Zum Glück haben wir heute schöne Browser

Früher war nicht alles besser. Die Programme, mit denen wir im Netz gesurft haben, sind ein Beispiel: Vor zehn – oder gar zwanzig – Jahren waren sie hässliche Blähware, mit der man heute nicht mehr würde arbeiten wollen.

Vor einem Monat feierte Netscape Navigator seinen zwanzigsten Geburtstag. Vor genau einer Woche war der zehnte Geburtstag von Firefox. Das habe ich zum Anlass genommen, um in meinem Archiv nach Browser-Screenshots zu suchen.

Netscape-Gründer Marc Andreessen musste sich dem Internet Explorer geschlagen geben. Er ist heute Investor und sitzt im Aufsichtsrat von Facebook.

Was ich gefunden habe, brachte mich zur Einsicht, dass ich, falls ich jemals eine Zeitreise machen darf, entweder in die Zukunft reisen werde. Oder aber so weit in die Vergangenheit, dass ich nicht zufällig einem dieser alten Browser begegne. Weil: Das geht gar nicht!

Firefox: schöner über die Jahre…

Firefox war mir am 27. September 2004 schon im Preview release einen «Tipp der Woche» unter dem Titel Web-Pirsch mit Feuerfuchs wert:

Firefox ist aufs Alter nur schöner geworden. Das gilt auch für die Tagi-Website. Und was die Blogger angeht: Die haben heute noch immer die genau gleichen Probleme wie im September 2004.

Firefox bietet die Stärken des Netscape-Browsers (fast) ohne dessen Schwächen. Der Internetfuchs basiert auf dem öffentlich zugänglichen Programmcode von Netscape. Die Entwickler hatten den Mut, das Programm aufs Wesentliche zu reduzieren: das Surfen. Viele der Komponenten aus Netscape/Mozilla fehlen in Firefox. Das stört aber nicht. Kaum ein Surfer benötigt den Composer, das Bearbeitungsprogramm für Webseiten. Viele Netscape-Benützer verwenden zum Mailen nicht das in Netscape integrierte Modul – so verkommt es zum überflüssigen Ballast, den der Feuerfuchs nun abgeworfen hat.

Die Highlights von Firefox sind das Surfen mit Reitern: Statt als neues Fenster erscheint eine Website im vorhandenen Fenster und kann über eine «Lasche» am oberen Bildschirmrand geöffnet werden: Befehl für einen neuen, so genannten Tab ist Datei > Neuer Tab.

Der Benutzer erhält über Extras > Einstellungen > Datenschutz genaue Informationen darüber, wie der Browser das Surfverhalten protokolliert, und kann die Aufzeichnungen auch löschen. Firefox kann schon beim Start mit nützlichen Erweiterungen ausgestattet werden. Das Modul Sage integriert eine Leiste mit RSS-Feeds. Über Ansicht > Sidebar > Sage sind damit automatisch aktualisierte Nachrichtendienste abrufbar.

Das in Netscape und Mozilla integrierte Mail-Modul wird unter dem Namen Thunderbird zu einem eigenen E-Mail-Programm entwickelt. Dieses ist noch im Entwicklungsstadium und mit Vorsicht zu geniessen. Soweit abzusehen ist, wird auch Netscape Mail von der Eigenständigkeit profitieren und als Thunderbird einen zweiten Frühling erleben.

Netscape: langes Siechtum, einsamer Tod

Netscape war vor zehn Jahren schon tot. Die Version 6 war eine bare Katastrophe. Sie liess viel lange auf sich warten und konnte dem immer populärer werdenden Internet Explorer nicht das Wasser reichen – da half aller Goodwill nichts, wie meine Besprechung im Beitrag Gut gerüstet für die Aufholjagd? (20. November 2000) darlegte:

Netscape als typische Websuite, zu der auch ein Mail-Modul gehört. (In dem ich eine wichtige Versuchsreihe abgehalten zu haben scheine.)

Seit dem letzten grossen Update auf die Version 4 sind fast dreieinhalb Jahre verstrichen. Seither hat es kleinere Aktualisierungen gegeben, doch keine grundlegenden Erweiterungen. Konkurrent Microsoft hat diesen Dornröschenschlaf genutzt und viel Terrain erobert: Inzwischen surfen rund 86 Prozent mit dem Internet-Explorer; der Anteil des früheren Marktführers liegt bei etwa 13 Prozent. «Wir wollen Marktanteile zurückgewinnen!», bekräftigt der Browser-Verantwortliche bei Netscape, Sol Goldfarb. Dazu will die AOL-Tochter zehn Millionen Software-CD-ROMs unters Volk bringen. (…)

