieser freien Lauf lässt, kann eigentlich nichts schief gehen.

So würde man meinen. Doch Fantasie reicht nicht. Es braucht auch das Talent, the Human Condition in eine andere Umgebung und Epoche zu verpflanzen und trotzdem glaubwürdig und interessant zu sein. Denn auch wenn wir Nerds das erwarten würden: Eine nur von toller Technologie und exotischen Schauplätzen dominierte Geschichte trägt nicht.

So endet es immer. (Bild: memory-alpha.org)

Ich bin über Redshirts¹ (Amazon Affiliate)– die ausführliche Beschreibung enthält viele Spoiler und wurde darum in die Fussnoten verbannt – gestolpert. Es enthält ein bisschen Zeitreise und, wie der Titel verrät, viele schöne Anspielungen an «Star Trek». Es geht um die Rothemden, die schon in der Originalserie nur deswegen sterben müssen, damit der Zuschauer erkennt, wie gefährlich die Missionen von Kirk, Spock und Bones sind, und wie tapfer und geschickt sich die Hauptfiguren durch ihre Abenteuer kämpfen.

Die Rothemden sind unzufrieden

Diese Rolle gefällt den besagten Rothemden nun je länger je weniger, weswegen sie den schlechten Drehbüchern ein Ende setzen wollen.

Das ist natürlich ein Nerdfest par excellence: Zum einen (natürlich!) wegen «Star Trek». Zum anderen aber auch, weil die Grenze zwischen Realität und Fiktion im Buch aufgebrochen wird. Wenn fiktionale Figuren auf ihre Schöpfer treffen, dann hat das sofort ganz viele logische und philosophische Implikationen – was uns Nerds sehr gut gefällt, weil die linearen Handlungsstränge uns mitunter ein bisschen langweilen.

Ausserdem gibt es in der Geschichte eine Zeitreise – und die Zeitreisen sind ja auch so etwas wie der rote Faden in der Nerdliteratur-Rubrik dieses Blogs. Bei «Redshirts» funktioniert das wunderbar – die Zeitreise ist nicht nur zum Zweck da, es in der Gegenwart zu richten.

Sie bleibt natürlich auch in der Vergangenheit nicht ohne Auswirkungen. Wie das denn auch nicht anders sein kann – denn sonst werden die dramatischen Möglichkeiten einfach nicht ausgeschöpft.

Die Brücke in die Vergangenheit schöpft ihre Möglichkeiten nicht aus

Das war übrigens auch der Grund, weswegen ich von A bridge of Years² enttäuscht war. Das Buch habe ich kürzlich gelesen. Da führt eine Brücke in die Vergangenheit, aber ohne dass diese Zeitreise eine Auswirkung in der Gegenwart hätte. «Redshirts» kann man als unterhaltsames, locker geschriebenes Buch mit vielen saloppen Dialogen lesen. Auf einer höheren Ebene gibt man sich, wenn man will, dem Vexierspiel von Realität und Fiktion hin. Und obendrein kann in Trekkie-Memes schwelgen – auch wenn das Buch diesbezüglich meinetwegen noch viel weiter hätte gehen können.

Das Hörbuch wird in Englisch übrigens von Wil Wheaton gelesen, der aus unerfindlichen Gründen seinen Einsatz als Fähnrich unter Jean-Luc Picard überlebt hat.

Vie «Avatar» ohne 3D

Nachdem mir «Redshirts» so gut gefallen hat, habe ich gleich nachgedoppelt und mir von John Scalzi Fuzzy Nation³ nachgedoppelt (in Deutsch Der wilde Planet, das englische Hörbuch wird wiederum von Wil Wheaton gesprochen) besorgt. Das ist wie «Avatar», aber ohne 3-D und dafür mit einer guten Geschichte. Dieses Buch ist eine Adaption von Little Fuzzy, einer von H. Beam Piper erzählten Geschichte aus dem Jahr 1962, mit dem teilweise gleichen Personal. Scalzis Transfer der Geschichte in die heutige Zeit ist äusserst gelungen.

