Blogpost heute mal mit Fussnoten

«The Kingkiller Chronicle» von Patrick Rothfuss ist eine Coming-of-age-Story, die aufgrund des magischen Personals an Harry Potter erinnert, aber eigenständige Wege beschreitet.

Harry Potter für Erwachsene, hatte Leo Laporte das Buch genannt. Ich hatte die Bücher von Frau Rowling gern gelesen, nachdem ich mich erst gegen die Lektüre gesträubt hatte. Mir gefielen die Figuren, vor allem manche Nebenfiguren, und wie die vielen Handlungsstränge geschickt ineinander verwoben sind. Manche Dinge gefielen mir wie dem Herrn Laporte weniger. Death Eater ist ein leicht bescheuerter Name, vor allem wenn man ihn wortwörtlich nach Deutsch übersetzt. Und die Zaubersprüche haben etwas von Gossenlatein. Wenn es so einfach wäre, könnte ich auch zaubern. Mein Lieblingsspruch wäre «Diarrhoeio!»¹. Logisch, mit dem hängt man jemandem Durchfall an.

Darum habe ich mich auf The Kingkiller Chronicle von Patrick Rothfuss gestürzt und mir die beiden bisher erschienenen Bände der Trilogie zu Gemüte geführt². Der Vergleich mit Potter entpuppt sich beim Lesen als oberflächlich. Die Parallele ist, natürlich, dass in beiden Büchern ein Zauberschüler im Mittelpunkt steht, und dass es sich um einen Bildungsroman oder eine Coming-of-age-Story handelt.

Das ist dann aber auch schon alles. Während Potter in unserer Welt spielt, bzw. sich die Potter-Welt mit unserer überlappt, hat sich Rothfuss eine eigene Welt ausgedacht, die The Four Corners of Civilization genannt wird. Das lässt an George R.R. Martin denken – Königsmörderchronik oder Kingkiller Chronicle erinnern zwangsläufig an den Kingslayer.

Auch Introvertierte können Helden sein. (Quelle alphacoders.com)

Ich wage zu behaupten, dass diese Geschichten eine Inspirationsquelle für Rothfuss waren. Er konnte sich aber erfolgreich von den Vorbildern befreien und hat ein eigenständiges Werk geschaffen, das nicht an den prominenten Vorbildern gemessen werden muss und auch nicht gemessen werden sollte. Die Ich-Erzählung der Hauptfigur mit dem etwas sperrigen Namen Kvothe erzählt, wie sie zu der Legende wurde, die sie heute ist – obwohl sie versucht, unerkannt in einem abgehalfterten Gasthaus namens Waystone Inn zu versauern.

Nach dem Mord an den Eltern, verübt durch die scheinbar aus einer Gruselgeschichte für Kinder entsprungenen Chandrian schlägt sich Kvothe als Waise in einer Stadt namens Tarbean durch, um sich dann zu der Universität am Omethi-Fluss durchzuschlagen, wo er, wie es sein Kindertraum war, ein Arcanist zu werden.

Die Zauberei fusst in den Naturgesetzen

Das ist eine Art Zauberer. Die Zauberei wird im Buch Sympathy genannt – was uns verrät, dass Autor Rothfuss ein Nerd sein muss. Die Zauberei gründet nämlich in physikalischen Regeln. Die Energie, die der Arcanist aufwendet, muss irgendwoher kommen. Wenn man keine Energiequelle zur Hand hat, dann zapft man seinen Körper an – was wiederum unerfreuliche Nebenwirkungen hat.

Der Held muss sich dann an der Magier-Uni behaupten. Er findet Freunde, macht sich Feinde, legt sich mit den Masters (Professoren) an und schwingt doch immer oben auf, weil er clever, geschickt, ein begnadeter Musiker und ein genialer Student ist. Er schwärmt für die flatterhafte Denna, die zugleich Hure und Heilige ist und muss mal halblegal und mal illegal seinen Lebensunterhalt verdienen. Denn – wir leben schliesslich in den Zeiten der Wirtschaftskrise – an der Universität gibt es happige Studiengebühren, deren Höhe eine Art Konvent von der Leistung und vom Betragen des Studenten abgeleitet.

The Kingkiller Chronicle hat mir anfänglich einiges abverlangt. Ich hätte das Buch beinahe beiseite gelegt³. Mir fällt es am Anfang eines neuen Buchs häufig schwer, mich in die Geschichte hineinzubegeben. Aber dieses Buch machte es mir besonders schwer, mit ihm warmzuwerden. Die Ich-Erzählung ist in eine Rahmenhandlung eingebettet, die sich langatmig und unspektakulär dahinzieht. Ist man dann in der eigentlichen Geschichte angekommen, dann ziehen sich wiederum die Beschreibungen des harmonischen Familienlebens dahin – bis (man ist fast geneigt «endlich» zu sagen) Kvothes Familie ausgelöscht wird und der Protagonist sich in die Welt aufmachen muss…

Keine Angst, es gibt keine rote Hochzeit

Ab dann hat die Geschichte ihre Höhepunkte. Das sind die poetischen Momente – die Rothfuss wunderbar einfängt. Kvothe ist ein sanfter Held und Rothfuss, so wäre meine Vermutung, ein Mann, der mit Action nicht allzu viel anfangen kann. Entsprechend gibt es keine rote Hochzeit und keinen erschütternden Verrat wie der des Severus Snape, sondern namentlich die wunderbare Szene in einer Taverne namens Eolian, bei der es Kvothe darauf anlegt, mit seiner Stimme und seiner Laute die Talent Pipes zu verdienen.

