Gesträubte Nackenhaare

Flickr präsentiert die Fotos auf neue, angeblich spektakuläre Weise. Die ist leider nicht sonderlich originell – gibt aber Anlass zu Überlegungen, wie man mit seinen öffentlichen Fotos verfahren möchte.

Flickr.com hat ein neues Layout. Es soll den Dienst «wieder grossartig» machen, sagte Yahoo-Chefin Marissa Mayer am Montag. Sie konnte da auch bekanntgeben, dass Yahoo die Bloggingplattform Tumblr eingesackt hat und war entsprechend guter Laune.

Ich freue mich, dass sich bei Flickr etwas tut. Ich bin seit bald sechs Jahren Mitglied und schätze den Dienst für Bilder, die ich für vorzeigungswürdig halte. (Meine privaten Fotos landen seit jeher bei Picasa. Aber dazu später.)

Nun gibt es bei Flickr weniger Text und mehr Platz für die Bilder – was ja per se nicht falsch ist. Auch die Idee, einzelne Bilder möglichst bildschirmfüllend und ohne Schnickschnack anzuzeigen, gefällt mir. Ebenso wie die Idee, Kommentare, Tags, Metadaten, Gruppenzuhörigkeit und andere Infos unterhalb des Bildes zu platzieren, sodass man erst sieht, wenn man entsprechendes Interesse zeigt und nach unten scrollt.

Flickrs neuer, chaotischer «Me Too»-Fotostream.

Die (laut Yahoo «spektakuläre») neue Darstellung des Fotostreams gefällt mir allerdings deutlich weniger. Die sieht fast genauso aus wie bei Google Plus, und bei der wiederum könnte man sich an 500px.com oder meinetwegen sogar an Pinterest erinnert fühlen. Das ist nicht kreativ, sondern «me too». Aber darüber kann man leicht hinwegsehen, wenn man sich vor Augen führt, dass man sogar als nichtzahlender Nutzer ein Terabyte Speicherplatz erhält – und jedes einzelne Foto nun bis 200 MB gross sein kann.

Das ganze private Fotoarchiv hochladen?

Da ist man tatsächlich geneigt, einfach mal sein ganzes Bildarchiv hochzuladen. Wer das tut: Bitte die Sichtbarkeit standardmässig auf privat stellen und nur die guten Bilder öffentlich machen – bei Flickr hat es nämlich schon jetzt mehr als genug Müll.

Flickr ist nicht tot, und das ist schon mal eine gute Nachricht.

Tot scheinen mir hingegen die Picasa Webalben zu sein. Wie eingangs erwähnt, nutze ich seit 2009 Googles Dienst für private Alben. Ich habe mich damals für Picasa entschieden, weil ich Flickr als Plattform für die ernsthafte Fotografie betrachtet habe, auf der man nur seine richtig guten Arbeiten ausstellt. Picasa ist seinerseits an die gleichnamige kostenlose Software gekoppelt, die sich an Fotoamateure richtet – und somit ist klar, dass bei Picasa die Latte niedriger liegt und man dort die Bilder hochlädt, die keinen künstlerischen Anspruch haben. Also Knispereien von Ferien, Familienfeiern und ähnlichen Anlässen, für die sich Angehörige, Freunde und Bekannte interessieren, nicht aber der Fotoliebhaber an sich.

Das private Archiv und das Portfolio trennen

Diese Trennung hat sich für mich bewährt und Picasa hatte auch viele Funktionen zu bieten, die mir für meine Dokumentationszwecke sehr entgegen kamen. Unter anderem die schöne Unterstützung für Geotags. So waren beispielsweise alle Fotos eines Albums auf einer Google Map ersichtlich.

Nun hat Google vor zwei Jahren seine Plus-Plattform gestartet und dort auch die Picasa-Webalben hineingestrickt. Dabei sind einige Dinge verloren gegangen, beispielsweise die Verwaltungswerkzeuge für die Alben. Dafür gibt es neu die Highlight-Übersicht.

In den Highlights werden doppelt vorhandene oder verschwommene Bilder und Bilder mit schlechter Belichtung eher in den Hintergrund gerückt und der Fokus auf Bilder mit Menschen, die Ihnen am Herzen liegen, Sehenswürdigkeiten und anderen positiven Attributen gelenkt. (Quelle)

Da sträuben sich mir die Nackenhaare. Man braucht diese Funktion nämlich nur, wenn man wirklich jeden Mist, also auch doppelte Bilder, verschwommene oder schlecht belichtete Bilder hochlädt. Klar, Google propagiert bei Google+ den Instant-Upload von Bildern.

Nicht jedes Foto muss aufbewahrt werden – und schon gar nicht ins Netz

Ich mag diesbezüglich konservativ sein. Ich bin nämlich nicht der Meinung, dass ich wirklich jedes Foto, also auch unscharfe, schlecht belichtete oder redundante Bilder ins Netz hochladen müsste. Ein bisschen Zuneigung darf man seiner Bildersammlung durchaus angedeihen lassen, selbst wenn die Bilder nur dazu da sind, das eigene Leben zu dokumentieren.

Das heisst: Schlechte, redundante oder nichtssagende Bilder soll man löschen. Bilder, die man gut findet, aber die nicht richtig belichtet sind, lassen sich in einer Bildbearbeitungssoftware korrigieren. Und wenn man Fotoalben hochlädt, dann sollte man seinem Publikum Respekt erweisen, indem man eine vernünftige Auswahl trifft und so viele Fotos wie nötig und so wenige wie möglich hochlädt.

So viel Mist, dass es eine Highlight-Funktion braucht?

Mit anderen Worten: Ich trauere dem alten Picasa nach¹, wo es in der Verantwortung des Fotografen lag, seinem Publikum ein schönes Angebot zu machen. Das heutige Paradigma, wo dank Google Glass sogar vor dem Urinal fotografiert wird, scheint mir auf eine Entwertung der Fotografie hinauszulaufen…

Fussnoten

1) Immerhin: Auch die alten Picasa-Webalben gibt es noch, auch wenn Google standardmässig zur Google-Plus-Ansicht weiterleitet. Es gibt aber einen einfachen Trick, diese Weiterleitung zu vermeiden. Dazu hängt man an seine Picasa-Adresse einfach den Parameter ?noredirect=1 an – macht in meinem Fall picasaweb.google.com/113699468766457346817?noredirect=1. Und so kann ich die heutige Tirade dennoch einigermassen versöhnlich ausklingen lassen…

One thought on “Gesträubte Nackenhaare

  1. Ich benutze Picasa als Behälter für alle Fotos unserer Schule – ich hoffe es bleibt uns noch etwas erhalten! Google würde die Bilder am liebsten zu Google+ zügeln (und macht es ja auch). Hinter unserem Schulaccount steht aber kein realer Name, was das Einrichten einer Google+-Seite verunmöglicht. Mit meinem persönlichen Account möchte ich den Schulaccount natürlich nicht zusammenführen. Irgendwie ist das Ganze etwas knorzig (tja, mein Geschreibsel wohl auch)…

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