Scalzi kann Geschichten erzählen und interessante Charaktere erfinden, und seine Dialoge mag ich sehr. Der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Gewinnstreben und dem Schutz von Natur und indigenen Völkern lässt sich auf Zara XXIII ausgezeichnet austragen, und dass Jack Holloway das gierige, Raubbau betreibende Unternehmen ZaraCorp austrickst, ist wohltuend, zumal es in der richtigen Welt meistens nicht so ist

Aber Sciencefiction soll uns schliesslich zum Träumen bringen… und ganz nebenbei führt uns die Gegenüberstellung von «Fuzzy Nation» und «Little Fuzzy» auch vor Augen, dass Sciencefiction-Geschichten zwar in einer nahen oder fernen Zukunft spielen, aber uns nur dann ergreifen, wenn sie im Hier und Jetzt verwurzelt sind.

Fussnoten

1) Das die Geschichte von Andrew Dahl, der sich auf der Intrepid wiederfindet. In einem unschwer als Kopie des Star-Trek-Universum erkennbaren Universum ist das das Flaggschiff der Weltraumflotte. Er wird dem Exobiologie-Labor zugeteilt und stellt fest, dass die Leute sich da seltsam verhalten. Sobald der Kapitän oder ein anderes Mitglied der Führungsriege auftaucht, verschwinden alle Kollegen im Lagerraum und sind unauffindbar. Dahl hat schon früher festgestellt, dass im Labor auf der Intrepid seltsame Dinge geschehen.

Die dort erzielten Resultate lassen sich auf der Erde überhaupt nicht reproduzieren. Was daran liegt, dass sie von einer seltsamen Blackbox ausgespuckt werden, die just in der Zeit die Probleme löst, in der sie der Kapitän Abernathy sie angefordert hat.

Schon bald findet Dahl noch mehr heraus: Auf den Aussenmissionen des Teams kommen sehr viele Leute ums Leben. Allerdings sterben immer nur Leute aus den subalternen Reihen. Die Führungsriege kommt, so ungeschickt sie sich auch aufführt, immer bloss mit einem Kratzer davon. Da ist beispielsweise der attraktive, aber strohdumme Leutnant Kerensky, der unzählige Male auf der Krankenstation lag, aber immer äusserst schnell wieder genesen ist.

Dahl geht ein Licht auf: Es sterben immer nur die Nebenfiguren. Und: Er und seine mitbetroffenen Fähnriche, unter anderem die kokette Maia Duvall, die mit Kerensky eine Affäre anfängt, sind die Nebenfiguren. Wie am Leben bleiben?

Dahl findet heraus, dass sich in den Eingeweiden des Schiffs ein Mann namens Jenkins herumtreibt. Er ist quasi abgetaucht, nachdem er auf einer Aussenmission seine Frau verloren hat. Er klärt die Fähnriche auf: Auf der Erde der Vergangenheit gab es irgendwann anfangs des 21. Jahrhunderts eine Fernsehserie, die als grässlicher Rip-off von «Star Trek» die Intrepid geschaffen hat. Und irgendwie wurden die Schicksale der echten Besatzung mit dem der fiktionalen Figuren verbunden. Und da der Chefautor die fatale Neigung hat, Spannung aufzubauen, indem er Nebenfiguren sterben lässt, sind sie nun in ziemlicher Gefahr.

Die Todgeweihten entschliessen sich, mit einem Shuttle in die Vergangenheit zu reisen und als Lebensversicherung Kerensky mitzunehmen. (Die Zeitreise ist deswegen möglich, weil sie vor einigen Folgen in die Serien hineingeschrieben wurde. So lächerlich und unwissenschaftlich die Methode der Zeitreise auch war – einmal geschrieben, ist die Methode nun für jedermann praktikabel, auch für die aufrührerische Jungmannschaft.) Im Jahr 2010 wollen sie den Chefautor und den Produzenten zur Rede stellen und ihn dazu bringen, die Serie einzustellen. Dieser Plan klappt und rettet ausserdem Matthew Paulson das Leben. Er ist Schauspieler bei der Serie, der im echten Leben einen Unfall hatte und nun mit den Mitteln der Medizin des 20 Jahrhunderts nicht mehr gerettet werden kann. Da sein Gegenpart in der Zukunft wider Erwarten noch lebt, tauschen sie die Körper und transferieren den durch den Unfall malträtierten in die Zukunft.