Rothfuss beweist, dass auch introvertierte Helden ihren Weg gehen können und legt eine Geschichte vor, die wegen ihrer Zwischentöne überzeugt. Klar, manchmal driftet sie ins Sentimentale und Pathetische ab – aber wirklich schlimm ist das nie. Der Detailreichtum, die sorgfältige Sprache – die dem Autor wichtig ist, zumal seine Figuren die wahren Namen der Dinge lernen müssen – und der liebevolle Umgang mit den Figuren und der Geschichte bringen mich dazu, mich auf den dritten Teil zu freuen. Der jedoch nicht vor 2015 erscheinen soll… Aber so ist das halt. Das Erwachsenwerden dauert so lange, wie es dauert. Und daran ist nicht zu rütteln.

Und übrigens: Eine Art Coming-of-age-Story, die ich neulich mit grossen Vergnügen gelesen habe, ist eine, in der auch ein mörderischer Clown vorkommt. Der heisst Pennywise und terrorisiert eine Kleinstadt namens Maine. Er wird von einer Gruppe ausgestossener Kinder bekämpft, die sich ihm dann in gesetztem Alter noch einmal stellen muss….

Fussnoten

1) Zugegeben, das ist eben gerade kein Gossenlatein. Laut Pons ist das lateinische Wort «Alvi profluvium». But that doesn’t prove my point.

2) In der Audible-Fassung: The Name of the Wind und The Wise Man’s Fear, gelesen von Nick Podehl. Seltsamerweise gibt es die Bücher noch in einer zweiten Aufnahme, gelesen von Rupert Degas. Ich habe mich gegen die entschieden, weil die beiden Bände jeweils zweigeteilt sind und man statt zwei Hörbüchern deren vier kaufen muss.

Ausserdem hat Podehl die jüngere Stimme, und das passt für diese Rolle einfach besser. Die deutschen Bücher gibt es unter dem Titel Der Name des Windes, Die Furcht des Weisen 1 und Die Furcht des Weisen 2.

Am Rand bemerkt: Diese Aufteilung von Büchern – wie man sie auch bei George R.R. Martins «Asoiaf» sieht – ist ein weiteres Beispiel von mangelndem Respekt gegenüber dem Kunden. Jedem Kunden ist klar, dass ein dickeres Buch teurer in der Herstellung ist, und darum zahlt man gern etwas mehr. Durch die Aufteilung in zwei Bände zahlt man aber nicht etwas mehr, sondern doppelt so viel. Die beiden Teile von «Die Furcht des Weisen» kosten bei Orell Füssli 41.90 und 35.90. Das englische Paperback gibt es für 17.90. Das sind 60 Franken mehr oder plus 460 Prozent. Sicherlich, die deutsche Ausgabe ist gebunden und die englische gibt es als Taschenbuch. Aber trotzdem beschleicht mich hier den Eindruck, dass man bei den deutschen Verlagen denkt, die Leser seien zu doof zum Rechnen…

3) Falls man ein auf dem iPhone gespeichertes Hörbuch wirklich beiseitelegen kann…

4) Wenn man davon absieht, dass Studenten, die gegen die Schulordnung verstossen, nicht nur mit Geld bestraft, sondern auch öffentlich ausgepeitscht werden. Diese atypische Erscheinung lässt sich jedoch leicht mit Rothfuss’ eigener Biografie als Englischprofessor erklären…

5) Ein vermeintlicher Verrat, wie wir wissen. Und: Gegen Ende des zweiten Bandes verrichtet Kvothe dann doch noch einen ziemlich grässlichen Akt der Selbstjustiz, den man als Anhänger von Recht, Ordnung und Zivilisation nicht gutheissen kann. Trotzdem sei dem Autor diese Wendung abgekauft. Auch sanfte Menschen können die Fassung verlieren.

6) Wenn man davon absieht, dass das Wort nonchalant viel, viel, viel, viel zu oft vorkommt!

7) Die Rede ist von Stephen Kings Es. Wer keine Lust auf Zauberstudenten hat, der sollte sich dieser Geschichte zuwenden. Ganz ohne Magie ist sie ihrerseits jedoch nicht. Sie enthält zwar den archetypischen Horror des bösen Clowns und spielt im Spannungsfeld zwischen der (gar nicht so) unschuldigen Jugend und dem abgebrühten, entzauberten Alltag der Erwachsenen.

Aber die Welt von Mike Hanlon, Ben Hanscom, Beverly Marsh, Stan Uris, Richie Tozier und Eddie Kaspbrak enthält auch viel Magie, die mal schrecklich und mal ermutigend ist…

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