Schwach, Google, ganz schwach

Wave, das mit so viel Pomp erst vor Kurzem lancierte Prestige-Projekt, wird schon wieder eingestellt.

Nun zieht Google bei der Wave den Stecker:

We don’t plan to continue developing Wave as a standalone product, but we will maintain the site at least through the end of the year and extend the technology for use in other Google projects.

Weil Googles Erwartungen nicht erfüllt wurden – und das Produkt nicht innerhalb eines Jahres E-Mail und sämtliche anderen Kommunikationsmittel vom Angesicht der Erde gefegt hat:

But despite these wins, and numerous loyal fans, Wave has not seen the user adoption we would have liked.

Bei Google, dem Milliarden-Unternehmen, treten manchmal erschreckend kindische Züge zutage. Die Wave nach so kurzer Zeit zu beerdigen, ist eine infantile Trotzreaktion: «Ihr liebt unsere Wave nicht – also machen wir sie kaputt.» Vielleicht ist es einfach nur dumm.

Wave ist bzw. war bei uns im Einsatz für die Planung des Digitalmagazins von Radio Stadtfilter.

Ich nutze die Wave gern und in verschiedenen Bereichen. Für die Themenplanung beim Radio oder bei der Zeitung ist sie das beste Mittel. Sie ist zweifellos noch recht «buggy» und längst nicht ausgereift, aber sie hat grosses Potenzial. Aus der Wave könnte was werden – aber dafür müsste Google nicht schmollend in der Ecke hocken, sondern Hand anlegen.

Eins ist jedenfalls sonnenklar: Wenn Googles Erwartungen nach nur gut einem Jahr (der offizielle Vorstellungstermin der Wave war der 27. Mai 2009) nicht erfüllt sind, dann liegt das nicht an den dummen, ignoranten Nutzern, sondern Googles falschen Erwartungen.

Wave erschliesst sich dem Nutzer nicht sofort

Als Anwender braucht man Zeit herauszufinden, wie man ein neues Werkzeug am besten einsetzt. Man wird nicht sofort seine ganze Arbeitsweise umkrempeln, sondern das Werkzeug schrittweise adaptieren. Und natürlich will man auch sehen, wie es sich entwickelt.

Das tut man mit gutem Grund: Es gab sehr viele Abstürze mit der Wave – bei unserer Stadtfilter-Shownote-Wave konnte man kaum einen Klick tun, ohne dass die lustige Fehlermeldung kam, die einem den Reload der Seite nahe legte. Das wiederum, als kleine Randbemerkung, könnte einen natürlich auch zum Schluss führen, dass es technische Probleme gibt, die Google nicht lösen kann – und dass man nun vor diesen kapituliert.

Wie auch immer; Google redet die Sache wie folgt schön:

Wave has taught us a lot, and we are proud of the team for the ways in which they have pushed the boundaries of computer science.

«B.S.», wie der Amerikaner sagt (= «Bullshit» oder zu deutsch «Stierkacke»… naja: Blödsinn).

Lernen sollte daraus vor allem der Google-Nutzer eine ganze Menge: Man tut gut daran, bei neuen Google-Produkten mindestens ein, zwei Jahr abzuwarten, wie sie sich entwickeln. Bei Googles Stimmungsschwankungen könnte es sonst passieren, dass man mit ganz kurzen Hosen dasteht. Und Google… naja, wenn man bei Google bereit wäre, wirklich was zu lernen, dann vielleicht das: Auf diese Weise wird es mit der Cloud nichts werden.
Das Wave-Ende ist, natürlich, ein gefundenes Fressen für die Skeptiker der Cloud.

Vertrauen ist wichtiger als alles andere

Zu Recht. Beim Cloud-Computing sind Verlässlichkeit, Vertrauen und Beständigkeit wichtiger als alles andere. Wer ein Geschäft oder eine private Tätigkeit auf ein solides Fundament stellen will, wählt sich keinen kindischen Trotzkopf und auch keinen bipolaren Experimentalinformatiker als Partner. Wahrscheinlich landet man halt wieder bei Microsoft und Office. Die leben zwar hinter dem Ofen, aber dafür können die Durststrecken ganz gut aushalten.

Und wenn Google schon irgendetwas hat einstellen wollen, wieso dann nicht dieses unsägliche Buzz?

4 Kommentare zu «Schwach, Google, ganz schwach»

  1. Immerhin sind große Teile der Technologie Open Source und das Protokoll offen, es kann also jeder Interessierte Wave weiterentwickeln. Ich denke auch, dass es schlicht zu kompliziert für Normalanwender war.

  2. äh, gab es überhaupt schon einen kompletten Start für die Wave? Man kam doch nur über Einladungen überhaupt rein – Wie soll sich das System also auf breiter Masse durchsetzen?