Die verzweifelte, von Selbsterhaltungstrieb befeuerte Mission von Dahl, Duvall und Co. ist nur der Anfang des Buchs. Der zweite Teil beginnt mit der Schreibblockade von Nick Weinstein. Nachdem er feststellt, dass er mit seinen billigen Cliffhangern echte Menschenleben geopfert hat, baut sich in ihm eine unüberwindbare Schreibblockade auf. Er versucht, die zu überwinden, indem er mit anderen Autoren in Kontakt tritt, die in ihren Werken die Grenze zwischen Fiktion und Realität überwunden haben – beispielsweise Woody Allen (The Purple Rose of Cairo), Zach Helm (Stranger than Fiction) und Zak Penn und Adam Leff (Last Action Hero). Dabei kommt heraus, dass Weintraub einfach damit aufhören müsste, nur wegen des billigen dramatischen Effekts Leute sterben zu lassen – denn wenn die Figuren schon dahinscheiden sollen, dann muss das wenigstens einen echten Sinn haben.

Das Buch endet mit einem echten Happy End im Jahr 2010, wo die Geschehnisse in der Zukunft eine bestimmenden Einfluss auf die Leben zweier Menschen in der Gegenwart ausüben…

2) «A Bridge of Years» (mit dem deutschen Titel Chronos) von Robert Charles Wilson ist erste Zeitreise-Geschichte, die ich in letzter Zeit gelesen habe, und die mich einfach nur kalt gelassen hat. Es geht um Tom Winter, der im Jahr 1979 nach dem Ende seiner Ehe eine ziemlich verkrachte Existenz abgibt und, um seiner Tristesse zu entfliehen, in seinen Heimatort zurückkehrt. Er kauft dort von einem Makler ein Landhäuschen, das zwar seit längerer Zeit leersteht, aber trotzdem perfekt im Schuss ist. Winter findet heraus, dass eine Armee von Nanobots in verschiedenen Grössen das Anwesen im Schuss hält. Nicht nur das: Im Keller gibt es einen Tunnel in die Vergangenheit, der ins New York der 1960er Jahre führt.

Winter entscheidet sich, nur um der elenden Gegenwart zu entfliehen, sich dort niederzulassen. Denn er kann ein Leben in relativer Sorglosigkeit führen: Er weiss, dass der Atomkrieg nicht über die Menschheit hereinbrechen wird. Die Katastrophe von Tschernobyl ist keine Überraschung für ihn. Aids stellt für ihn keine Bedrohung dar, da er weiss, wann die Seuche auftreten wird. Er hat einen Wissensvorsprung auf seine Mitmenschen.

Er lernt eine Frau, Joyce, kennen und lieben und, anders als Jake Epping alias George Amberson in Stephen Kings «Der Anschlag» (Back to the Future für Erwachsene) spürt er nicht das Verlangen, die Vergangenheit zu ändern. Der Protagonist denkt zwar an John F. Kennedy und Lee Harvey Oswald, aber einzugreifen fällt ihm nicht ein. Er will noch nicht einmal seine Eltern vor ihrem Unfalltod bewahren. Das einzige, was er tut, ist einmal anzurufen. Und dann hat er nur das Kindermädchen am Draht.

Das ist im Buch genauso lahm, wie es sich anhört. Um Spannung reinzubringen, hat Wilson einen Deserteur aus der Zukunft in die Vergangenheit geschickt. Er lebt ebenfalls im New York von 1962.

Billy Gargullo wurde in der Zukunft mit einer Rüstung ausgestattet, die ihn mit allerhand technischen Mitteln inklusive chemischen Stimulanzien zum perfekten Soldaten macht. Er ist ein Cyborg mit einer fast sexuellen Lust am Kämpfen und Töten und hat nicht nur den Zeittunnel entdeckt, sondern auch den eigentlichen Hüter über den Tunnel ausgeschaltet. Der heisst Ben Collier und liegt seit Jahren und vorerst unentdeckt und schwer verletzt im Schuppen von Tom Winter, und wird dort von den Nanobots am Leben gehalten. Am Ende geht es darum, Gargullo zu stoppen – der aber seinerseits auch nur durch seine Rüstung zu dem wurde, was er ist und in der Vergangenheit gestrandet war.

Laut publishersweekly.com ist das eine berührende Reflexion über Liebe, Verzweiflung und die Widerstandskraft des menschlichen Geistes (a moving reflection on love, despair and the resilience of the human spirit). Aber Geschichten über Zeitreisen leben nicht davon. Die leben davon, dass es ganz gehörig im Gebälk der Jahrzehnte knirscht!

