Das Unmögliche ausloten

«Frequently Asked Questions About Time Travel», «Dark City», «Divergent», «Mr. Nobody» und «Upside Down»: Vier Filme, die in alternativen Realitäten spielen.

Zeitreisegeschichten, alternate realities und nicht lineare Erzählweisen faszinieren mich seit ich Karl May entwachsen bin. Nicht, dass ich nicht auch Freude an einer geradlinigen Story hätte. Aber da Realität für uns Menschen halt nun einmal das ist, was unser Gehirn daraus macht, ist IMHO unvermeidlich, die Möglichkeiten des Daseins auszuloten, wenn eine Geschichte aus der engen Alltagssicht ausbricht. Und zwar auf klügere Weise, als dass am Schluss irgendein Gebäude in die Luft fliegt, das in Wirklichkeit noch steht.

Mr. Nobody: Das «Was wäre, wenn» bei den Hörnern gepackt.

Seit Back to the Future liebe ich Geschichten wie Inception, Memento die entweder nur auf der Erzählebene oder auch auf der Handlungsschiene unerwartete Abzweigungen nehmen. Das ist nicht immer gelungen – Donnie Darko liess mich unbefriedigt zurück. Ebenso Mulholland Drive, der auf der Erzählebene ungewöhnliches tut.

Hier einige Tipps über Filme und Serien, die sich um die Reality distortion verdient gemacht haben, ohne zur absoluten Spitzenklasse zu gehören – jene Streife sammle ich für the one and only Blogpost, der das Thema dereinst umfassend und abschliessend behandeln wird:

Frequently Asked Questions About Time Travel

(Amazon) Ein Film mit Chris O’Dowd, der für The IT Crowd unschätzbares geleistet hat und hier als Nerd in Erscheinung tritt, der das Pech hat, auf dem Pissoir eines Pubs in eine Spalte im Raum-Zeit-Kontinuum zu geraten. Es beginnt ein wildes Springen durch die Zeit, dem auch die Zeitleck-Beseitigerin Cassie nur bedingt Einhalt gebieten kann. Ein amüsanter Streifen, der etwas unter der gar löcherigen Story und des leider zu knapp bemessenen Budgets leiden – die Spezialeffekte sehen dann doch etwas amateurhaft aus. (Vielleicht sind die von Doctor Who abgehärteten Briten diesbezüglich aber auch einfach weniger empfindlich als ich.

Das Wurmloch lauert auf dem Pissoir.

Dark City

(Amazon) Der Film fängt albtraumhaft an: Ein Mann erwacht ohne Gedächtnis und muss sich gleich aus dem Staub machen. Er wird eines Verbrechens beschuldigt, doch die Sache wird schnell verworren, indem sich die Stadt um John Murdoch ständig verändert und sogar die Bewohner mit ihren Biografien immer wieder anders konfiguriert werden. Wie bei Matrix haben «die Fremden» ihre Finger im Spiel, die durch Experimente versuchen, der menschlichen Natur auf die Schliche zu kommen.

Das ist eine spannende Ausgangslage, denn wie will man Geschehnissen auf die Spur kommen, wenn nichts bleibt, wie es am Tag vorher war? Trotzdem – und obwohl er optisch ein Genuss ist, hat mich dieser Film nicht wirklich gepackt. Die Ausgangslage war für mich zu abstrakt und zu künstlich, um mir eine Identifizierung und Halt in der Erzählung zu bieten.

Das ist denn auch die grosse Herausforderung bei solchen abstrakten Gedankenexperimenten: Sie müssen, gerade weil sie sich ausserhalb unserer normalen Erfahrungswelt bewegen, uns auf der emotionalen Ebene packen und uns als Zuschauer stark an den oder die Protagonisten fesseln – sonst springt der Funke nicht über.

Divergent

(Amazon) Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Veronica Roth, der mir von Audible ständig unter die Nase gerieben wird, weil er offenbar ideal zu meinen Hörgewohnheiten passt. Ich habe ich aus mehreren Gründen bislang aber nicht weichklopfen lassen. Erstens stehe ich aus Gründen diesen Vorschlägen inzwischen misstrauisch gegenüber. Zweitens erinnert der Film sehr ans Buch «Red Rising», das mich nicht überzeugte – es geht nämlich um eine dystopische Gesellschaft, die die Menschen nach Persönlichkeitsmerkmalen in Kasten einteilt. Drittens erinnerte mich das Buch aber auch an die «Hunger Games», weil es zu Kämpfen gezwungene Jugendliche ins Zentrum rückt, die mir aber wiederum gefallen haben.

Darum habe ich den Film für diesen Blogpost berücksichtigt. Mit dem Resultat, dass ich mich gut unterhalten gefühlt habe, die Geschichte nun aber nicht als repräsentativ für die realitätsverzerrenden Werke in Betracht ziehen würde: Ein bisschen Dystopie reicht dafür nicht aus!