    Ich hatte wirklich gehofft, dass Wave ein neues und gutes Tool werden könnte um Sendungen (Podcasts-Folgen z.B.) zu planen und ggf. auch während einer Sendung Kontakt zu den Hörern zu bekommen etc.
    Dafür hatte ich immer darauf gewartet, dass es native Anwendungen geben würden, welche die Wave auch cachen können um schneller durch die älteren Beiträge zu gucken, um etwas schneller umsortieren zu können etc.
    Im Browser selbst fand ich es immer zu träge und zu umständlich/unübersichtlich/undurchschaubar

    Nun wird es also eingestellt noch bevor es überhaupt richtig gestartet ist. Schade.

    Verlässlichkeit in der Cloud: Da sprichst Du ein großes Wort. Ich bin diesbezüglich auch nicht so ganz glücklich mit Google. Bis jetzt planen wir die Happy Shooting Folgen mit dem Google-Notebook. Die Weiterentwicklung ist hierbei schon vor längerer Zeit eingestellt worden und das praktische Firefox-Plugin läuft nur weiter, solange nette Anwender die Versionsprüfung immer wieder anpassen… irgendwann wird es nicht mehr funktionieren weil es vielleicht nicht mehr zum aktuellen Browser/html/rendering kompatibel ist, wer weiß.
    Es gibt nur, bis heute, keine Alternative zum Google-Notebook die denselben praktischen Workflow erlaubt:
    – Irgendetwas im Web markieren, rechte Maustaste -> Notiz erstellen (landet im zuletzt benutzten Notebook)
    – Notebook im Plugin öffnen (nachdem man zig Texte hinein geschoben hat) und per Drag&Drop die Reihenfolge ändern, Notizen ergänzen etc.

    Evernote kommt nahe ran, kann aber keine freie Reihenfolge, obwohl das seit Jahren gewünscht wird.

    Ich suche also weiter…

  3. ich seh das ein bißchen anders. Wave ist in mancherlei Hinsicht revolutionär, bricht mit vielen der alten Paradigmen und ordnet sich nur schwer in der Landschaft der vorhandenen Kommunikationsplattformen ein. Ich nehme mal an, daß Google einen ganz guten Überblick darüber hat, wie Anwender Wave nutzen. Ich habe den Eindruck, der Mehrheit der Anwender ging es wie mir: reingeschaut, verwirrt, vom Zusatznutzen nicht überzeugt und auch keine Nische im Kommunikationsverhalten dafür gefunden, also blieb es bei ein, zwei Waves und das war’s dann. Vielleicht kann das Ding einfach zu viel.
    Dann gab es offenbar ein paar Menschen, die sich massiv an öffentlichen Waves beteiligt hatten, die bald in Übersichtlichkeit und Qualität von den schlimmsten Threads des newsnet nicht mehr zu unterscheiden waren. Es zeigte sich: das Wave Web Frontend ist gänzlich ungeeignet, um größere Informationsmengen strukturiert darzustellen. Mehr noch, es verleitet dazu, völlig unstrukturiert zu sein.
    Ich halte das Wave Protokoll und den Server im Backend für den stärksten Teil von Wave, ich bin mir nicht ganz sicher, ob Google die client API jemals komplett veröffentlicht hat (und ich meine nicht die für Snapins sondern die für Client-Server Kommunikation). Es ist aber auffällig, daß offenbar keine stand-alone Clients für Wave existieren.
    Ich denke, nein, ich hoffe, daß das Wave Backend erhalten bleibt und völlig in den Open Source Pool gegeben wird, da ist viel wertvolle Technologie drin. Das Frontend, obwohl es offenbar ein paar Freunde gefunden hat, wird nur von einer verschwindenden Minderheit vermisst werden. Für die ist es natürlich dennoch schade.

    Google hat sich halt nur halb an das Open-Source Credo “Release Early, Release Often” gehalten. Wave wurde sehr früh freigegeben und danach gab es keine großen Veränderungen mehr daran.

    Schade? ich weiß nicht.
    Absehbar? leider ja.

    pj

  4. Gutes Stichwort: Weitersuchen. Ich bin auch ein vom Google-Notebook Vertriebener. Ich bin bei Evernote gelandet, damit aber nicht so richtig glücklich. Die Organisation der Notizen ist nicht so das Wahre und auch mit Memonic.com werde ich nicht richtig warm. Ich werde mir mal OneNote ansehen, vielleicht ist das mit dem Wurmfortsatz in die Cloud auf http://office.live.com brauchbar.
    Am besten fände ich Niklas’ Ansatz; eine Weiterentwicklung jenseits von Google. Ich habe habe aber meine Zweifel, ob jemand diese heisse Kartoffel in die Finger nimmt…

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