3) Jack Holloway ist Schürfer auf dem Planeten Zara XXIII. Er lebt mit seinem Hund Karl in der Wildnis, wo sie für ZaraCorp nach Edelsteinen schürfen. Hollway ist ein ziemlicher Haudegen er kümmert sich nicht sosehr um die Vorschriften seines Auftraggebers, sodass er seinem Hund beigebracht hat, die Sprengladungen für ihn zu zünden. Das hat ihn dann auch schon in Schwierigkeiten gebracht, indem er wegen unsicherer Praktiken vor Gericht gelandet ist. Seine damalige Freundin, die Biologin Isabel Wangai, hatte entsprechend ausgesagt, worauf Holloway sie der Lüge bezichtigte. Man kann sich ausmalen, dass das der Beziehung nicht förderlich war.

Bei seiner jüngsten Sprengung fällt ein ganzer Hang in sich zusammen, was viel Ärger verspricht. Die Schürfer auf fremden Planeten dürfen zwar nach Rohstoffen suchen, aber sie dürfen die Flora und Fauna der Planeten nicht über Gebühr beeinträchtigen – ein Gebot, das bei einem Hangrutsch nicht als eingehalten betrachtet werden kann. Nun hat Holloway aber riesiges Glück im Unglück. Er entdeckt einen riesigen Vorrat an Sonnensteinen (sunstones). Das sind die schönsten und wertvollsten Edelsteine im ganzen Universum. Ein Vermögen wert. Das gibt ihm als unabhängigen Schürfer eine hervorragende Position gegenüber seinem Auftraggeber, der ZaraCorp: Denn die hat, wegen des Vorfalls mit dem Hangrutsch, zwar seinen Vertrag gekündigt. Doch ohne Vertrag fällt das Recht, die Sonnensteine abzubauen, an Holloway. Darum gibt es ganz schnell einen neuen, besseren Vertrag.

Nun geht die Bergung dieser Sonnensteine nicht friktionsfrei vonstatten. Die ZaraCorp ist ein Unternehmen mit casinokapitalistischen Allüren. Wheaton Aubrey der Siebte ist ein Spross der Besitzerfamilie von ZaraCorp, der einen auf dicke Hose macht und Holloway möglichst aus schnell (erst mit viel Geld, dann mit einem Anschlag auf Holloways Fluggerät, den Skimmer) aus dem Weg haben möchte.

Gleichzeitig erhält Holloway in seiner Baumhütte Besuch von einer katzenartigen Kreatur, die ihn erst um Futter anbettelt und sich dann bei ihm und bei Hund Karl heimisch einrichtet. Aufgrund des Familiennachzugs erhält Jack bald eine ganze Horde von Mitbewohnern, mit denen es aber sowohl Hund als auch Herr ganz gut aushalten – denn wie Karl beweist, ist Holloway trotz seiner Mängel ein tierliebender Mensch.

Trotz der früheren Differenzen lädt Holloway seine Ex ein, seine Mitbewohner zu besuchen. Denen hat er den Namen «Fuzzies» gegeben, weil sie so flauschig sind. Natürlich ist Isabel als Biologin höchst interessiert an unbekannten fremden Spezies. Denn auch wenn sie nicht Exobiologie studiert hat, ist die Erkundung einer neuen extraterrestrischen Lebensform das Höchste, was ihr passieren kann.

Nun erhält auch ZaraCorp Wind von der Sache. Denn sie birgt wiederum Sprengstoff: Falls es sich bei den Fuzzies nicht um Tiere, sondern um intelligente Wesen handelt, dann ist das von Holloway entdeckte Vermögens dahin. Die Schürfrechte fallen an die Spezies des Planeten – und ob die jemals die Notwendigkeit verspüren, die Sonnensteine abzubauen und kommerziell auszuwerten, steht in den Sternen. Nun würden sich die Interessen von Holloway und ZaraCorp am Abbau der Sonnesteine eigentlich decken. Doch um diese Interessen durchzusetzen, müsste Holloway erneuten Verrat an Isabel Wangai begehen. Sie ist nach ihrer Untersuchung der Fuzzies nämlich überzeugt, dass es sich um intelligente Lebewesen handelt, die ihren Planeten selbst bestellen dürfen.

Dieser Konflikt wird von John Scalzi sehr schön zugespitzt und mit einem gelungenen Showdown vor der Richterin von Zara XXIII aufgelöst.

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