Cloud Atlas

(Amazon). Der teuerste Independentfilme bis 2012 sagt, dass unsere Leben nicht uns gehören, denn «von der Wiege bis zur Bahre sind wir mit anderen verbunden, in Vergangenheit und Gegenwart und mit jedem Verbrechen und jedem Akt der Güte erschaffen wir unsere Zukunft».

Das zeigt sich im Film so, dass die immer gleichen Figuren in verschiedenen Konstellationen auftreten – mal im London der Gegenwart, dann wieder im England der Zwischenkriegszeit, im kolonialen Afrika des vorletzten Jahrhunderts, in einer Zukunft, in der der Kapitalismus den Endsieg errungen hat – und in einer sehr fernen Zukunft, in der die Zivilisation untergegangen ist und die Menschheit neu anfangen musste.

Tom Hanks mal so, mal anders – und immer sich selbst.

Das ist – auch wenn man nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt – eine tolle Ausgangslage. Die Geschichte lebt von den hervorragenden Schauspielern und den raffinierten Masken, in denen man sie erst wiedererkennen muss. Tom Hanks zum Beispiel, der nun nicht zu meinen absoluten Lieblingen zählt, spielt die Aggression des schottischen Autors Dermot Hoggins mit einer physischen Präsenz, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Auch die Kulissen sind beeindruckend.

Der Film ist wegen seiner komplexen Struktur aber kein entspannendes Vergnügen. Es braucht Konzentration, um die sechs Handlungsstränge und zumindest die wichtigsten Figuren im Kopf zu behalten, zumal manchmal von Szene zu Szene der Schauplatz gewechselt wird. Das ist ambitioniert und eine (unvermeidliche) Zumutung für den Zuschauer – die man womöglich hätte abmildern können, indem die einzelnen Ebenen nicht gar so eng ineinander verzahnt.

Mr. Nobody

(Amazon) Dieser Film packt die «Was wäre wenn»-Frage bei den Hörnern. Er lotet aus, wie sich ein Leben durch Entscheidungen für dies oder jenes verändert – und in wenigen Sekunden einen komplett anderen Verlauf nimmt. Nemo Nobody – der Name ist etwas gar dick aufgetragen – muss als neunjähriger Junge am Bahnhof wählen, ob er mit seiner Mutter mitgeht oder beim Vater bleibt.

Wie sich sein Leben entwickelt, hängt dann vor allem auch ab, für welche von drei zur Auswahl stehenden Frauen er sich entscheidet. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des 118-jährigen alten Mannes, der nun sein Leben überblickt und irgendwie direkt mit seinem jüngeren Ich kommunizieren kann.

Dieser Plot rührt am Kern, was uns Menschen ausmacht: Denn wir sind uns bewusst, dass unsere Entscheidungen Konsequenzen haben. Und währen es zwar Leute gibt, die von sich behaupten können, überhaupt nie zurückzublicken und nichts zu bereuen, so sind die meisten von uns durchaus in der Lage, hinterher klüger zu sein und Fehler in ihrem Leben als solche zu erkennen.

Darum ist das ohne Zweifel ein wichtiger Film – letztlich aber leider nicht vollends gelungen. Gerade wegen der philosophischen Tiefe hätte mich mir eine leichtere, lockerere Umsetzung ohne die bedeutungsschwangeren Anspielungen an die Chaostheorie und den Schmetterlingseffekt gewünscht. Und auch etwas kürzer hätte der Film ausfallen können – am liebsten ohne den 118-jährigen Nemo Nobody, dessen Maske leider auch nicht so wirklich überzeugt hat.

Upside Down

(Amazon). Zwei Zwillingsplaneten kommen sich so nah, dass sie sich fast berühren und ein Übertritt von der einen Welt in die andere möglich ist. Es gibt sogar ein Gebäude des kapitalistischen Grosskonzerns TransWorld, das auf beiden Planeten fusst. Trotz der Nähe der Planeten gibt es eine strikte Trennung zwischen den Völkern von «oben» und «unten». Unten sind die Arbeiter, die kaum Rechte geniessen und nur schlecht durchs Leben kommen. Oben herrscht eine entspannte Leichtigkeit des Seins.

In diesem wunderbaren Szenario von unterschiedlichen Schwerkräften, wo Materie – und damit auch die Menschen – vom einen Planeten auch dann von ihrem Heimatplaneten angezogen wird, wenn sie sich auf dem anderen Planeten befindet, entwickelt sich eine unmögliche Liebesgeschichte. Adam und Eden (Kirsten Dunst) klettern auf ihren jeweiligen Planeten die Spitze eines Berges und kommen sich sehr nahe – wortwörtlich und im übertragenen Sinn. Die Geschichte ist ein modernes Märchen, das mit den Naturgesetzen Schabernack treibt und dem Zuschauer auch optisch immer wieder ein surreales Kitzeln versetzt…

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