Mit einer Billion Dolllar die Menschheit retten

«Eine Billion Dollar» von Andreas Eschbach ist eine schlaue Reflexion über das exponentielle Wachstum, eine subtile Kapitalismuskritik und eine unterhaltsame Lektüre.

Andreas Eschbach (siehe auch: Was Nerds lesen) ist ein kluger Autor. Er begnügt sich nicht damit, halbgare Plots in Explosionen und Schiessereien aufzulösen. Nein, er nimmt sich schwer fassbare, abstrakte Themen vor und denkt sie bis zum bitteren Ende. Damit segelt er definitiv nicht auf dem Mainstream. Aber weil er die Klaviatur des Thrillerschreibens einwandfrei beherrscht, kommen trotzdem lesbare und spannende Schinken dabei heraus.

Johann Jakob Fugger hat einen Gastauftritt im Buch. (Bild: Christoph Amberger)

Ich habe, noch im alten Jahr, Eine Billion Dollar als Hörbuch verschlungen. John Salvatore Fontanelli ist Pizzabote und ein sympathischer Nixblicker, der unversehens zum reichsten Mann der Welt wird. Nicht nur das – er wird auf einen Schlag um ein Vielfaches vermögender als die hundert bisher reichsten Männer der Erde. Das verdankt er einem Vorfahren, der vor 500 Jahren ein kleines Vermögen angelegt hat. Das wuchs dank Zins und Zinseszins zu einer Billion Dollar heran.

Verknüpft mit dem Vermögen ist die Verheissung, dass der Erbe dieser Billion die Menschheit retten. Was das bedeuten soll, weiss Fontanelli nicht. Und auch die Verwalter des Erbes, die Florenzer Anwälte des Vacchi-Clans, können ihm nicht weiterhelfen. So lernt Fontanelli, was es heisst, ein reicher Mann zu sein. Er prasst und prunkt, kauft Ferraris und Yachten.

Und lässt sich von McCaine einlullen. Der wusste schon viel früher als Fontanelli von dem Geldsegen, und er hat sich viele Gedanken gemacht, wie die Menschheit zu retten wäre. Die Idee McCaines ist, das Vermögen noch zu mehren und zu einem kapitalistischen Dominator zu werden, dem sich auch die globalen Super-Unternehmen beugen müssen. So liessen sich dann schon die fürs Überleben der Menschheit notwendigen Massnahmen durchsetzen… Aber natürlich ist McCaine ein ganz normaler Kapitalist – sogar einer, mit einem grossen Talent für Ausbeutung und skrupellose Machtausübung.

Mit einer Billion die Menschheit retten

Lässt sich mit einer Billion Dollar die Menschheit retten? Muss die Menschheit überhaupt gerettet werden? Und wenn ja, wovor? Für den Autor Eschbach liegt die Antwort auf die zweite und dritte Frage auf der Hand. Er, der mit seinem Zinseszins-Kniff ein drastisches Beispiel für den exponentiellen Irrsinn gefunden hat, kann es mit dem ungebremsten Wachstum nicht weitergehen. Immer mehr Menschen mit immer grösseren Ansprüchen führen zwangsläufig zu Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen, zu unerträglicher Armut, zu einer irreparablen Schädigung der Umwelt.

Die Antwort auf die erste Frage zu finden, das ist die quälende Bürde, die John Fontanelli auf die Schultern gelegt wurde. Es ist nicht zu viel gespoilert, wenn ich hier verrate, dass er nach einer langen Odyssee eine überzeugende Antwort findet und für sie den ultimativen Preis bezahlt. Die Odyssee führt ihn durch die Abgründe der Hochfinanz und der scheinheiligen Rituale der Politik. Sie konfrontiert ihn mit Luxus-Exzessen und der menschlichen Gier, die Familien und Freundschaften zerstört.

Er wird schonungslos mit den Konsequenzen seines Tuns konfrontiert, erlebt nach einer Entführung in einem delirierendem Horrortrip die bittere Armut der Slums von Mexiko und erfährt, dass Reichtum zwar gegen aussen sämtliche Defizite der Persönlichkeit zu übertünchen vermag, doch dass kein Geld der Welt das Brennen des Schamgefühls löscht, wenn man den eigenen Erwartungen nicht genügt. Oder denen eines geliebten Menschen, der im Fall von John Fontanelli durch die Leipzigerin Ursula Valen verkörpert wird.

Wachtsums- und Kapitalismuskritik

Eschbach übt faktenreiche und überzeugende Kritik an Wachstum und am Wachstumsglaube. Er legt die zerstörerischen Konsequenzen des unkontrollierten globalen Kapitalismus dar. Und er zeigt – noch vor der Euro- und Schuldenkrise – einige grundsätzliche Fehler unseres Wirtschaftssystems. Das sind die wichtigsten Fragen unserer Zeit.

Heute, in Zeiten von Flüchtlingsdramen, schärfer werdenden Verteilungskämpfen und ideologischen Grabenkämpfen sind sie noch drängender als 2001, als das Buch geschrieben wurde. Es ist eine grossartige Leistung von Eschbach, Wirtschaftstheorie, Umweltschutz, Politik, Zinsrechnung und viele weitere trockene Zutaten zu einer Geschichte zusammenzufügen, die mit ganz wenig Pulverdampf und Blutvergiessen auskommt und trotzdem hochspannend und kurzweilig ist. Die grösste Kritik übe ich an der Hauptfigur. John Fontanelli ist zwar sympathisch, aber manchmal so antriebslos und naiv, dass man ihn schütteln möchte.

Klar, dieses Charakterelement ist zwingend notwendig, damit Eschbach seinen langen Handlungsbogen mit allen Irrungen und Wirrungen hin bis zur wethepeople.org (nicht zu verwechseln mit wethepeople.org) spannen kann. Trotzdem übertreibt er es manchmal ein wenig – bei der Sache mit dem von McCaine initiierten Testament wäre auch der aller-blauäugigste Pizzaboten früher misstrauisch geworden. Unglaubwürdig fand ich auch die Tatsache, dass es der Vacchi-Clan es über 500 Jahre geschafft hat, eine Rendite von vier Prozent auf das ihnen anvertraute Vermögen zu erzielen. Immerhin lagen zwei Weltkriege und mehrere Weltwirtschaftskrisen in dieser Zeit. Aber sei es drum. Das Buch ist beste Unterhaltung und ein hervorragender Anreiz darüber nachzudenken, wie sich die Menschheit aus den Fängen dieser geld- und giergetriebenen Wirtschaft befreien könnte…

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