Fatalismus und Aktionismus

Wie reagiert die Internetwelt auf die Enthüllungen von Edward Snowden? Vielen scheinen sie völlig gleichgültig zu sein. Es gibt aber auch die Tendenz zu überreagieren und Probleme zu sehen, wo keine sind.

Es wird immer mal wieder beklagt, die Bevölkerung würde gleichgültig auf das NSA-Datensammlungsdrama reagieren. Locken Prism und Snowden tatsächlich keinen alten Hund hinter dem Ofen hervor und wird der Skandal entsprechend keine Konsequenzen haben?

Oder ist es vielmehr so, dass die Enthüllungen die Cloud-Industrie zerstören werden? Es kann nur eines von beiden sein.

In Utah, wo unsere Daten sind… (Bild: Wikipedia)

Das Problem scheint mir zu sein, dass das Misstrauen gegenüber amerikanischen Internet-Unternehmen massiv gewachsen ist. Die Verunsicherung ist gross – ebenso gross wie die Ratlosigkeit, was man tun könnte. Wer sich auch früher differenziert mit der Frage der Privatsphäre auseinandergesetzt hat, der hat sich längst schon Gedanken über seine Abhängigkeit von Google, Apple, Microsoft, Dropbox und Skype gemacht. Und zum einen festgestellt, dass man sich auch bei der Konkurrenz nicht unbedingt sicherer fühlt. Und ausserdem kapiert, dass sich die Entwicklung nicht einfach zur Epoche der lokalen Datenhaltung zurückdrehen lässt. Mit den vielen mobilen Geräten und der immer flexibleren Arbeitsweise geht es nicht komplett ohne die Cloud.

CA klingt wie NSA

Bei der Kummerbox-Korrespondenz mit den Lesern des Tagesanzeigers hatte ich es mit einigen Leuten zu tun, die in wilden Aktionismus verfallen sind – und nach jeder Sicherheitsempfehlung greifen, die (vernünftige und weniger vernünftige) Medien aussprechen. Da werden Cookies entfernt, Browser abgeklopft und der Windows-Ordner auf verdächtige Dateien untersucht. (Wir haben auch in der letzten Kummerbox-Live-Sendung darüber gesprochen.) Einer wollte sogar die Root-Zertifikate aus seinem Firefox löschen, weil ihm die verdächtig vorkamen und CA auch irgendwie nach NSA klingt.

Andere verlegen sich auf Galgenhumor:

Arbeiten Sie nun auch für die NSA bekommt man ein hohes Honorar? lol
Ihr Artikel Online-Visitenkarte für jedermann wäre ein Steilpass für die NSA, die haben dann weniger Arbeit, um die Leute zu identifizieren und überwachen…

Ich weiss zwar nicht, was eine about.me-Website der NSA oder einem anderen Geheimdienst nutzen sollte, zumal auf einer öffentlichen Website sinnvollerweise nur Informationen eingetragen, die jedermann sehen darf – also auch Geheimdienste.

Wie auch immer

Entsprechend ist anzunehmen, dass dort keine Informationen zu finden sind, die den hyperaktiven Geheimdiensten nicht schon längst über abgefangene E-Mails, per Social-Media-Profilen oder aus behördlichen Datenbanken in die Hände gefallen sind. Aber es hilft nichts.

Es wäre ja durchaus möglich, dass Leute wie die NSA trotzdem Nutzen daraus ziehen – wie auch immer…

Bei einigen ist das Vertrauen tatsächlich nachhaltig erschüttert. Das ist auch verständlich. Meine Antwort auf diesen Einwand ist wie folgt ausgefallen:

Irgendwie kann die NSA wahrscheinlich Nutzen aus jeglicher Online-Kommunikation ziehen… oder auch nicht. Denn wenn die Geheimdienste so erfolgreich wären, müsste jeglicher Terrorismus längst im Keim erstickt und Obama der Herrscher der Welt sein. Da wir keinen Schimmer haben, was die NSA wirklich treibt, sind derlei Überlegungen müssig.

Ich finde jedenfalls, dass wir wegen möglicher Missbrauchsgefahren nicht gleich das Internet aufgeben sollten. Ausserdem ist meine Empfehlung, bei dem Schutz der eigenen Daten nicht bei Phantomen wie den US-amerikanischen Geheimdiensten anzusetzen, sondern bei jeglicher Information zu überlegen, ob man die einem potenziell unsicheren Medium anvertrauen oder nur direkt preisgeben will.

lol

In dieser Diskussion jedenfalls soll der Leser das letzte Wort behalten…

In Bezug auf Terrorismus: Da ich mich im arabischen Raum sehr gut auskenne, muss ich, bei aller Traurigkeit, oft lachen! Aber das will ich hier jetzt nicht ausführen – lol – nur soviel, dass der Obama als der «Zauderer» in die Geschichte eingeht. Im Mittelalter hatten wir – glaub ich – auch mal einen Zauderer als König.»

(Die folgende Ergänzung ist nicht als Wort des Autors zu verstehen, das dem Leser das letzte Wort streitig macht, sondern bloss eine wortlos geäusserte Hörempfehlung zum Thema: Kulturgeschichte der Geheimdienste von SWR2.)

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