Mal kurz die Welt retten

Ich bin kein Fan von DRS3s Spendenwoche «Jede Rappe zellt»: Sie ist zu aufdringlich und fängt nach einer halben Stunde brutal an zu nerven.

Die heutige Ausgabe des Tagesanzeiger hat es in sich: Ein toller Kommentar von Constantin Seibt unter dem Titel «Die Blochers, unsere Oligarchen». Die schöne Anleitung «So werden Sie Bundesrat» von Jean-Martin Büttner. Und die hervorragende Spitze von Peter Aeschlimann gegen die seltsame Spendentätigkeit von SRF: «Die Glashaus-Gang predigt wieder». Da macht Zeitungslesen nicht nur Spass, sondern auch intelligent.

Jingle-Geklingle

Dieses JRZ oder «Jeder Rappen zählt» geht mir wahnsinnig gegen den Strich. Über diverse Teaser in den letzten Wochen wurde das Publikum eingestimmt, und jetzt mit allen radiofonischen Mitteln Emotionen generiert. Adrian Stern singt, herzergreifend. Nik Hartmann seift die Leute ein (gekonnt, wie man anerkennen muss). Die Promis geben sich die Klinke in die Hand. Und das Publikum liket die Veranstaltung via Facebook.

Denn «wir wollen sein ein einig Volk mit Hühnerhaut», wie es Aeschlimann ausdrückt. SRF mit Müttern in Not das drittemotionalste Thema ever ausgesucht. (Mehr Hühnerhaut und Ergriffenheit auslösen könnte man nur mit Babys in Not und, Achtung, bitte anschnallen, Welpen in Not.) Gefühlsaufwallung wird in Spendenbereitschaft umgemünzt und jede Meldung über eingegangene Beträge wird ab Jinglemaschine mit einem Kassenklingeln unterlegt.

Jeder Grappa zählt.

DRS3 und SF2 berichten über ein Ereignis, dass sie selbst geschaffen haben und zelebrieren sich gleich mit. Die selben Leute, von denen die Hörerschaft sachliche Informationen und journalistische Distanz erwartet, verfallen punkt Sendebeginn in Euphorie über sich selbst und ihr Tun. Und es gibt ein seltsames Ritual, das die drei Moderatoren zwingt, eine Woche lang nichts Richtiges zu essen und die Glasbox nie zu verlassen.

Das ist, nüchtern betrachtet, befremdlich und bizarr. Aber es ergibt entfernt einen Sinn, wenn man es als Zeremonie einer «gebührenfinanzierten Freikirche» ansieht (Aeschlimann). Oder als Event inszenierte Weltrettung (Weltwoche).

Propaganda im Gutmenschen-Mäntelchen

Ich mag mich davon nicht anstecken lassen. Ich wünsche mir den trockenen Roland Jeanneret zurück, den man an klassischen Glücksketten-Sammeltagen hört, die dann geschaltet werden, wenn eine Naturkatastrophe es erfordert. Es stört mich, dass das mit Gebührengeldern finanzierte SRF mit Tausenden von Sendeminuten die anderen Hilfswerke konkurrenziert. Und ich will mich auch nicht der Ansicht beugen, dass der gute Zweck solchen Klamauk rechtfertigt. Propaganda bleibt was sie ist, auch wenn sie sich ins Gutmenschen-Mäntelchen hüllt.

2 Kommentare zu «Mal kurz die Welt retten»

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