Netscape 6 erhält als Open-Source-Projekt zu Recht eine Menge Sympathien, ebenso durch das getreue Einhalten der Web-Standards und die modulare Konstruktion. Dennoch geben nicht diese Faktoren den Ausschlag über Erfolg oder Misserfolg des neuen Browsers: Allein die besseren Funktionen werden die Surfer zum Umstieg bewegen. Netscape 6 hat einiges zu bieten: Die Möglichkeit, die Optik des Browsers beliebig anzupassen, ist raffiniert. Das Mailprogramm kann – endlich! – mehrere E-Mail-Konten verwalten, und die Seitenleiste ist leistungsfähiger als ihr Pendant bei Microsoft. Leider bleibt der Browser alten Schwächen treu: Er startet langsam und ist auch während des Betriebs keine Rennmaschine – schnell ist Netscape 6 vor allem, wenn es abzustürzen gilt.

Und als Version 7 nach langer Wartezeit erschien, war mein Fazit im Beitrag Keine Killerinstinkte (9. September 2002) das Folgende:

Netscapes beste Funktion ist die schnelle Websuche via Pop-up-Menü: Hat der Surfer auf einer Webseite ein Wort gefunden, nach dem er suchen möchte, kann er es markieren, mit der rechten Maustaste anklicken und den Befehl Web-Suche nach . . . wählen. Der neu aufgelegte Browser-Veteran enthält zwar den Instant Messenger AIM, es fehlen ihm aber die besten Mozilla-Features¹, so die Blockierung von unerwünschten Werbebannern.

Das Warten hat sich nicht gelohnt: Neben Mozilla 1.0 ist Netscape 7 überflüssig. Es ist an der Zeit für den Veteran, dem jungen Herausforderer das Feld – und den Kampf gegen den Internet Explorer – zu überlassen. (9.9.2002)

Eine Chance für die Underdogs

Die Probleme mit Netscape haben auch die Mac-Anwender tangiert. Netscape 7 lief auf vielen älteren Macs nicht mehr, und die völlig veraltete Version 4.5 zeigte Inhalte nicht mehr korrekt an. Wer damals nicht auf den Internet Explorer wechseln konnte oder mochte, war auf Alternativen wie iCab angewiesen.

Dieses prachtvolle Programm hiess iCab. Und, auch wenn man es kaum glauben mag: Es existiert nach wie vor und wird weiter entwickelt.

Fussnoten

1) Mit «Mozilla» war damals die Mozilla Application Suite gemeint. Sie basierte auf dem Quellcode der Netscape-Suite und wird heute als Seamonkey von ein paar unbeugsamen Entwicklern am Leben erhalten. Die Mozilla-Stiftung hat die Entwicklung 2006 zugunsten von Firefox eingestellt. Am 10. Juni 2002 habe ich unter dem Titel Netscapes Wiedergeburt als Mozilla-Browser folgendes geschrieben:

Mehr als drei Jahre hat weltweit eine Entwicklergemeinschaft gearbeitet, um am letzten Mittwoch die frohe Botschaft verkünden zu können: Mozilla 1.0 ist fertig und zum Download bereit.

Mit Mozilla erblickt ein Abkömmling des Netscape-Browsers das Licht des Internet: Im Januar 1998 hatte das Unternehmen Netscape den Quellcode des (nie veröffentlichten) Communicator 5.0 als Open Source freigegeben und die Weiterentwicklung der Surfsoftware in die Hände der Internetgemeinde gelegt. Dieser Entscheid sollte der Vormarsch des Internet Explorers stoppen. Zum einen waren die Erfolge des freien Betriebssystems Linux ermutigend, zum anderen versprach sich Netscape gute Chancen, wenn die Benutzer ihren Traumbrowser gewissermassen selbst würden bauen können.

Die Idee war gut, der über Jahre gewachsene Netscape-Code war es nicht: «Als die Mozillianer die Quellen anschauten, fanden sie sich in einer nicht weiter zu entwickelnden, proprietären Spaghetti-Code-Einbahnstrasse wieder», schrieb der Szenekenner Fred Langa in einem Newsletter. Die Mozilla-Entwickler entschlossen sich, den Kern wegzuwerfen und den Browser zum grössten Teil neu zu schreiben – der Grund, weshalb Mozilla mehr als drei Jahre auf sich warten liess. Netscape selbst wollte die ungeduldigen Benützer nicht länger hinhalten und lancierte im November 2000 die Version 6 des Browsers. Die enthielt viele der Altlasten und war selbst für treue Netscape-Fans eine Enttäuschung.

Mozilla 1.0 zeigt sich im ersten Test als robuster und flinker Browser. Als solcher könnte er es schaffen, verlorene Sympathien – und Marktanteile – zurückzugewinnen. Sofern die Benutzer gewillt sind, ihm eine zweite Chance zu geben. (20. November 2000)

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